"Alles Antisemiten außer Mutti"
Nach Gabriele Pauli und Horst Schlämmer eine weitere Jux-Kandidatur: Henryk M. Broder will Zentralratsvorsitzender der Juden werden
Das erste Mal fiel er mir auf, als im September 1982 ein kleiner dicker Mann in die Kulturredaktion der “taz” kam – wenn ich mich recht entsinne, hatte er einen Hund dabei – und ohne ein freundliches “Shalömchen” gleich aufgeregt herumbrüllte. Linker Antisemitismus sei das, und eine Unverschämtheit, die erwidert werden müsse, zeterte er und wedelte mit der Doppelseite “Vier Stunden in Chatila”, die wir an diesem Tag abgedruckt hatten.
Weil außer mir noch keiner da war, konnte ich die Diskussion ziemlich kurz halten: “Das ist ein Text von Jean Genet, der kann hier schreiben was er will und was du für antisemitisch hältst ist mir schnuppe.” Eine Erwiderung, die das Massaker in den Lagern von Sabra und Chatila verteidigte – Genet besuchte die Lager einen Tag, nachdem von libanesischen Milizen unter der Regie von General Ariel Sharon hunderte palästinensische Flüchtlinge abgeschlachtet worden waren –, war so ziemlich das Letzte, was ich am nächsten Tag im taz-Feuilleton lesen wollte.
Murrend zog der Vogel ab und versuchte noch bei einem anderen Redakteur erfolglos, seinen Artikel loszuwerden. Erst danach erfuhr ich, dass es sich um Henryk M. Broder handelte, denn seinen Namen hatte er nicht genannt und insofern steht meine Beziehung zu diesem Autor auch unter keinem guten Stern – bevor ich wusste, wie er hieß, hatte ich ihn schon als hysterischen Wichtigtuer abgespeichert. Als ich am Abend bei unserem damaligen Kolumnisten Wolfgang Neuss saß und nach ihm fragte, sagte der: “Broder wollte von mir schon vor Jahren, dass ich die jüdische Gemeinde ein bisschen aufmische, aber ich hab ihm nicht getraut: erst zieht er dir ein paar antijüdische Witze ab, und später haut er dich als Antisemit in die Pfanne.”
Als Broder ein paar Jahre später verlautbarte, wegen des Antisemitismus der Deutschen und speziell der Linken, seiner einstigen Freunde, nach Israel auszuwandern, hätte man denken können: immerhin konsequent für einen, der, weil Eltern und Großeltern Opfer wurden, lieber gleich Täter werden will und nunmehr für den heiligen Boden in den besetzten Gebieten kämpft. Doch viel mehr als ein verlängerter Urlaub wurde aus dem groß verkündeten Exil dann doch nicht und Broder war bald wieder da. Um fortan für jeden Krieg zu trommeln und zu blasen, den Israel, USA und NATO führen, und jede Opposition dagegen mit Gift und Galle zu überschütten.
So mutierte er zum Lautsprecher eines islamophoben, “antideutschen” Sektierertums, dem Friedens-, Frauen-, Ökobewegung, sowie alles, was links von Bush und Likud steht, ein permanentes Gräuel ist. Von dumpfen Hasspredigten unterscheidet Broders neo-konservativen Tiraden eigentlich nur, dass er aus den antiautoritären 60ern ein paar Gramm Humor und Respektlosigkeit bewahrt hat - ein Relikt, dessen ironische Schale den reaktionären, militaristischen Kern des Broderschen Weltbilds aber kaum verbirgt.
Wenn etwa heute in Deutschland die Gefahr einer “Islamisierung” wieder so propagandistisch an die Wand gemalt werden kann wie einst die “Verjudung, verdankt sich das nicht zuletzt publizierenden Paranoikern wie Broder, die sich von eingebildeten Massenvernichtungswaffen im Irak ebenso bedroht fühlen wie von fiktiven Atombomben im Iran und dem Dämon Al-Qaida in jeder Mülltonne. Wer an derlei Verfolgungswahn leidet, nimmt einem Kanzler Schröder dann tatsächlich übel, dass er die Bundeswehr nicht nach Bagdad jagt, und einer Regierung Merkel, dass sie noch nicht zur allgemeinen Mobilmachung gegen Teheran aufgerufen hat – obwohl er sich dafür seit Jahren die Finger wundschreibt und vom Burda-Onkel Markwort sogar den Börne-Preis kassiert hat.
Aber nein, niemand will auf ihn hören, was bei seiner langjährigen journalistischen Lieblingsmethode – warum recherchieren und argumentieren, wenn man doch diffamieren kann? – eigentlich auch nicht mehr überrascht. Und so strebt der Gernegroß jetzt nach Höherem und will Vorsitzender des Zentralrats der Juden werden. Da die Klassenclowns aber - zu meinem Bedauern – noch nie zu Schulsprechern gewählt wurden und sich Giftzwerge selbst im Märchen niemals in Könige verwandeln, ist die Kandidatur wohl aussichtslos.
Gesegnet mit dem Sex-Appeal eines alten Wischmobs wird es selbst für ein Gabriele Pauli-Strohfeuer nicht reichen. Als Hommage an Horst Schlämmer könnte die “Isch kandidiere!”-Show optisch zwar durchgehen, doch anders als der Komiker Kerkeling erwartet Broder, dass sein kleinkarierter Chauvinismus ernst genommen wird. Schade eigentlich. Ein kosmopolitischer Komiker als Vorsitzender einer Religionsgemeinschaft wäre überfällig. Und hätte sich die einfältige Weltsicht geweitet, wäre die maulfertige Selbstdarstellung einer Gelassenheit des Alters und Weisheit des Herzens gewichen, der nunmehr 63-Jährige wäre ein wunderbarer Kandidat. So aber haben wir nach wie vor nur einen rechthaberischen kleinen Jungen, der ganz allein bestimmen will, wer Judenhasser ist und wer nicht, und der beleidigt ist, wenn ihm der Rest der Welt dafür einen Vogel zeigt: “Alles Antisemiten außer Mutti.”