Alles ehrenwerte Männer

Bodyguard George Tenet wehrt die Angriffe auf den moralischen Leib von George Bush II. ab

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Bush hat nicht wissentlich die Unwahrheit gesagt, als er den zweiten Krieg seiner Amtszeit schön redete. Das hat er nicht und wird er nicht. Das kann er gar nicht. Schuld war allein die CIA, die nach CIA-Chef George J. Tenet die Hinweise des britischen Geheimdienstes über die vermeintlichen irakischen Uran-Geschäfte im Niger nicht mit der höchstmöglichen Sorgfalt geprüft hatte. Oops, wir haben einen kleinen Fehler gemacht! Das kann jedem mal im Eifer von lästigen Rechtfertigungszwängen passieren, wo es doch im Übrigen um nicht viel mehr als einen läppischen Wochenkrieg ging. Was kann ein viel beschäftigter Kriegspräsident schon gegen die Nachlässigkeit seiner frei fantasierenden Quellen ausrichten? Nachlässigkeit?

Wieso kamen Bush II. keine Selbstzweifel, als Dutzende von Regierungen seinen Krieg ablehnten, weil der Präsident außer seiner tibetanischen Gebetsmühle angeblich unmittelbar drohender Gefahren nicht zu bieten hatte? Dabei gab sich der Herr der freien Welt sogar noch besonders überzeugt von seiner Mission. Regelmäßig verwiesen er und Colin Powell die Zweifler auf ominöse Geheimdienstinformationen, die der Welt die Augen öffnen würden. Hinterher, nach dem Krieg, aus Sicherheitsgründen, versteht sich! Andere Staaten haben selbstverständlich keine ernst zu nehmenden Geheimdienste.

You know, I believe God has called us into action.

US-Präsident Bush am 11.Juli 2003 in Uganda

Führte Bush in dieser höchst sensiblen Angelegenheit keine eingehenden Gespräche mit seinen erzählfreudigen Informationslieferanten? Wo war die Nationale Sicherheitsberaterin Condi Rice, als der Präsident seine apokalyptischen Gefahren verkündete? War Colin Powell, der immerhin in seiner grimmigen Märchensammlung (Nichts als die Wahrheit oder Onkel Powells Märchenstunde?) auf das Uran-Märchen verzichtete, nicht im intimen Kontakt mit den amerikanischen Aufklärungsagenturen, um sehr genau zu wissen, wovon er sprach? Arbeiten die selbst ernannten Sicherheitsverwalter der Welt ohne Stäbe, die ihnen reinen Wein einschenken?

Tenet flickt jetzt das, was nicht mehr zu flicken ist: "The president had every reason to believe that the text presented to him was sound." The sound of hypocrisy? Wäre es tatsächlich so gewesen, dann muss es einen schütteln über so viel Ignoranz, Schlamperei, Ressortegoismus, die vorgeblich in den amerikanischen Machtapparat eingezogen ist. Aber warum sollte es so gewesen sein, wie es "his master's voice" Tenet assistiert von den üblichen Verdächtigen nun behauptet?

Könnte es nicht eher umgekehrt gewesen sein (Endlich gefunden: Die Wahrheitsvernichtungswaffen im hochmobilen Lügenlabor)? Die Geheimdienste, allen voran die CIA, sollten händeringend Beweismaterial beschaffen, aus welcher Quelle und von welcher Solidität auch immer (Apparatus of Lies?). Die Regierung würde dieses Beweismaterial dann schon der glaubensbereiten Öffentlichkeit verkaufen und hinterher sind sowieso alle schlauer und fallen hoffentlich alsbald kollektiv der Amnesie anheim. In Großbritannien haben die Geheimdienste die Schuldzuweisung Blairs längst nicht geschluckt und ihm stattdessen sogar angedroht, die Genese seines Gefahrenmythos offen zu legen. Auch Blairs Wut über die kritische BBC und die halbherzige Ehrenrettung seitens des Parlaments lassen die Frage nicht verstummen, ob Tony Blair höchstselbst der Anstifter war (Sexed up?). War es ähnlich wie zu den schlechten Zeiten des Alten Fritz, der nach dem Befehl zum Angriff dem zuständigen Stabsoffizier den Auftrag gab, die Ordre mit den Kriegsgründen zu erfinden - aber pronto!

I gave a speech to the nation that was cleared by the intelligence services. And it was a speech that detailed to the American people the dangers posed by the Saddam Hussein regime. And my government took the appropriate response to those dangers. And as a result, the world is going to be more secure and more peaceful.

