Alternative Islamkonferenz

Für eine muslimische Zivilgesellschaft in Deutschland

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Religionen reden von der Wahrheit, die nicht der Zeit und der Aktualität unterworfen ist, die vielmehr den in den wechselnden Zeiten Lebenden Halt und Orientierung geben können. Zeiten, in denen nur noch mit stets überholbaren Wissensbeständen auf einem Markt der Möglichkeiten gerechnet wird, empfinden den Wahrheitsanspruch als Herausforderung. In einer auch geistig vollendeten Marktwirtschaft, die neuwertige Angebote verlangt, täglich frisch auf den Tisch, ist die dauernde Wahrheit ein Skandal. Eine Religion, die sich dazu entschließt, Meinungen und Möglichkeiten in bunter Vielfalt anzubieten, um Kunden zufriedenzustellen, verfehlt ihre Aufgabe. Bei aller Vielfalt in zweitrangigen Dingen – eine Einheit muss die Vielfalt schon zusammenhalten, ein Band, das viele Blüten umschlingt und sie damit zu einem Strauß macht und die vielen Blüten geeint beieinander hält.

Sowohl der sogenannte "liberale" als auch der "konservative" Islam, die sich in der aktuellen Islamdebatte kristallisieren, sind Ausformungen eines politischen Islam. Der stark kritisierte "konservative" politische Islam ist vor allem in Folge der Krise des arabischen Nationalismus entstanden. Der französischer Politikwissenschaftler Gilles Kepel etwa sieht zu Recht in der Reduktion des Islam auf eine politische Bewegung ein neues Phänomen, eine Mischform westlich-politischen Denkens und des Islam.

Der Text stammt aus dem die nächsten Tage im Herder Verlag erscheinenden Buch Neo-Moslems. Porträt einer deutschen Generation (200 Seiten, 14,99 €). Eren Güvercin beschreibt darin eine Generation junger deutscher Muslime, die schon heute eine wichtige kulturelle und politische Rolle in Deutschland spielt, die das Land positiv verändern kann und das nicht trotz, sondern wegen ihres Migrationshintergrunds. Erklärt wird etwa, warum Güvercin ein mindestens so deutscher Name ist wie Podolski und Sarrazin, und warum die üblichen Abgrenzungsreflexe nicht mehr funktionieren. Mehr von Eren Güvercin auf seinem Blog.

Die beiden Ausformungen des politischen Islam spiegeln in keiner Weise die Lebenswirklichkeit der meisten Muslime wider. Den Muslimen ist ein durchorganisierter Islam mit Mitgliederverzeichnissen und Vereinsstrukturen historisch eher fremd. Vielmehr haben zivilgesellschaftliche Initiativen wie etwa die Stiftungen (Awqaf) eine wichtige Rolle gespielt. In den Stiftungen geht es nicht wie bei den Verbänden mit ihrem Vertretungsanspruch um Einfluss und Macht, sondern um eine zivilgesellschaftliche Beteiligung. Lokale Einrichtungen wie etwa die Moscheen, Märkte und Stiftungen haben das gesellschaftliche Leben ausgemacht und waren spiritueller, sozialer und ökonomischer Natur. Der politische Islam – egal welcher Couleur – löst eben diese gemeinschaftliche Lebenspraxis auf. Gerade heute spielt etwa die Etablierung von Stiftungen als eine Ausprägung authentisch islamischer Gemeinschaftsstrukturen eine wichtige Rolle, um einen Mittelweg zwischen Individualismus und Verbandskultur zu finden.

Hier kann die von mir initiierte Alternative Islamkonferenz, die der ehemaligen Teilnehmer der Islamkonferenz Feridun Zaimoglu unterstützt, einen fruchtbaren Impuls geben. Es ist höchste Zeit, dass die deutschen Muslime eine neue Debattenkultur etablieren, um die relevanten Fragen unserer Zeit – auch kontrovers – zu diskutieren. Statt nur in der Öffentlichkeit übereinander zu sprechen und dabei durch die Verwendung von Labels wie "liberal" oder "konservativ" die Gräben zu vertiefen, muss mehr miteinander debattiert werden.

