Angriff auf unbequeme Journalisten in Genua
Polizei stürmte das Indymedia-Zentrum
"Wir hatten gehofft, dass der Stress langsam vorbei ist" meinte Sabine L. rückblickend. Die Aktivistin des unabhängigen Mediennetzwerk Indymedia kam gerade dazu, etwas frische Luft zu schnuppern. Die letzten Tage war sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Ländern ununterbrochen auf den Beinen. Eine Aktion jagte die andere und immer waren Indymedia-Aktivisten vor Ort. Dann mussten Meldungen über Festnahmen und Misshandlungen in Polizeihaft recherchiert werden. Höhepunkt ihrer Nachrichtenarbeit war die Verbreitung der Umstände, unter denen der junge Globalisierungsgegner Carlo Giuliani am Freitagabend in der Innenstadt von Genua von Polizeikugeln getroffen und anschließend noch überfahren wurde. Die bei Indymedia eingespeisten Bilder vom Tathergang gingen um die Welt. Sehr zum Missfallen der italienischen Behörden und der Polizei.
Unmittelbar nach dem Ende der Protestaktionen, die meisten Demonstranten waren mit ihren Bussen wieder nach Hause gefahren, kam offenbar die Revanche. Am Sonntagmorgen gegen 1 Uhr stürmten schwerbewaffnete Polizisten die von der Stadt Genua bereitgestellte Schule, in der neben Indymedia, eine Rechtshilfestelle für festgenommene Demonstranten und eine Erste-Hilfe-Station für Verletzte untergebracht war. Unzählige Demonstranten ließen sich dort wegen Augen- und Mundreizungen nach den immensen Tränengaseinsatz verarzten. Dass betraf nicht in erster Linie Angehörige des vielzitierten Schwarzen Blocks, sondern häufig ältere Personen, die ohne Gasmaske und Wasserflaschen den Gasangriffen ausgesetzt waren, mit denen die Polizei die gesamte Demonstration eindeckte.
Zunächst stürmte die Polizei ein der Schule gegenüberliegendes Gebäude, das als Schlafstelle für die Aktivisten diente. Zum Zeitpunkt der Razzia haben dort etwa 50 Personen geschlafen. Augenzeugen berichteten von einer unglaublichen Brutalität, mit der die Polizei die Türen einschlug und mit Knüppeln auf die im Schlaf Überraschten einprügelte. Als nach mehreren Stunden Medienvertreter die Raume betreten konnten, waren auf vielen Wänden und Heizungen noch Blutspuren zu sehen. Mehrere Personen, darunter ein britischer Indymedia-Mitarbeiter, wurden auf Bahren mit Kopfwunden aus dem Haus gebracht.
In den Räumen von Indymedia ging die Polizei allerdings nicht so brutal vor. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich schon Pressevertreter und auch einige Abgeordnete des italienischen Parlaments vor Ort. Nachdem in den Indymedia-Räumen die Polizei zunächst mit großer Brutalität auftrat, entspannte sich die Lage nach einiger Zeit. Die anwesenden Personen durften rauchen und miteinander reden. Die Polizei durchsuchte die gesamten Räume und beschlagnahmte unter anderem Videomaterial und Filme. Wesentlich rabiater ging die Razzia im Rechtsbüro, das sich im nebenliegenden Raum befand, vonstatten. Nach der Polizeiaktion wurden aufgebrochene Schränke und Schreibtische sowie im Raum verstreute Akten vorgefunden.
Die sanfteren Durchsuchungsmethoden könnten damit zusammenhängen, dass man mit Medienvertretern nicht ganz so heftig umspringen kann. Doch die Razzia ist nur der Höhepunkt von staatlichen Behinderungsversuchen, denen die Indymedia-Aktivisten schon vor Beginn der Aktionstage durch die Polizei und staatliche Behörden ausgesetzt waren. Obwohl sie offizielle Presseausweise besaßen, wurden die von der Polizei mehrmals als gefälscht bezeichnet und einfach ignoriert. So kam es, dass in der letzten Woche mehrmals Indymedia-Mitarbeiter für mehrere Stunden bei ihrer Arbeit festgenommen und verhört wurden. Am Dienstag wurde eine Berliner Mitarbeiterin mit anderen Frauen festgenommen, als sie gerade in einem geliehenen Kleinbus Computer und andere für die Pressearbeit nötige Materialien in Genua transportierte. In einer Erklärung der Polizei wurden die Festgenommenen beschuldigt, einen Terroranschlag gegen den G8-Gipfel vorbereitet zu haben. Dafür wurde ein UPS-Kleinbus in einen gepanzerten Wagen uminterpretiert. Diese Erklärung der italienischen Polizei wurde in der Folge von der Bild-Zeitung, aber auch von seriöseren Medien kommentarlos weiter verbreitet. Dass alle Beschuldigten in den nächsten Stunden wieder auf freien Fuß waren, wurde natürlich nicht gemeldet.
Auch bei der jüngsten Razzia wurde zunächst behauptet, die Polizei habe Rauchbomben gefunden. Später tauchte diese Begründung allerdings nicht mehr auf. Ehrlicher war wohl der Polizeisprecher von Genua Mario Viola. Die Razzia sei "eine Reaktion auf die von Globalisierungsgegnern ausgegangene Gewalt in den vergangenen beiden Tagen gewesen" ließ er erklären.
Das sehen auch die Aktivisten von Indymedia ähnlich, natürlich mit anderen Interpretationen. "Den Aktivisten - und aktivistinnen von IMC und GSF ist es gelungen, die gefilterte und verlogene Darstellung der Proteste gegen den G8-Gipfel durch Bilder, Texte, Filme und Tonaufnahmen zu konterkarieren. Das ist ein massiver Eingriff in die "Souveränität" der Herrschenden, die alleine bestimmen wollen, was wahr ist, und dementsprechend massiv ist ihre Antwort", heißt es mit etwas viel Selbstlob in der Indymedia-Erklärung zur Razzia. Dabei waren nicht nur Indymedia-Mitarbeiter von Arbeitsbehinderungen betroffen. So wurde den Korrespondenten der linken italienischen Tageszeitung Il Manifesto und der linken deutschen Tageszeitung Junge Welt die Akkreditierung zum Gipfel verweigert.
Peter Nowak aus Genua