Alt-AKW: Rückstellungen nicht insolvenzfest
Die Energie- und Klimawochenschau: Von wankenden Energiekonzernen, unklaren Kosten des AKW-Abrisses und dem Zusammenhang zwischen Klimawandel und Terror-Milizen
Die Zeiten, in denen die großen Energiekonzerne hierzulande zweistellige Milliardenbeträge als Betriebsergebnis erzielten sind vorbei. Von E.on berichtet das Handelsblatt am Dienstag, dass das Unternehmen in den ersten drei Quartalen des Jahres über fünf Milliarden Euro Verlust eingefahren habe. Schuld sind offenbar einmal mehr erhebliche Abschreibungen auf Kohle- und Gaskraftwerke.
Damit erstellt sich erneut und immer dringlicher die Frage, wie die Beseitigung der Hinterlassenschaften des Atomzeitalters finanziert wird. Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt verweist darauf, dass mit den jüngsten Abschreibungen auch der Wert des Konzerns deutlich abnehme. Damit werde das Argument des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) hinfällig, das Reinvermögen aller AKW-Betreiber betrage zusammen 83 Milliarden Euro. Am Donnerstag vergangener Woche hatte die Gruppe in Berlin rund 134.000 von ihr gesammelte Unterschriften übergeben, mit denen die Überführung der entsprechenden Konzern-Rückstellungen in einen öffentlichen-rechtlichen Fonds mit Nachschusspflicht gefordert wurde.
Das sieht man am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin vermutlich ähnlich. Letzte Woche hatte dort eine Autorengruppe im DIW-Wochenbericht eine kleine Studie veröffentlicht, die für die Einrichtung eines solchen Fonds wirbt. Aus diesem könnten dann der Abriss der alten AKW und die Endlagerung der Abfälle finanziert werden. Die Überführung der Rücklagen der Konzerne sei geboten, so die Autoren, weil diese nicht konkurssicher seien. Das entsprechende Kapital sei in Anlagen und Beteiligungen geparkt und weder vor Abwertung noch vor Aufteilung im Falle eines Scheitern der Unternehmen gefeit.
Die Rückstellungen, so die Rechtsanwältin Cornelia Ziehm, die im Auftrag des DIW die rechtliche Seite eines solchen Fonds beleuchtete, am Donnerstag vergangener Woche in Berlin gegenüber der Presse, seien nicht insolvenzfest und nicht gegen gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen geschützt.
Daraus ergibt sich für sie fast zwangsläufig die Einrichtung eines öffentlich rechtlichen Fonds. Aus dem Atomgesetz und dem Grundgesetz leitet sie eine Pflicht des Staates zum Eingreifen ab. Das Atomgesetz lege eindeutig das Verursacherprinzip fest. Der Staat müsse für die Sicherheit der Bürger sorgen und sei zudem verpflichtet, die öffentliche Haushalte zu schonen. Letzteres heißt, dass er verhindern müsse, dass diese für Kosten aufkommen, die die Verursacher zu tragen haben.
Die Bundesregierung könne daher nicht einfach die Betreiber aus ihrer Verantwortung entlassen und zum Beispiel deren Beteiligung bei etwaiger Einzahlung in einen Fonds deckeln. Die Finanzierungsvorsorge sei nicht verhandelbar und außerdem von erheblichem Belang für das Allgemeinwohl, sodass "auch etwaige Eingriffe in die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Verursacher" gerechtfertigt seien. Im Übrigen stellten die Rückstellungen auch kein Eigenkapital der Konzerne dar, insofern sei deren zwangsweise Überführung in einen öffentlichen Fonds auch kein Eingriff in die Eigentumsrechte.
40, 50 oder 80 Milliarden?
Um wie viel geht es dabei eigentlich? Auf knapp 38,6 Milliarden Euro belaufen sich derzeit die Rückstellungen bei den AKW-Betreibern. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um E.on, RWE, Vattenfall und die (wieder) größtenteils im Besitz des Landes Baden-Württembergs und einem kommunalen Zweckverband befindliche EnBW. Diese 38,6 Milliarden werden aber bei weitem nicht ausreichen, wie allen Beteiligten klar ist. Das ist aber nicht unbedingt ein Problem, denn die Kosten werden über viele Jahrzehnte gestreckt. Sie könnten also, sofern das Ausgangskapital groß genug ist und hinreichend verzinst werden kann, eventuell reichen.
