Angst vor einem neuen Sozialismus

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Der Kapitalismus hat ein Problem: Seine katastrophalen Folgen geraten immer mehr ins Visier öffentlicher Kritik. Das ruft seine Verteidiger auf den Plan, die ihn als alternativlos behaupten. So auch Nikolaus Piper in der SZ

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Bereits in einer SZ-Kolumne vom 29. Juli 2019 enthüllte Wirtschaftsredakteur Piper "Warum der Kapitalismus nicht schuld am Klimawandel ist": "Als die Wachstumsdebatte in den 1970ern begann, wusste die breite Öffentlichkeit noch nichts vom Klimawandel; der Club of Rome beschäftigte sich mit Ressourcenverzehr, Überbevölkerung und Umweltverschmutzung in einem sehr breiten Sinne. Trotzdem kann man heute, da CO₂ das alles überragende Thema geworden ist, viel aus der damaligen Zeit lernen. Vor allem hilft dies, der Trivialisierung des Themas entgegenzutreten." Der letzte Satz sollte dabei besonders in Erinnerung behalten werden!

Sich auf den rumänisch-amerikanischen Ökonomen und Mathematiker Nicholas Georgescu-Roegen (1906-1994) beziehend, der das überbordende zahlenmäßige Wachstum der Menschheit als hauptverantwortlich für das drohende Überschreiten der "Grenzen des Wachstums" verantwortlich machte, steigt Piper in dessen geistige Fußstapfen und enthüllt den wahren Grund der drohenden Klimakatastrophe:

Das Problem ist, dass es die Menschen gelernt haben, die von der Sonnenenergie gesetzten Grenzen zu überschreiten, und zwar dadurch, dass sie die seit Jahrmillionen in der Erdkruste gespeicherte Sonnenenergie - Kohle, Erdöl, Erdgas - für sich nutzen. Sie sind zu zahlreich und - wenigstens ein großer Teil von ihnen - zu reich geworden, sodass sie von den Reserven zehren müssen. Dabei wird die Atmosphäre durch CO₂ belastet, die Ursache für den Klimawandel, wie man heute weiß.

Nikolaus Piper

So also geht die nicht-triviale Variante der Erklärung der Erdüberhitzung: "Die Menschen" verfeuern zu viel "Kohle, Erdöl, Erdgas", und weil sie darüber hinaus noch zu viele geworden sind, haben sie dadurch den Klimawandel losgetreten ("die Menschen" also und nicht die kapitalistischen Unternehmen und deren ausbeuterischer Umgang mit Mensch und Natur seien demnach verantwortlich zu machen für die Erdüberhitzung). Der Reichtum weniger, die Übernutzung der fossilen Brennstoffe, die Überbevölkerung: das alles soll demnach mit der kapitalistischen Übernutzung und Ausbeutung des Planeten nichts zu tun haben!

"Sehnsucht Sozialismus" ...

... ist ein weiterer Beitrag von Nikolaus Piper im Wirtschaftsteil der SZ vom 21./22. September 2019 überschrieben, in dem er der Alternativlosigkeit des kapitalistischen Wirtschaftssystems seine Warnung vor einem neuen sozialistischen Ungemach beimengt: "Drei Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer sind sozialistische Ideen wieder populär. Umso wichtiger ist es, dem Vergessen entgegenzuwirken." (Nikolaus Piper, Sehnsucht Sozialismus, SZ vom 21./22. September 2019, S. 24)

Also dem Vergessen darüber, was der Sozialismus gerade nicht zustande gebracht hatte, nämlich "gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen jede/r die Chance bekommt, sich frei zu entfalten, und die Möglichkeiten, die das Leben bietet, zu nutzen". Diesen von einer Zeit-Leserbriefschreiberin gelieferten und von Piper zitierten Wunsch kommentierte er wie folgt: "Das Problem dabei ist, dass bisher alle Versuche, in Sachen Sozialismus darauf hinausliefen, dass den Menschen genau das geraubt wurde, was die Leserin sich wünscht. Alle, ohne Ausnahme."

