Als die Männer fühlen lernten
In den Jagdgründen der Väter: Klaus Theweleit und das Fortleben des Faschismus in der "Verpanzerung des Mannes"
"Männerphantasien" - das Wort selbst setzt Phantasien frei. Jeder wird da sofort seine eigenen Bilder vor Augen haben, ein Gemisch aus Männermagazin und Herrenabend, Jagdpartie und Feuerzangenbowle. Auf das, woran Klaus Theweleit dachte, als er das gleichnamige Buch schrieb, kommt man erst im zweiten Schritt: Psychoanalyse und deutsche Geschichte.
Theweleits Buch ist ein Mythos, eine Legende. 1977 war es erschienen, und wer in den achtziger Jahren ein geisteswissenschaftliches Fach studierte, der kam um es nicht herum; man musste es eigentlich gelesen haben und sei es nur, um zu widersprechen. Wer es nicht gelesen hatte, der sagte es besser nicht.
Entstanden sind Klaus Theweleits "Männerphantasien", die nun neu aufgelegt wurden, als literaturwissenschaftliche Facharbeit. Thema: Die Literatur der Freikorps nach dem Ersten Weltkrieg. Was daraus aber geworden ist - zum Teil, wie Theweleit im Vorwort erzählt, zunächst gegen die Absicht des Verfassers - eine kulturgeschichtliche Analyse über Männlichkeit und über den Faschismus, vor allem den deutschen.
Theweleit untersucht Schriften bekannter Autoren, etwa Ernst Jüngers, Ernst von Salomons, Martin Niemöllers, streift auch Gottfried Benn, über den er dann in seinem "Buch der Könige" noch mehr schreiben sollte. Er untersucht auch heute Unbekannte wie Hermann Ehrhardt und Paul von Lettow-Vorbeck. Fast alle Anhänger der "Konservativen Revolution" der Weimarer Republik, also rechtsradikale Antirepublikaner, später oft NS-Anhänger.
Die Mentalität der Väter und Großväter
Aber eigentlich geht es um etwas viel Prinzipielleres: um die Mentalität und psychische Disposition der Generation der Väter und Großväter von Theweleits Generation. Das ist zu jeder Zeit eine gute Frage - 1977 war es essentiell.
Denn der 1942 in Ostpreußen geborene Theweleit, der als Flüchtlingskind und Beamtensohn in Schleswig-Holstein aufwuchs, gehört selbst präzis zur Generation der "68er". Diese kämpfte bekanntlich mehr als jede andere mit ihren Vätern, rang mit dem Erbe des Nationalsozialismus und dem, was sie selbst - oft mit guten Argumenten - als Weiterleben des Faschismus empfanden.
Während die meisten 68er den "Marsch durch die Institutionen" vollzogen, sich als Lehrer, Beamte, Politiker oder anderweitig mit der Bundesrepublik arrangierten, gab es bekanntlich zwei andere Gruppen, die die Auseinandersetzung mit der Vätergeneration in radikalerer, nicht-integrierter Form fortführten. Die einen gingen in den Untergrund des linksextremistischen Terrorismus. Und 1977, genau als Theweleit seine "Männerphantasien" fertig schrieb, eskalierte dieser Terror im "Deutschen Herbst".
Sein Buch ist eine Auseinandersetzung genau mit diesem Untergrund und der Frage, wieviel von den Vätern und ihrer faschistischen Psyche in den terroristischen Kindern der RAF fortwirkte.
Bewusstseinsstrom, der einer Logik des Zusammenhangs folgt
Theweleits eigene Position steht für die zweite Gruppe: die APO, diejenigen Linken, die nicht zur Gewalt griffen, die aber den Geist der Revolte von '68 bewahren wollten. Zum Teil, indem sie Umwelt und Natur schützten, einen Teil der technischen Moderne - etwa Atomkraft und Autoverkehr - zum neuen Feind erklärten.
Zum Teil, indem sie die Revolte verinnerlichten, und "das Bürgerliche" in sich selbst bekämpften, durch Psychoanalyse und Befreiung des Unbewussten, durch sexuelle Befreiung. All das mündete, auch um 1977 in jene "alternativen" Bewegungen, die vor genau 40 Jahren in der Gründung der Grünen verschmolzen.
Alle diese Tendenzen sind in Form von Fragestellungen, Denkstilen, Argumentationen und Haltungen in den "Männerphantasien" präsent. Theweleits Buch ist insofern Zeitgeist pur und auch etwas veraltet.
Aber zugleich ist das, was er über Männlichkeit sagt, hochaktuell. Zunächst einmal ist es wieder eine faszinierende Zeitreise, in deren phänomenologischen, dichten, sehr sinnlichen Beschreibungen Bilder und Impressionen längst vergessener Männergenerationen und Männlichkeitsbilder wieder aufsteigen.
