Als am Gipfel statt eines Kreuzes plötzlich ein Halbmond stand

Lustige und traurige Anekdoten anlässlich der bevorstehenden Nationalratswahl in Österreich

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Der Ausgang der Nationalratswahl wird in Österreich mit Spannung erwartet. Das von Jörg Haider initiierte Bündnis Zukunft Österreichs (BZÖ) steht knapp vor dem politischen Aus. Die Grünen sind drauf und dran, drittstärkste Partei zu werden und Heinz Christian Straches FPÖ zu überholen. Da mit Strache niemand regieren will, wie die Parteichefs bei der gestrigen Fernseh-Konfrontation betont haben, gehören die Zeiten schwarz-blauer Regierungskoalitionen also bald der Vergangenheit an.

Als die 20-jährige Türkin Birsen das erste Mal vor Heinz Christian Straches Wahlkampfplakat mit der Aufschrift „Daham statt Islam“ gestanden ist, hat sie in ihrer Tasche nach dem Wörterbuch gekramt und das Wort „daham“ gesucht. Vergebens. „Daham“ ist in keinem Wörterbuch zu finden, nicht einmal in einem österreichischen. Birsen spricht Hochdeutsch. Quasi fließend. Nur mit dem Wiener Dialekt hat sie ihre Schwierigkeiten, mit Wörtern wie „daham“. Dass ausgerechnet Strache auf einem anderen Plakat „Deutsch, statt nix verstehen“ fordert, grenzt daher fast an Ironie des Schicksals. Welches Deutsch der gute Mann nur meint?

Dass sich die Plakatbotschaft von FPÖ-Chef Strache gegen Birsen, ihren Mann, dessen Familie und Tausende andere Muslime in Österreich richtet, hat sie jedoch verstanden. Wenn sie am Sonntag wählen geht, wird sie ihm ihre Stimme daher nicht geben. Wen sie wählen wird, weiß sie noch nicht. Peter Westenthaler vom Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) jedenfalls ebenso wenig. So direkt wie Strache attackiert er Muslime zwar nicht. Westenthaler tritt aber für eine Null-Zuwanderung ein, hat im August die Abschiebung von 300.000 Ausländern verlangt und macht sich in seinen jüngsten Plakaten für einen Ausländer-Abbau von 30 Prozent stark.

Nachdem Birsen gestern die Konfrontation der Partei-Chefs im Fernsehen gesehen hat, schied auch der amtierende ÖVP-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel aus. Als darüber diskutiert wurde, ob Österreich ein Einwanderungsland sei, sagte er stolz, dass in diesem Jahr 45.000 das Land verlassen und 6.000 weitere zwangsdeportiert werden. Vorbehalte gegenüber Ausländern, allen voran Muslimen, oder Toleranz-Beteuerungen, denen ein Satz mit „aber“ folgt, sind geradezu salonfähig geworden. Das hat die gestrige Fernseh-Konfrontation deutlich gezeigt. Diesen Moden entkommt nicht einmal ein Bundeskanzler und wenn er sich noch so sehr am Stil Straches stoßen mag. Dass Strache mit seinen Wahlkampf-Botschaften zu weit gegangen ist und Menschenhetze betreibt, darüber waren sich außer Strache nämlich alle einig.

Vielleicht wählt Birsen ja am Sonntag die Kommunistische Partei Österreichs, die Liste Dr. Martin oder die Sozialistische LinksPartei, eine Liste gegen Kapitalismus und Rassismus. Oder SPÖ? Oder die Grünen?

Birsen weiß es nicht und ist eine der geschätzten 400.000 bis 500.000 unentschlossenen Personen. Laut Meinungsforschern war die Unentschlossenheit so knapp vor der Wahl noch nie so groß in Österreich. Diese Zahl entspricht immerhin mehr als acht Prozent der Wählerstimmen. Ein Stimmenanteil, von dem besonders eine Partei im Moment träumen kann: das von Jörg Haider initiierte BZÖ.

Bye, bye Haider!

Wenn Jörg Haider am Montag nach der Wahl von seinem Wecker aus dem Schlaf geholt wird, könnte Katerstimmung über ihn herein brechen. Von der goldenen Ära ist außer einem Scherbenhaufen nicht viel übrig geblieben. Und das Schlimmste daran: Er ist selber Schuld.