Wenn also ein Kevin Kühnert, auf dessen nicht weniger triviale Aussagen zur Vergesellschaftung großer Unternehmen die oben zitierte Leserbriefschreiberin Bezug genommen hatte, von Sozialismus schwadroniert oder in einer Umfrage der Rosa Luxemburg-Stiftung sich "45% der Teilnehmer positiv über den Sozialismus äußerten", dann schrillen bei Piper bereits sämtliche Alarmglocken, weil dies nämlich angeblich ein Beleg dafür sei, dass der Sozialismus "wieder die 'kulturelle Hegemonie'" gewonnen habe, "um einen Begriff des großen italienischen Marxisten Antonio Gramsci zu verwenden".

Sich eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus und dessen existenzgefährdende Kollateralfolgen überhaupt ganz allgemein auch nur vorstellen zu können, ist für Piper bereits ein Ding der Unmöglichkeit und Ausdruck von Geschichtsvergessenheit, wo doch das klägliche Scheitern der mit dem Kapitalismus konkurrieren wollenden Staatssozialismen erst zwei Jahrzehnte zurückliegt. Piper kann sich ein Sympathisieren mit sozialistischen Ideen nur als Verdrängungsakt vorstellen: Da soll angeblich etwas wieder auferstehen, dessen Untauglichkeit längst bewiesen ist!

Das gescheiterte Rezept des seinerzeit staatlich inszenierten "real existierenden Sozialismus", der mit bürgerlichen Elementen wie Staat, Parteienherrschaft, Geld, Lohnarbeit und zentralisierter ökonomischer und politischer Kommandogewalt den Weg zum Kommunismus beschreiten wollte, nimmt er als einzig mögliches Sozialismuskonzept und misst daran alle auch noch so diffusen Wünsche nach einer gerechteren Gesellschaft. Nebenbei unterschlägt er wie selbstverständlich die von den amerikanischen und europäischen Gegnern ins Werk gesetzten Bemühungen um das ökonomische und militärische Niederringen der seinerzeitigen sozialistischen Staaten und somit auch den innenpolitischen Preis, den diese dafür zu zahlen hatten.

Während Piper aktuell eine "kulturelle Hegemonie" der linken Sozialismusanhänger auszumachen glaubt, konstatiert er andererseits: "Natürlich will heute auch auf der Linken niemand mehr die DDR zurückhaben." Denn nicht nur die DDR sei gescheitert, auch "solche Modelle, auf die junge Linke im Westen bis vor kurzem noch ihre Träume projiziert hatten", wie beispielsweise in Nicaragua, in Bolivien und natürlich in Venezuela. Das hat "Nicolas Maduro (...) in eine beispiellose Katastrophe geführt". Daraus ergibt sich für Piper, der "Sozialismus" anscheinend generell unauflösbar mit "DDR" oder "Nicaragua" usw. verbunden wähnt, eine irgendwie nicht zu begreifende Situation: "Aber wenn nicht die DDR, was dann?"

Antworten auf seine Frage nach dem "Was dann?" finden sich in voneinander ziemlich abweichenden Vorstellungen darüber beispielsweise bei Müller, Creydt, Krüger, Massarat und der GS-Redaktion. Piper allerdings scheint diese Quellen entweder nicht zu kennen oder ignoriert sie schlichtweg.

Das immergleiche Muster, mit dem das Scheitern sozialistischer Experimente - egal wo auch immer - von "Kritikern" wie Piper begründet wird, besteht darin, fernab jeder detaillierteren Befassung mit den ökonomischen und politischen Voraussetzungen und den daraus resultierenden politischen Zielsetzungen und praktisch-politischen Handlungen das jeweilige Geschehen und dessen mehr oder weniger sich häufenden und aus dem Ruder laufenden Probleme als für eine sozialistische Entwicklungsperspektive generell typischen Verlauf zu behaupten und - weil einem vorausgesetzten moralischen Ideal widersprechend - zu denunzieren.

