Andere EU-Länder schlucken Merkels Osaka-Entscheidung nicht
Suche nach einem Juncker-Nachfolger wurde vertagt
Während des G20-Gipfels in Osaka hatte die deutsche Bundekanzlerin Angela Merkel mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron, dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez und dessen niederländischen Amtskollegen Mark Rutte vereinbart, dass dessen Landsmann Frans Timmermans neuer EU-Kommissionspräsident wird. Timmermanns war Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, die bei der EU-Wahl Ende Mai mit einem europaweiten Verlust von 30 auf jetzt nur mehr 154 Sitze ähnlich stark einbüßten wie die Christdemokraten, die 34 auf jetzt 182 verloren.
In der Heimat ihres Spitzenkandidaten Frans Timmermanns legten die Sozialdemokraten gegen den Europatrend um 8,7 Punkte auf 18,1 Prozent zu. Dieser nationale Faktor (der Vorstellungen einer zunehmenden Europäisierung eher widerspricht) hatte sich auch 2014 schon gezeigt, als die Sozialdemokraten ebenfalls herbe Verluste eingefahren hatten - außer in Deutschland, wo die SPD mit dem Slogan warb: "Nur wenn Sie Martin Schulz und die SPD wählen, kann ein Deutscher Präsident der EU-Kommission werden".
Weber und Timmermans (vorerst) durchgefallen
Schulz wurde damals nicht EU-Kommissionspräsident, weil es hieß, der damalige christdemokratische Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker habe zwar ebenfalls deutlich verloren, aber seine EVP sei immer noch stärkste Partei. So wollte auch Manfred Weber argumentieren, der Spitzenkandidat der Christdemokrat bei der Europawahl 2019. Er stieß bei vielen Staats- und Regierungschefs der anderen EU-Mitgliedsländer nach der Europawahl jedoch auf so ausgesprochene Ablehnung, dass die für seine Nominierung durch den EU-Rat nötige qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedstaaten, aus denen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung kommen, angeblich nicht in Sicht war.
Aber auch mit Timmermans waren die Staats- und Regierungschefs mehrerer der 24 Mitgliedsländer, über deren Köpfe hinweg Merkel, Macron, Sánchez und Rutte in Osaka entschieden hatten, nicht zufrieden. Vertreter Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns hatten sich bereits vorher gegen ihn ausgesprochen. Wahrscheinlich auch nicht zuletzt deshalb, weil sich der Experte für französische Literatur während seiner Zeit als "EU-Kommissar für Bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechtecharta" als Verfechter von Zwangsmaßnahmen gegen Budapest und Warschau exponiert hatte (vgl. EuGH: Unabhängigkeit der Justiz kann auch durch Richterruhestandsregeln beeinträchtigt werden).
"Nicht der richtige, um Europa zu einen"
Die ungarische Europaministerin Judit Varga bezeichnete eine mögliche Ernennung Timmermann zum EU-Kommissionspräsidenten am Wochenende als "sehr schweren, sogar historischer Fehler", der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán warnte die EVP vor eine "Selbstzerstörung", wenn der Posten "an unseren größten Rivalen geht". Orbáns tschechischer Amtskollege Andrej Babiš meinte etwas zurückhaltender, Timmermans sei "nicht der richtige, um Europa zu einen", weil er seiner Region "nicht besonders positiv gegenübergestanden" sei. Vorbehalte gegen den Niederländer soll es auch in den Delegationen Italiens, Kroatiens, Rumäniens, Lettlands und Irlands geben.
Deshalb verzögerte sich der Beginn des Gipfels gestern mehrfach, weil es erst noch "Vorgespräche gab". Ab 23 Uhr bat der amtierende polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk die Teilnehmer dann zu vertraulichen Vieraugengesprächen, die in Brüssel den Namen "Beichtstuhlverfahren" haben.
Medienberichten nach (die sich auf anonyme Informationen aus den Delegationen berufen) eroierte Tusk in diesen Vieraugengesprächen mit mäßigem Erfolg mögliche Mehrheiten für den irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar, den französischen Brexit-Chefunterhändlers Michel Barnier und die ehemalige bulgarische Weltbankchefin Kristalina Georgiewa. Das ging heute früh weiter- und blieb bis zum Nachmittag ohne Ergebnis. Dann wurde eine Pause verkündet, die bis Dienstagvormittag elf Uhr dauern soll.
Für den Tag darauf, den 3. Juli, hat der bisherige Europaparlamentspräsident Antonio Tajani die Wahl seines Nachfolgers angesetzt, die er angeblich nicht mehr verschieben will. Dieser Posten hängt mit dem des EU-Kommissionspräsidenten insofern zusammen, als er zu einem Verhandlungspaket gehört, das auch den Posten des EU-Ratspräsidenten, den des Chef der europäischen Zentralbank EZB, den der EU-Außenbeauftragten, die interessanteren Kommissarsstellen, deren Zuschnitte, und andere mögliche Zugeständnisse umfasst.
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