Diese Ansicht vertritt der sogenannte Stresstest, der im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums kürzlich erstellt wurde. Die nominellen Kosten, die über die Jahrzehnte verteilt bis 2099 anfallen, wurden dort mit knapp 170 Milliarden Euro angesetzt. Dafür waren eine durchschnittliche jährliche Inflationsrate von 1,6 Prozent sowie eine zusätzlichen "nuklearspezifischen Kostensteigerung" von jährlich 1,97 Prozent vorausgesetzt worden. Für diese 170 Milliarden Euro, so die Stresstestautoren, reichen die bisherigen Rückstellungen aus, wenn sie mit durchschnittlich 4,58 Prozent verzinst werden können.
Aber ist ein derartiger Zinssatz realistisch? In Boom-Phasen kann er erzielt werden und sicherlich auch mehr. Aber wird dieses Mehr gegebenenfalls ausreichen, auch wirtschaftliche Krisen zu überbrücken? Eher nicht, meint DIW-Autorin Dorothea Schäfer, die ein Modell für den Aufbau eines solchen Fonds entwickelt hat. Würde eine durchschnittliche Verzinsung von drei Prozent angenommen, was deutlich sicherer wäre, dann müssten die Konzerne rund 50 Milliarden Euro einzahlen, und wenn man auf Nummer sicher geht und nur von durchschnittlich 1,5 Prozent Zinsen ausgeht, dann müssten sogar gut 80 Milliarden Euro eingezahlt werden.
Schäfer geht im Übrigen bei ihrem Modell von einer Bestückungszeit von acht bis zehn Jahren aus, in der die Unternehmen nach und nach Einzahlen könnten. Danach würden die Kosten des Abriss und der Endlagerung aus den Zinsen und dem Kapitalstock des Fonds beglichen.
Neue Kommission
Einen weißen Fleck hat diese Rechnung allerdings noch. Keiner kann bisher sagen, wie teuer der Abriss und die Entsorgung eines AKW ist. Es gibt bisher viel zu wenige Erfahrungen. Christian von Hirschhausen, DIW-Forschungsdirektor für Internationale Infrastrukturpolitik und Industrieökonomie, führt als Beispiel das ehemalige Atomkraftwerk in Lubmin bei Greifswald mit seinen fünf Reaktoren an. Deren Abriss zieht sich seit 20 Jahren hin und ein Ende der dortigen Kostensteigerungen sei, so von Hirschhausen, nicht absehbar.
Derzeit beliefen sich die Schätzungen auf fünf Milliarden Euro. Rechnet man das auf die 25 weiteren Reaktoren hoch, die schon stillstehen oder in den nächsten Jahren vom Netz gehen werden, dann würde allein der AKW-Abriss schon 30 Milliarden Euro verschlingen. Dazu kämen dann noch, wie beim Stresstest angesetzt, Inflation und spezifische Kostensteigerung - sozusagen der atomare S21-Faktor.
Ein wenig Licht ins Dunkel könnte vielleicht eine neue "Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK)" bringen, die am vergangenen Donnerstag erstmalig zusammen trat. Geleitet wird sie sozusagen von einer ganz großen Koalition: dem ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne), dem ehemaligen brandenburgischem Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) und dem ehemaligen Ersten Bürgermeister Hamburgs Ole von Beust (CDU).
Interessant wird in diesem Zusammenhang sein, ob die Öffentlichkeit endlich mehr Einsicht in die relevante Daten bekommt oder diese weiter als Betriebsgeheimnisse behandelt werden. Der tiefe Informationsgraben zwischen Konzernen und Öffentlichkeit sei ein Skandal, so von Hirschhausen am Donnerstag gegenüber der Presse in Berlin.
Mehr Hitze, weniger Wasser
Derweil rückt die UN-Klimakonferenz in Paris näher, auf der Anfang Dezember ein neuer Klimaschutzvertrag ausgehandelt werden soll. Diverse französische Organisationen haben, wie berichtet, Proteste und einen Alternativ-Gipfel vorbereitet. Eine, die daran teilnehmen wird, ist Hindou Oumarou Ibrahim, Sprecherin der Association pour les femmes et les peuples autochtones du Tchad (AFPAT, Vereinigung der Frauen und autochtonen Völker des Tschads). Anfang November tourte sie auf Einladung der Hilfsorganisation Oxfam durch Deutschland und besuchte unter anderem die Braunkohlereviere im Rheinland und in der Lausitz.