Unter welchen äußeren Rahmenbedingungen die jeweiligen Versuche unternommen wurden und werden, interessiert dabei nicht. Was nicht ins Konzept passt, wird schlichtweg ignoriert, wie beispielsweise das bereits seit 2012 unter zweifellos sehr schwierigen Bedingungen durchaus funktionierende Rätesystem in Rojava. Im Hinblick auf die Ereignisse in Venezuela vermerkt Piper mit Verwunderung, dass die dort sich abspielende "beispiellose Katastrophe" (...) "Politiker der Linken" nicht daran hindert/e, "ihre Solidarität mit dem Regime in Caracas zu erklären (...)." Von Kuba ganz zu schweigen.

Kapitalistische Krisen und die Verklärung des Sozialismus

Die Gründe dafür, dass sich Linke nach wie vor illusionäre Vorstellungen über den Sozialismus machten, verortet Piper in den immer wieder auftretenden Krisen des Kapitalismus: Die "Asienkrise 1997, die Finanzkrise 2008, die Euro-Krise, die Macht der Internetkonzerne, die ungleiche Vermögensverteilung" seien die Ursachen für den wiederholt laut werdenden Ruf nach einer Abkehr vom Kapitalismus.

Dass sich Linke über den Kapitalismus und seine lediglich für eine kleine Minderheit wirklichen Wohlstand und Reichtum mit sich bringende Funktionsweise durchaus ein paar tiefer reichende Gedanken zu machen pflegen, als nur auf dessen Krisenerscheinungen zu starren und deren wenig erfreuliche Folgen zu beklagen, blieb Piper bisher anscheinend verborgen. Denn eine Linke, welche sich bereits mit der Bekämpfung kapitalistischer Krisenfolgen zufrieden geben wollte - und die gibt es natürlich auch -, hätte das Wort Sozialismus längst aus ihrem Wortschatz tilgen können, was bekanntlich in sich irgendwie immer noch als "links" verstehenden, sozialdemokratisch orientierten Kreisen ja durchaus bereits geschehen ist. Selbst im Begriff des "demokratischen Sozialismus" schwingt das altbewährte Misstrauen gegenüber sozialistischen und über das rein Demokratische hinausgehenden Vorstellungen immer noch mit.

Angesichts der Erfahrungen mit dem historischen Staatssozialismus erklärt sich Piper die von ihm diagnostizierte Renaissance sozialistischer Sehnsüchte so:

Letztlich ist die Faszination, die der Sozialismus heute wieder ausübt, wohl nur zu erklären durch die Fähigkeit der Menschen zu vergessen.

Nikolaus Piper

Angesichts der Erfahrungen mit dem realen Kapitalismus erklärt sich Pipers Beharren auf der Alternativlosigkeit des Kapitalismus mit der Fähigkeit des Autors, von altbackenen Urteilen nicht ablassen zu wollen.

Entfremdete Arbeit als Dienst am sozialistischen Gemeinwohl

Die sozialistische Planwirtschaft hat nach Auffassung ihrer marktwirtschaftlich orientierten Kritiker endgültig abgewirtschaftet. Diesen vernichtenden Schluss ziehen sie aus der bloßen Tatsache, dass die Planökonomien dem Konkurrenzdruck ihrer kapitalistischen Gegenspieler auf die Dauer schlichtweg nicht standhalten konnten. Über die Gründe für diesen unbezweifelbaren Sachverhalt jedoch brauche nicht weiter nachgedacht zu werden - diese Schlussfolgerung jedenfalls lässt sich daraus ziehen, wie Kritiker des Planwirtschaftens - wie Piper einer ist - mit dem Gegenstand ihrer Kritik zu verfahren pflegen. Genau dieser Gründe aber sollen im Folgenden etwas genauer in Augenschein genommen werden.