Kruppstahl, aber mit Heinz-Rühmann-Gemüt, alte Filme mit Pickelhaubenparaden, Gauleiterreden, Bilder von deutschen Dichtern im Anzug auf südlichen Terrassen, Weiße und Rote in Münchner Schneelandschaft aufeinander schießend - so geht es durcheinander bei Theweleit, aber in einem Bewusstseinsstrom, der einer Logik des Zusammenhangs folgt.
Dann aktueller, zu den Spuren des Früheren in der Gegenwart des Buchs: Alte Bundesrepublik, Karl-Heinz Köpke in der Tagesschau, Wilfried Scharlau im Mekong-Delta, Peter Scholl-Latour mit dem Ayatollah Khomeini im Flugzeug von Paris über seine Zeit in der Fremdenlegion sprechend, Zigarrenrauch, Kegelabend, die Stimmen von Konrad Adenauer und Herbert Wehner, von Helmut Schmidt und Alfred Dregger im Bundestag, Werner Höfers rauchgeschwängerter, moselbefeuchteter Internationaler Frühschoppen, Fides Krause-Brewer als einzige Frau dazwischen, die man nicht ausreden lassen muss, und Talkshows mit Dietmar Schönherr und die Art, wie die Männer darin die Zigaretten halten; die Schmisse in den oft ungemein zerschlagenen Gesichtern der ehemaligen Corpsstudenten, die so gar nicht zu den Zweireihern und Westen der älteren Herren passen wollten, die Mercedes 500er der Vorstände der Deutschland AG.
Weiche Hippies, gesunde Härte und verpanzerte Männer
Die Grundthese, die Theweleit mit alldem und in diesem flüssigen Metaphernstil belegt und illustriert: Das Fortleben des Faschismus in der "Verpanzerung des Mannes", nicht nur - das ist wichtig - des deutschen Mannes.
Es ist vor allem ein Abwehrpanzer gegen die eigenen Gefühle. Aus den Schmerzen des verlorenen Ersten Weltkriegs wurde dann ein neues männliches Selbst geboren. Die "Männerphantasien" bedeuteten damit das Gegenteil von sexueller oder erotischer Sehnsucht - Frauen werden eher als Abwesende geschätzt, eine Verlängerung der Kriegskameradschaft an der Front in die Nachkriegszeit, nach dem Motto: "Richtigen Männern fehlt nichts, wenn die Frauen fehlen".
Die Frau, "das Weibliche" ist der Feind und die Mordlust, die Vernichtungsideen des Faschismus sind eine Form von Weiblichkeitsfeindlichkeit, von Frauenhass. Darum so der Autor, machten die 68er diese Väter so aggressiv: Es waren weiche Männer, langhaarige Hippies und Ökos, denen die "gesunde Härte" fehlte.
Analog zu solchen Zeitgeist-Phänomenen switchte der Germanist auf Theorieliteratur von Norbert Elias bis Félix Guattari und Gilles Deleuze. Die Denkrichtung war eindeutig: weg von der vermeintlich starren Ideologiekritik der Kritischen Theorie und der Analyse der Systeme hin zur Innerlichkeit.
In seinem aktuellen Nachwort zieht Theweleit hochinteressante, einleuchtende Parallelen von den untersuchten Autoren zu heutigen Rechtsterroristen wie dem norwegischen Massenmörder Breivik.
"Faschismus ist keine Ideologie. Faschismus ist eine zerstörerische Art und Weise, die Realität herzustellen."
Theweleit deutet auch an, dass #MeToo, androgyne Männer und Transgender-Menschen einen bestimmten Männertyp aggressiv machen.
Dass die "Männerphantasien" ursprünglich eine Doktorarbeit war, spricht übrigens ungemein für die deutsche Universität nach Humboldtschem Konzept, in der Bildung eben von Selbstbildung nicht zu trennen ist. Und für Theweleit waren die "Männerphantasien" Selbstbildung, Selbsterkenntnis und Selbstfindung, sie waren das Fundament seiner Karriere, die den Freiburger Studenten zu einem der bedeutendsten Kulturwissenschaftler seiner Generation machte.
Der Erfolg dieser Doktorarbeit eines Unbekannten ist ein Glücksfall. Zu verdanken ist er wohl nicht zuletzt einer Besprechung im "Spiegel" durch Rudolf Augstein höchstpersönlich. Lange war das Buch vergriffen - seine Wiederauflage kommt zur rechten Zeit. Heute kann man gelassener über die "Männerphantasien" streiten, aber vor sehr konkreten aktuellen Hintergründen, die neues Anschauungsmaterial bieten.
"40 Jahre, das ist kein Alter" schreibt Klaus Theweleit in dem umfangreichen Nachwort zur Wiederauflage. Wo er Recht hat, hat er Recht.
Literatur: Klaus Theweleit: "Männerphantasien"; Matthes & Seitz Verlag, Berlin. 1200 Seiten
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.