Im Gespräch mit Telepolis zeigte sie sich geschockt von den dortigen Kraftwerken. Deutschland würde 3000 Mal so viele Treibhausgase wie ihr Land emittieren. Die Bevölkerung Tschads ist zwar kleiner, aber bei weitem nicht so viel kleiner, als dass das den Unterschied erklären könnte. Das Verhältnis ist in etwa eins zu sieben.
Ibrahim berichtete von den Veränderungen, die bereits heute im Tschad spürbar seien. Die Regenzeiten fielen kürzer aus, die kühle Übergangszeit falle inzwischen meist aus und die Trockenzeit habe sich verlängert. In Verbindung mit zugleich steigender Hitze führt das über die Verdunstung zu zum Teil erheblichen Wasserproblemen.
Das ist für die Bevölkerung nicht nur ein gesundheitliches Problem, weil sie mitunter gezwungen ist, auch unsauberes Wasser zu trinken. Es gefährdet vor allem die Ernten und die Viehbestände, die der Landbevölkerung bisher als Einkommensquellen dienen. All das sei noch nicht genug, denn Ernten zusätzlich dadurch gefährdet, dass der Niederschlag nun öfter als Starkregen fällt, der zu zerstörenden Überschwemmungen für die Felder führt.
Probleme, denen zumindest zum Teil durch neue Brunnen und Regenwassermanagement mittels kleinen Dämmen und Zisternen beigekommen werden könnte. Doch dafür bedürfte es Investitionen. Jemand müsste die Arbeiter und das nötige Material bezahlen, wozu die armen Bauern und Viehzüchter kaum in der Lage sind. Ein klassischer Fall für Entwicklungshilfe, sollte man meinen. Die europäischen Staaten scheinen anderer Ansicht zu sein:
Die meiste Entwicklungshilfe der EU geht in die Notprogramme. Tschad hat einen sehr langen Krieg geführt. Außerdem gibt es die Flüchtlinge aus dem Dafur (Sudan), aus der Zentralafrikanischen Republik und auch aus Nigeria, die von Boko Haram vertrieben wurden. Außerdem gehen viele Hilfsgelder der EU an die Armee, um sie gegen Boko Haram zu unterstützen. Die Menschen, die von den sich verschlechternden Umweltbedingungen betroffen sind, werden vergessen. Obwohl dort auch die Ursachen all der anderen Konflikte zu finden sind.
Hindou Oumarou Ibrahim, AFPAT
Die Not würde einen Teil der Männer in die Arme der Boko Haram treiben, berichtet Ibrahim. Auf dem Land könnten sie ihre Familien nicht mehr ernähren und wenn sie in den Städten nach Arbeit suchen, stießen sie dort auf viele, denen es ähnlich gehe. Das Ergebnis seien eine hohe Arbeitslosigkeit und Männer, die neben der Armut auch noch das psychologische Problem haben, die in sie gesteckten Erwartungen nicht erfüllen zu können. Für einen Teil von ihnen sind da eine Waffe und eine Einmalzahlungen von ein paar hundert US-Dollar, mit denen Boko Haram Kämpfer anwerben soll, ein verlockender Ausweg, während die Frauen auf den Dörfern und den Nomadengemeinschaften mit der doppelten Last zurückbleiben.
Im Umkehrschluss hieße das, dass mit ein paar dutzend Milliarden Euro, die in eine bessere Wasserversorgung und damit in eine bessere landwirtschaftliche Produktion, in den Bau von Straßen und Eisenbahnen, die die Produkte auf die Märkte in den Städten bringen könnten, sowie für eine flächendeckende Stromversorgung mittels Solarablagen auf den Dörfern gesteckt würden, nicht nur die Menschen gegen die schlimmsten Folgen des Klimawandels geschützt, sondern auch dem islamistischen Terror in der Sahel-Zone das Wasser abgegraben werden könnte. Aber daran scheint in Europa niemand interessiert. Die EU ziert sich jedenfalls auch drei Wochen vor der Pariser Konferenz weiter, ausreichend Geld für den UN-Klimafonds in die Hand zu nehmen.