Die Leitung der Wirtschaft in den Ländern des "realen Sozialismus" unterstand dem Staat:

Im Arbeiter- und Bauernstaat verpflichtet sich die Staatsmacht darauf, Produktion und Verteilung im Interesse derjenigen zu regeln, die mit ihrer Arbeit für den gesellschaftlichen Reichtum sorgen. Dies ist das Programm des sozialistischen Staates, wenn er mit der Aufhebung des Privateigentums den besitzenden Klassen der bürgerlichen Gesellschaft ihre Existenzgrundlage entzieht und seine politische Gewalt als Diktatur des Proletariats versteht. An diesem Unternehmen ist ein Widerspruch nicht zu übersehen. Es zielt auf Beseitigung der Armut, Erleichterung der Arbeit, die sich lohnen soll, indem ihr der Charakter eines erzwungenen Dienstes für fremden Reichtum genommen wird - und doch wird dieses Programm als Werk politischer Gewalt durchgeführt. Nicht nur der Umsturz der kapitalistischen Machtverhältnisse und ihrer rechtlichen Regeln, auch die planwirtschaftlichen Direktiven werden der Gesellschaft, den Werktätigen als erklärten Nutznießern des Sozialismus durch die Staatsmacht aufgeherrscht.

Karl Held (Hrsg.), Von der Reform des 'realen Sozialismus' zur Zerstörung der Sowjetunion, München 1992, S. 30

In der Rolle des Staates als organisierendes und kommandierendes Zentrum der sozialistischen Gesellschaft ist die Entfremdung derjenigen, denen die vorgebliche Sorge der Staatsgewalt gelten sollte - also der Arbeiterschaft -, von der Quelle ihrer Reproduktion, d.h. ihrer Arbeit, bereits angelegt. Dem Dienst des Staates am Wohl seiner Werktätigen sollte der Dienst der Werktätigen am Wohl des sozialistischen Gemeinwesens entsprechen, womit natürlich die Anerkennung ihrer Rolle als Befehlsempfänger staatlicher Planvorgaben einher zu gehen hatte.

Die Untergebenen des sozialistischen Wohlfahrtsstaates kamen also gar nicht erst in die Verlegenheit, sich ein aus unmittelbarer Selbstermächtigung und Möglichkeiten der direkten Einflussnahme resultierendes Verantwortungsbewusstsein für die Voraussetzungen und Ergebnisse ihres betrieblichen Wirkens ausbilden zu können. Vielmehr war ihre Identifikation mit dem ökonomischen Staatseigentum und der Rolle, die sie bei dessen Bewirtschaftung zu spielen hatten, als Akt einer moralisch begründeten Willensentscheidung gefordert. Von ihnen wurde erwartet, von ihrer Rolle als Ausführende fremdbestimmter Entscheidungen zu abstrahieren und dafür Verständnis und Dankbarkeit aufzubringen, denn der sozialistische Staat gab ja vor, in ihrem Interesse und zu ihrem Nutzen zu handeln.

Damit er nach den Maßstäben sozialistischer Gerechtigkeit verfahren kann, verstaatlicht der Staat sämtliche Leistungen seiner Bürger nach den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit, die er bei den Betrieben wie bei seinem Haushalt dann gegeben sieht, wenn in Geld berechnete Bilanzen aufgehen und wachsen. Er übernimmt die kapitalistische Wertrechnung, um ihre Resultate dem Privateigentum zu entziehen und den Reichtum per staatlicher Verfügung zu sozialisieren.

Held, a.a.O., S. 31

Zentralistische Planung mit Marktelementen

Das funktionierte zwar hinlänglich, wie an den Leistungen der ehemaligen staatssozialistischen Ökonomien abzulesen war, die dem Westen immerhin gigantische Rüstungsanstrengungen wert waren, um die störende sozialistische Konkurrenz in die Knie zu zwingen. Aber damit holten sich die sozialistischen Planer Widersprüche ins System, die dessen Funktionalität untergruben.