Für 2012 planen ich und eine Gruppe junger Muslime die Alternative Islamkonferenz zu verwirklichen. Jenseits der medialen Öffentlichkeit sollen dabei Vertreter der großen Verbände, Einzelpersonen und auch neuere Organisation wie etwa der Liberal-Islamischer Bund offen und kontrovers darüber debattieren, wie eine muslimische Zivilgesellschaft in Deutschland aussehen kann, die nicht nur den Muslimen, sondern der gesamten Gesellschaft Dienstleistungen anbietet.

Bisher hat sowohl der von Politik und Medien geförderte "liberale" politische Islam als auch der sich ethnisch abgrenzende "konservative" politische Islam die freie islamische Zivilgesellschaft verhindert und durch Kontrolle ersetzt. Der natürliche Feind der Stiftung ist der Verbandsfunktionär. Ein muslimischer Denker sagte einmal, dass der Islam korrupte Politiker überlebe, nicht aber korrupte Ulama (Theologen). Diese Politisierung der islamischen Lehre mündet in dem Denken, dass jemand, der nur einmal in der Woche das islamische rituelle Gebet verrichtet – überspitzt formuliert – als "liberal" und "aufgeklärt" gilt, wohingegen jemand, der das Gebet gemäß der Orthodoxie praktiziert, als "konservativ" oder "nicht aufgeklärt" markiert wird. Der entscheidende Punkt ist aber, dass man weder "liberal" noch "konservativ" beten kann, weswegen sich auch die Muslime gegen die Politisierung ihrer über Jahrhunderte unumstrittenen Riten der islamischen Lebenspraxis wehren. Der öffentliche Druck, der einen "guten Islam", also einen relativierenden Islam schaffen will, findet an der Basis keine Resonanz.

Der Islamwissenschaftler Rainer Brunner, der am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris forscht, beobachtet in diesem Zusammenhang mit einer gewissen Ambivalenz die Etablierung der Lehrstühle für Islamische Theologie an deutschen Universitäten:

Die ganze Angelegenheit einer Gründung der islamischen Theologie scheint mir politisch gewollt zu sein. Das hat natürlich dann wiederum in Verbindung mit verschiedenen anders gelagerten politischen Debatten der letzten zehn Jahre – etwa die Sicherheitspolitik – eine wie ich finde geradezu groteske Überforderung und auch Erwartungshaltung der Politik zur Folge.

Man wolle hier einen aufgeklärten Islam europäischen Zuschnitts etablieren, ohne dass es dafür im Augenblick sichtbar irgendwelche strukturellen und personellen Voraussetzungen gebe, betont Brunner. An deutschen Universitäten sollen zukünftig nicht nur Imame ausgebildet werden, sondern gleichzeitig auch Kompetenzen in Sozial- und Integrationsarbeit den zukünftigen Imamen vermittelt werden. Dadurch betreibe man – und das ist Brunners Hauptkritikpunkt – eine weitgehende "entsäkularisierte Islamisierung der Integrationsdebatte".

Erst kürzlich sprach der Münsteraner Jurist Christian Walter im Zusammenhang mit der Einrichtung islamisch-theologischer Zentren von einem "legitimen Zähmungsinteresse" des Staates. Auch wenn die Bundesbildungsministerin Annette Schavan darauf hinweist, dass ein aufgeklärter Islam die Muslime vor Aberglaube oder Irrglaube schützen solle, ist es nicht Aufgabe des Staates zu beurteilen, was nun Aberglaube oder Irrglaube ist. Von einem wie auch immer gearteten Zähmungsinteresse des Staates hält Brunner wenig:

Was nun diese Erwartung anbelangt, ein 'Zähmungsinteresse' zu haben, halte ich es da eher mit dem französischen Islamwissenschaftler Olivier Roy, der die These vertritt, die Entkoppelung der Religion – er spricht dabei nicht nur von einer Religion, sondern von Religion allgemein – von der umgebenden Kultur sei ein Hauptmotiv oder ein Hauptgrund für die Radikalisierung von Religionen.

Wenn man dieser These folge, so Brunner, dann mute ihn der Versuch, über eine staatlich protegierte Theologie eine Religion zähmen zu wollen, eher wie der Versuch an, den Senf wieder in die Tube zurückzudrücken.

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