US-Präsident Bush am 11. Juli in Uganda

In unseren zurückliegenden Vorkriegstagen, die schrecklicher sein sollten als der Krieg selbst, wurden wir in ein 45-Minuten-Fenster eingeklemmt, das dem leibhaftigen Saddam ausreichen würde, die schrecklichsten Angriffe auf die westliche Welt zu starten. Und ist es nicht höchst entlarvend, dass sich nun beide Kriegsherren mit demselben Problem herumschlagen müssen? Welch wundersame Koinzidenz, dass beide Geheimdienste nun ausgerechnet in dieser höchst wichtigen Frage so total versagt haben sollen. Nota bene: Nicht nur hinsichtlich des imaginären Urans aus dem äußerst dunklen Kontinent, sondern auch in den nicht weniger wichtigen Fragen von B- und C-Waffen. Nur Bush und Blair, die beiden, wussten von nichts, arme Opfer ihrer Mitarbeiter.

Wer diesen Krieg, der so umstritten war, aus vollster Seele begehrte, wer seine gesamte Autorität mit dieser Chefagenda der zivilisierten Welt verband, wer außer Pathos keinen Gedanken mehr zuließ - der ist verantwortlich. Voll verantwortlich! Weder Bushs noch Blairs Kriegsrhetorik war in dieser Frage je anders als absolut entschieden, ausdrücklich, unabdingbar. Die ganze Emphase ihrer Politik verband sich mit dieser Herzensangelegenheit. In solchen Fällen müssen verantwortliche Politiker höchst skrupulös zu ihren unumstößlichen Wahrheiten gelangen. Es geht nicht an, hinterher so zu tun, als sei man nur ein armes Opfer der Täuschung unverantwortlicher und kriegslüsterner Geheimdienste gewesen. Tenets Entsatzaktion soll uns wohl glauben machen, Bush höchstselbst sei mehr oder weniger in die konspirationslogische Falle seiner eigenen Dienste getappt. Tenet schient in seiner Mea-Culpa-Erklärung im übrigen die Schuld auch erst einmal weiter zu den britischen Geheimdiensten, da die CIA diese irakische Niger-Connection selbst nie in ihren Berichten erwähnt habe. Wer macht eigentlich in Amerika und Großbritannien Politik?

Wer seine politische Integrität gegen den Widerstand des größeren Teils dieses Globus mit einer einsamen, allein der Macht verpflichteten Kriegsentscheidung verbindet, kann die totale Irreführung der Weltöffentlichkeit nicht hinterher als Marginalie klein reden. Bis zum heutigen Tag schämt sich die angloamerikanische Kriegsmaschine nicht, windelweiche Erklärungen über die Kriegsgründe abgegeben zu haben. Wenn dieses höchst durchschaubare Spiel der ausgelagerten Verantwortung in einem höchst undurchschaubaren Krieg zur neuen politischen Moral wird, werden demnächst wohl die Vorzimmerdamen die Verantwortung für die Kriegspolitik der Regierung übernehmen.

Mr. President, do you have faith in your CIA Director?

PRESIDENT BUSH: Yes, I do, absolutely. I've got confidence in George Tenet; I've got confidence in the men and women who work at the CIA. And I continue to -- I look forward to working with them and -- as we win this war on terror.

Aus der Pressekonferenz vom 12. Juli in Nigeria

Tenet reicht als Bauernopfer nicht aus, wo allein der Kopf des Königs rollen muss, um die Wahrheit wieder in ihr Recht zu setzen. Aber selbst dieses Bauernopfer seines moralischen Bodyguards will der US-Präsident nicht erbringen. Hat er doch bereits verkündet, er habe weiterhin Vertrauen in George Tenet und will mit ihm auch in Zukunft seinen immer währenden Kampf gegen den Terrorismus führen. Dieses präsidiale Vertrauen ist bei so viel freiwilliger (?) Selbstlosigkeit Tenets im Umgang mit Lügen allerdings gut nachvollziehbar.

Fazit: Wir danken Bush und Blair, dass sie die Welt von einem Tyrannen erlöst haben. Jetzt ist es allerdings Zeit für die beiden Moralisten des Weißen Hauses und von Downing Street selbst zu gehen, da sie entweder die Unwahrheit gesagt haben oder die Verantwortung dafür zu tragen haben oder aber - wir wagen es kaum zu denken - die Verantwortung für ihre Unwahrheit tragen müssen.

Wer die Moral auf dem Panier trägt, wer Menschenleben opferte und weiterhin opfert, darf sich nicht den Hauch eines Zweifels leisten. Hier jedoch geht es längst nicht mehr um einen Hauch, sondern um Megatonnen von Wahrheitsvernichtungsmitteln (Endlich gefunden: Die Wahrheitsvernichtungswaffen im hochmobilen Lügenlabor), die selbst ohne Geheimdienste aufzuspüren sind.