Quasi über Nacht und im Vorjahr hat er mit der FPÖ gebrochen und die neue Partei BZÖ ins Leben gerufen, um es noch einmal allen zu zeigen. Passiert ist das Gegenteil: Plötzlich wusste niemand mehr, wer dem BZÖ und wer der FPÖ angehört, von den jeweiligen Chefs Haider und Strache natürlich abgesehen. Die Orientierungslosigkeit der Bevölkerung war groß und fatal – die alte FPÖ war schließlich Koalitionspartner der ÖVP. Neuwahlen wurden diskutiert, die Idee dann aber fallen gelassen. Die Regierungskoalition besteht nun eben aus drei Parteien. Dass weder die FPÖ in der Form noch das BZÖ gewählt wurden, spielte keine Rolle und das könnte sich am Sonntag rächen. In den Meinungsumfragen liegt das BZÖ bei einem Wähleranteil von drei Prozent. Das sind zu wenig Stimmen, um ein Nationalratsmandat zu erhalten. Für den Einzug in den Nationalrat muss das BZÖ die Vier-Prozent-Hürde meistern und das dürfte schwierig werden.

Der Wahlkampf des BZÖ war von Anfang an desaströs und von Lachnummern geprägt. Wie sehr die Partei nach einer Identität sucht, war schon bei den ersten Wahl-Plakaten zu bemerken. Als Freiheitliche, BZÖ und Liste Westenthaler präsentierte man sich da. Strache und seine FPÖ erhoben Einspruch. Freiheitlich ist nur eine Partei im Land!

Back to the Roots

Peter Westenthaler war viele Jahre Weggefährte von Jörg Haider, hat sich 2002 in Knittelfeld mit ihm zerstritten und ist im Mai dieses Jahres als BZÖ-Chef zurückgekehrt. Während des Wahlkampfs hat er schon für manches Amüsement gesorgt. In einer Fernseh-Konfrontation mit SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer hat er dem Österreichischen Alpenverein und der Islamischen Glaubensgemeinschaft vorgeworfen, auf Gipfeln Halbmonde – statt der üblichen Kreuze – errichten zu wollen. Er hat sich auf einen Briefwechsel berufen, doch leider war dieser Briefwechsel erfunden. Ein Scherz einer Künstlergruppe.

Dass fünf Tage vor der Wahl die steirische BZÖ-Spitzenkandidatin und amtierende Justizministerin, Karin Gastinger, aus der Partei ausgetreten ist, muss wohl ebenfalls erst verdaut werden. Als Grund gab sie die wachsende Ausländerfeindlichkeit ihrer Parteikollegen an, die den Wahlkampf mehr und mehr mit diesem Thema bestreiten. Westenthaler & Co wollten sich auf Haider und die Wurzeln des Aufstiegs von damals entsinnen – um zu retten, was zu retten ist. Möglicherweise bringt das auch noch ein paar Stimmen. Blöd ist trotzdem, dass Strache von Anfang an und in aller Konsequenz auf dieses Thema gesetzt hat. Bei den Wiener Gemeinderatswahlen im Herbst letzten Jahres hat ihm das fast 15 Prozent der Wählerstimmen beschert. Damit hat niemand gerechnet – wohl nicht einmal er selbst!

Ob Strache auf nationaler Ebene auch so erfolgreich sein wird wie in Wien? Das ist zu bezweifeln. Seine Beliebtheit sinkt, je weiter es in Österreichs Westen geht. Bei seinem Wahlkampf-Auftakt in Tirol waren neben Demonstranten, Polizisten und Skinheads, die FPÖ-Wahlwerbung verteilten, etwa gleich viel Schaulustige wie Partei-Funktionäre gekommen. Im Westen werden die Grünen wahrscheinlich stark punkten. In Verkehrs- und Umweltfragen wie Hochwasserkatastrophen gelten sie als Kompetenzträger. Da sie erstmals drittstärkste Partei in Österreich werden könnten, werden sie als mögliche Koalitionspartner im Moment sowohl von der ÖVP als auch von der SPÖ hofiert.

Grünen-Chef Van der Bellen hat auch bei der gestrigen Fernseh-Konfrontation seine Regierungsambitionen geäußert, gleichzeitig jedoch prophezeit, dass es zu einer großen Koalition zwischen ÖVP und SPÖ kommen wird. Ja, auch das ist möglich! Laut den aktuellen Umfrageergebnissen hätten im Moment nämlich weder ÖVP und Grüne, noch SPÖ und Grüne die erforderliche Mehrheit, um eine Koalition zu bilden.