Piper hat dazu seine eigenen Vorstellungen: "Warum der Sozialismus nicht funktionieren kann, ist theoretisch gut begründet." Nämlich: "ohne Marktpreise" (...) fehle "die Grundlage" (...), um die Arbeitsteilung in einer komplexen Wirtschaft zu organisieren. Die Folge sind Willkür und Misswirtschaft. Ihnen widersprach damals der polnische Sozialist Oskar Lange. Eine Planbehörde könne durchaus den kapitalistischen Wettbewerb simulieren und so zu vernünftigen Wirtschaftsplänen kommen."

Die damaligen Planer trauten also ihrem eigenen Anspruch nicht und glaubten, sie müssten unter zentralplanerischen Vorzeichen so tun, als würden sie eine marktwirtschaftliche Ökonomie betreiben.

Deswegen ahmen die realen Sozialisten manche Rechnung aus der Welt des Kapitals nach, wenn sie ihre Planwirtschaft einrichten. Sie übernehmen die ökonomischen Techniken aus dem System des Schachers, der Konzernbilanzen und der Kalkulation mit Lohnkosten - um sie als Hebel des verstaatlichten Reichtums einzusetzen, der die arbeitende Klasse zu dem Stand im Staate erhebt. Diese Emanzipation erspart den Lohnarbeitern den Kapitalismus ebenso wie eine von ihren Interessen geleitete Planwirtschaft - sonst nichts.

Held, a.a.O., S. 33

Das Misstrauen, das in der hoheitlich-sozialistischen Befehlsstruktur der eigenen Werktätigenbasis entgegentrat, untergrub letztlich die von Partei und Staat eingeforderte Gesellschaftsmoral. Die von den sozialistischen und kommunistischen Parteien und ihren Staatsgewalten angemaßte Stellvertreterrolle sorgte dafür, dass die sozialistischen Werktätigen es letztendlich nicht für wert befanden, sich für den Erhalt der für sie eingerichteten sozialistischen Systeme einzusetzen.

Entscheidungsprozesse und ihr emanzipatorisches Potential

Im Kapitalismus, so Piper, sorge der Markt für die Herausbildung von Marktpreisen, die als Voraussetzung für die Organisation einer komplexen arbeitsteiligen Wirtschaft gelten. Der Sozialismus würde sich demnach mit der Abschaffung des Marktes die gesellschaftliche Funktionsgrundlage entziehen. An der Frage, inwieweit eine volkswirtschaftliche Planung unter den Voraussetzungen einer heutzutage existierenden und hochdifferenzierten kapitalistischen Ökonomie möglich ist, scheiden sich alle jene Geister, die sich bereits heute Gedanken darüber machen, wie eine zukünftige Planung oder zumindest stärkere gesellschaftliche Beeinflussung der wirtschaftlichen Aktivitäten im Sinne einer sozialistischen Gesellschaftsperspektive ermöglicht werden könnte.

Aus den Überlegungen der oben beispielhaft genannten Verfasser von linken Zukunftsszenarien und deren Kritikern wird erkennbar, dass der Entwurf eines planwirtschaftlichen Gesellschaftskonzeptes mit Widersprüchen und Problemen konfrontiert ist, die sich allein theoretisch nicht lösen lassen dürften. Die Perspektive einer Avantgarde-Partei, die für sich in Anspruch nimmt, die Voraussetzungen und Möglichkeiten einer sozialistischen Umwälzung bis ins Letzte durchdenken und daraus richtiges Handeln ableiten und vor allem auch anleiten zu können, hat sich als trügerisch und fragwürdig erwiesen. Allerdings ist dies nicht mit einer Absage an den Erkenntnisgewinn durch Kritik gleichzusetzen, denn sinnvolles und zweckdienliches Handeln ist ohne ein hinreichendes Verständnis dessen, was bewirkt werden soll, nicht zu erzielen.

