Amazon will sich unabhängiger von Menschen machen
Die zweite Picking Challenge soll im Rahmen der RoboCup-WM stattfinden
Es ist schon fast so etwas wie eine Tradition: In der Adventszeit versucht die Gewerkschaft Verdi wieder einmal den Onlinehändler Amazon mit Streikaktionen unter Druck zu setzen, um für die dort Beschäftigten die Lohntarife des Einzelhandels zu erzwingen statt der vom Konzern angebotenen Bezahlung nach den Regeln der Logistikbranche. Jetzt hat das Soli-Bündnis Leipzig die Konsumenten um Unterstützung gebeten: Sie sollen Waren für mindestens 40 Euro bei Amazon bestellen, aber innerhalb von 14 Tagen zusammen mit einer Solidaritätsbotschaft für die Streikenden zurückschicken.
Amazon schläft aber auch nicht, sondern arbeitet intensiv daran, sich von menschlichen Mitarbeitern unabhängig zu machen. Im Oktober 2015 eröffnete der Konzern im polnischen Wroclaw das erste europäische Logistikzentrum, in dem die Roboter der 2012 erworbenen Firma Kiva Systems (mittlerweile umbenannt in Amazon Robotics) die Regale hin und her fahren.
"Unsere Mitarbeiter müssen nicht mehr zu den jeweiligen Regalen laufen, um die bestellten Produkte zu holen, sondern Roboter bewegen die Lagerregale zu den Mitarbeitern", sagte Roy Perticucci, Amazon Vice President Operations in Europa, anlässlich der Eröffnung des Hightech-Zentrums. "Roboter ermöglichen es uns auch, die Logistikzentren effizienter zu machen und wesentlich höhere Lagerbestände bereitzuhalten. All das hilft uns dabei, mehr Produkte in kürzerer Zeit zu liefern. Sie sorgen für ein sicheres Arbeitsumfeld und halten die Unfallrate auf durchgehend niedrigem Niveau."
Auf Dauer will Amazon den Einsatz von Robotern natürlich nicht auf den Regaltransport beschränken. Zukünftig sollen die Maschinen auch gezielt Gegenstände aus den Regalen greifen und in Transportkisten legen oder umgekehrt in die Regale einordnen können. Um die Entwicklung der dafür erforderlichen Technologie voranzutreiben, hat der Konzern den Wettbewerb "Amazon Picking Challenge" ins Leben gerufen, der im vergangenen Mai während der Robotik-Konferenz ICRA erstmals ausgetragen wurde. Neben Preisgeldern in Höhe von insgesamt 26.000 US-Dollar für die drei besten Teams wurden Reisekostenzuschüsse sowie Hardware für die Vorbereitung auf den Wettbewerb versprochen.
Andra Keay, der für Robohub über den Wettbewerb berichtete, verbrachte die meiste Zeit damit, "Robotern dabei zuzusehen, wie sie nichts tun". Aber das ist nicht ungewöhnlich für einen Roboterwettbewerb, insbesondere, wenn er zum ersten Mal ausgetragen wird. Zugleich zeigte sich Keay beeindruckt, sowohl von der Komplexität des Greifvorgangs als auch von der Vielzahl unterschiedlicher Lösungen, die von den 28 teilnehmenden Teams ausprobiert wurden.
Auch die Organisatoren bei Amazon waren offensichtlich mit dem Verlauf der Veranstaltung zufrieden, die vom Team RBO der TU Berlin mit großem Vorsprung gewonnen wurde. Daher wird es eine zweite Picking Challenge geben, bei der die Preisgeldsumme auf stolze 80.000 US-Dollar aufgestockt wurde. Sie soll Ende Juni 2016 ausgetragen werden - ausgerechnet in Leipzig, während der 20. RoboCup-Weltmeisterschaft.
Ob daraus eine neue Liga beim RoboCup wird, ist damit noch nicht gesagt. Die Amazon Picking Challenge habe organisatorisch mit dem RoboCup nichts zu tun, sagt WM-Cheforganisator Gerhard Kraetzschmar, sondern sei ein "co-located embedded event". Es gebe derzeit auch weder bei Amazon noch bei der RoboCup Federation Pläne für eine längerfristige Zusammenarbeit: "Es ist erst einmal eine einmalige Gelegenheit, und wir müssen sehen, was sich daraus ergibt."
Tatsächlich bietet die Picking Challenge zunächst einmal nicht viel Neues im Vergleich mit den Ligen, die es beim RoboCup bereits gibt. Bei RoboCup@home, dem Wettbewerb für Haushaltsroboter, mühen sich die Teams schon lange damit ab, Gegenstände korrekt zu erkennen, gezielt zu greifen und an der richtigen Stelle abzulegen. Auch bei dem jüngeren Wettbewerb RoboCup@work geht es ums sichere Greifen mit mobilen Robotern.
Ungewöhnlich ist allerdings die Geldmenge, die Amazon in diesen Wettbewerb pumpt. Es gebe jedoch keine Bedenken, dass die hohen Preisgelder die Balance der übrigen RoboCup-Ligen stören könnten, sagt Kraetzschmar. Es gebe ja schon länger Konkurrenz durch Wettbewerbe mit hohen Preisgeldern wie etwa die Darpa Challenges oder das EU-Projekt EuRoC. "Es gibt einige Teams, die sowohl RoboCup als auch diese Wettbewerbe machen, andere entscheiden sich für den einen oder den anderen. Wir denken nicht, dass wir in einen Wettbewerb um (im Zweifel immer höhere) Preisgelder einsteigen müssten."