Anders als im Fall RT DE: Minsk sperrt russische Zeitung – Moskau bleibt kleinlaut

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow findet es bedauerlich. Archivbild: Пресс-служба Президента России / CC-BY-4.0

Belarus sperrt nach unerwünschter Berichterstattung ein regierungsnahes russisches Blatt und seine Online-Ressourcen. Die Antwort aus Moskau ist ein fast kampfloser Rückzug

Das russische Traditionsblatt Komsomolskaja Prawda ist vor Ort nicht unbedingt für eine oppositionelle Berichterstattung bekannt. Es handelt sich seit dem Ende der Sowjetunion, in der es 1925 gegründet wurde, eher um eine regierungsnahe Boulevardzeitung im Privatbesitz, die auch russischsprachige Bürger von Nachbarstaaten mit eigenen Ausgaben anspricht. Die vielleicht wichtigste davon war die Ausgabe in Minsk mit einer eigenen Redaktion, da in Belarus nahezu die gesamte Bevölkerung Russisch als Mutter- und Zweitsprache spricht.

KGB-Aktion mit zwei Toten

Von Repressionen, wie es sie in den letzten Monaten zahlreich gegen oppositionelle Medien vor Ort gab, war die KP, wie man sie kurz auch nennt, bis zum 28. September diesen Jahres nicht betroffen. An diesem Tag stürmte der weißrussische KGB die Wohnung des Mitarbeiters einer IT-Firma namens Andrej Selzer. Ein Geheimdienstoffizier und Selzer starben dabei in einem Feuergefecht.

Nach offiziellen Angaben handelt es sich bei Selzer um einen "gefährlichen Verbrecher", wobei zunächst nicht genau klar war, wessen er genau vor dem KGB-Schusswechsel beschuldigt wurde. Fest steht, dass er aktiv an der Oppositionsbewegung in Belarus beteiligt gewesen und legal im Besitz einer Jagdwaffe war, die er offenbar auf die eindringenden KGB-Beamten abgefeuert hat.

Nach der Schießerei begann naturgemäß die journalistische Ermittlung eines Motivs, Selzer war in seinem Umfeld etwa laut dem russischen Medienportal RBK nicht als kriminell bekannt gewesen. Der für die Komsomolskaja Prawda in Belarus tätige Journalist Gennady Moscheiko sprach unter anderen mit einer früheren Klassenkameradin Selzers und veröffentlichte vier Sätze aus deren Erinnerungen in einem Artikel. In diesen drückte sie ihr Erstaunen über die Schießerei aus, Selzer sei ihr immer "positiv, ehrlich, die Wahrheit vertretend" vorgekommen.

Russischer Bericht mit weitreichenden Folgen

Moscheikos Artikel wurde noch am Tag der Schießerei veröffentlicht, aber am kommenden Tat wieder gelöscht. Danach überschlugen sich die Ereignisse. Moscheiko, weißrussischer Staatsangehöriger, reiste nach Russland aus, wurde dort von den Behörden nach Belarus zurückgeschickt und in Minsk verhaftet. Eine offizielle Anklage existiert laut der russischen Zeitung lenta.ru bisher nicht. Die Webseite der Komsomolskaja Prawda wurde von den weißrussischen Behörden komplett gesperrt.

Der russische Chefredakteur der KP geht nun davon aus, dass die Erinnerungen der Klassenkameradin von den Minsker Behörden mit Absicht als "Verharmlosung eines Terroristen" ausgelegt wurden. Dabei ginge es nicht um den Artikel an sich, sondern um die Entscheidung von der Regierung Alexander Lukaschenkos, den Medienbereich im Land zu 100 Prozent kontrollieren zu wollen. Hier passe seine Zeitung nicht hinein, da man diese unter der Kontrolle Moskaus sehe.

Auch das russische Medienportal RBK berichtet, die Berichterstattung der KP zu den Protesten in Belarus habe sie in Konflikt mit den dortigen Behörden gebracht. Zeitweise habe man keine Druckerei mehr gefunden, die die Zeitung vor Ort vervielfältigen wollten und musste die fertig gedruckten Exemplare aus Russland importieren. Weiter gehende Schritte habe es gegen die Zeitung nur wegen ihrer "Kreml-Nähe" nicht früher gegeben.

Während der russische Journalistenverband und Putins Menschenrechtsrat die sofortige Freilassung Moscheikos forderten, reagierte die russische Regierung selbst verhaltener. Man wisse nicht, warum der Journalist verhaftet wurde; und außerdem sei er Weißrusse und man auch nicht zuständig, gab Kreml-Sprecher Dmitri Peskow zu Protokoll. Bezüglich der Sperre der KP in Weißrussland forderte er, diese zu beenden und beklagte bei einem Pressetermin, dass die Minsker Regierung ihm diesbezüglich offenbar nicht richtig zuhöre.

"Schlechte Akustik" in Minsk

Scharfe Töne aus Moskau, wie man sie bei ähnlichen Konflikten mit dem Westen bei Internetsperren kennt - man denke hier nur an den YouTube-Channel von RT DE - blieben jedoch aus. Stattdessen zitierten Peskow russische Medien sogar in der heißen Konfliktphase mit dem erstaunlichen Satz "Wir werden weiter mit der belorussischen Seite zusammenarbeiten". Sollte die Verhaftung Moscheikos mit seiner journalistischen Tätigkeit für die russische Zeitung zu tun haben, könne man das natürlich nicht gut heißen.

Die vergleichsweise kleinlaute Reaktion von Moskaus Offiziellen und ihr fehlender Widerhall in Minsk veranlasste die russische Zeitung Kommersant zur leicht ironischen Überschrift, dass sich die Minsker Behörden aktuell offenbar in einer Zone mit schlechter Akustik befänden.

Erstaunlich konfliktfrei kam dann auch das Ende der presserechtlichen Kommunikationsstörung zwischen Moskau und Minsk. Die KP-Chefredaktion erklärte schon am 5.Oktober, ihr weißrussisches Büro schließen und den Betrieb der weißrussischen Ausgabe einstellen zu wollen. Der Kreml kommentierte diesen Entschluss gleich am Folgetag als richtige Entscheidung "in der aktuellen Situation". Pflichtgemäß drückte Peskow sein Bedauern aus, dass die populäre und sehr angesehene Zeitung nun in Belarus nicht mehr zu lesen sei.

Der Umstand, dass die Regierung Lukaschenko eine regierungsnah-russische Zeitung eiskalt aus dem Land werfen kann und dafür aus Moskau lediglich Bedauern und einen schnellen Rückzug als Antwort erhält, wirft ein interessantes Schlaglicht auf die Beziehungen zwischen Moskau und Minsk.

Dem vor allem von westlichen Zeitungen gezeichneten Bild, Lukaschenko sei nur noch eine Marionette des russischen Präsidenten Wladimir Putin, wird hier in der Realität das genaue Gegenteil entgegen gestellt. Die Minsker Regierung ist auch für ihre eigenen Verbündeten unberechenbar und tanzt Russland auf der Nase herum. Die Reaktion ist verhalten bis schwach - ist man auf den kleinen Verbündeten so sehr angewiesen? Obwohl es um offensichtliche Zensur eines russischen Mediums geht, wo man sogar dem US-Internetriesen YouTube in einem ähnlichen Fall mit einer Komplettabschaltung in Russland droht.

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