Voraussetzung für den Einstieg in eine öffentliche Diskussion über den Nutzen oder Schaden einer ökonomischen Gesamtplanung ist ein durch eine ausreichend große Mehrheit abgesicherter Konsens über die Schädlichkeit des konkurrenzhaften Sachzwangregimes und dessen bestimmenden Einfluss auf das gesellschaftliche Leben. Dafür bedarf es einer politischen Kraft, die in der Lage ist, den hierfür erforderlichen gesellschaftlichen Diskurs überhaupt auf den Weg zu bringen und dann auch zu verstetigen. Es braucht nur wenig Phantasie, um sich vorstellen zu können, dass ein derartiger Diskurs in ziemlich konfliktgeladener Form von statten gehen dürfte.

Eine gesellschaftliche Gesamtplanung ist weiter nur denkbar als ein Vorgang, der sich nicht abgesondert im Kreis einer abgehobenen Intellektuellenkaste abspielen kann, sondern wesentlich von einer Selbstermächtigungsbewegung etwa in Form von Basisräten mit initiiert und mitgetragen sein müsste. Diese wären zu verstehen als Träger eines breit organisierten gesellschaftlichen Willens und der Bereitschaft, sich aus der Abhängigkeit jener Vielzahl von Bereicherungsinteressen zu befreien, mit denen die Bürger in ihrer gegenwärtigen subalternen Lebenswelt konfrontiert sind. Kontrastierend zum traditionellen Räteverständnis wären diese als ein politisch-emanzipatorisches Lernprojekt zu verstehen, welches nicht erst aus möglicherweise zukünftigen gesellschaftlichen Konfliktlagen heraus entstehen würde, sondern die Entwicklung eines Bedürfnisses nach Selbstermächtigung als Gegenwartsaufgabe begreift. Eine gesellschaftlich-ökonomische Gesamtplanung, wie auch immer sie letztendlich aussehen mag, hat eine technisch-organisatorische und eine gesellschaftlich-politische Seite. Letztere erscheint als die Vorrangigere, denn das Gelingen eines derartigen Vorhabens dürfte sich wesentlich an der Entschlusskraft aller Beteiligten entscheiden, ihr Leben in die eigene Hand nehmen, sich die dafür erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen aneignen und sich ihren Anspruch auf Zuständigkeit erstreiten zu wollen.

Fazit

Wenn es also darum gehen soll, die eherne Sachzwanglogik der Geld- und einseitigen Reichtumsvermehrung durch eine an emanzipatorischer Bedürfnisorientierung bestimmte ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungsperspektive abzulösen, so wird sich dies im Spannungsverhältnis von basisbezogener Selbstermächtigung und gesamtgesellschaftlicher Koordination (in einer wie auch immer bevollmächtigten Leitungsfunktion) zu bewegen haben. Das bedeutet eine grundsätzliche Absage an überkommene und in ihrer Schädlichkeit längst erwiesene staatliche Herrschaftsmodelle, egal wie liberal oder autoritär sie daher kommen mögen.

Kautskys Sozialismusvorstellung: "allgemeine Harmonie und allgemeiner Wohlstand werden dann in der Gesellschaft herrschen" (zitiert nach Piper, a.a.O.), kann für diesen Fall getrost als idealistisches Wunschdenken ad acta gelegt werden. Denn mit der Überwindung des Interessengegensatzes von Kapital und Arbeit erst eröffnet sich die Möglichkeit zu einem selbstbestimmten öffentlichen Diskurs über die Bedeutung und Realisierbarkeit von individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen jenseits von minoritären Bereicherungsinteressen. Und der dürfte alles andere als harmonisch verlaufen. Doch ist dies möglicherweise eben der Preis für eine Lebensperspektive, die existenzielle Sicherheit, Selbstbestimmung und ein an die natürlichen Lebensbedingungen angepasstes Dasein unter einen Hut zu bringen versucht.

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