Antisemitische Kontinuität
Seite 3: Ressentiment gegen die Juden und eine "progressive Kampagne"
- Antisemitische Kontinuität
- Das süße antisemitische Gift des "Jud Süß"
- Ressentiment gegen die Juden und eine "progressive Kampagne"
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Goebbels verstand es als überzeugter Antisemit, den irrationalen Antisemitismus durch affektgeladene, emotionalisierende Bilder zu befördern, die das Reflexionsvermögen zugunsten des Affekts zurückdrängen und so das Ressentiment aufrichten - und als zentrales Motiv taucht in dem Kassenschlager "Jud Süß" die Rassenschande auf, die Vergewaltigung der arischen Frau durch den Juden.
Womit wir wieder bei der Lisa Eckhart und ihrer Kunstfigur wären. Bei deren umstrittenen Ausführungen zur sexuellen Nötigung von Frauen, wie sie von der feministischen MeToo-Kampagne thematisiert wurden, bediente sie sich eben jenes Motivs, das auch charakteristisch für "Jud Süß" ist. Bei den Auftritten der österreichischen Künstlerin sind es nicht mächtige, einflussreiche Männer, die ihre Machtstellung ausnutzen, um Frauen sexuell auszubeuten, sondern lüsterne Juden, die laut Eckharts Kunstfigur "unantastbar" seien.
Deswegen fragte die Kabarettistin, ob die MeToo-Bewegung antisemitisch sei, da unter den vielen Fällen an sexueller Gewalt und Nötigung, die 2018 öffentlich gemacht worden sind, auch etliche Männer jüdischer Herkunft zu finden sind (Weinstein, Allen, Polanski). Das Ressentiment gegen den Juden hängt sich hierbei an eine progressive Kampagne an, um sich öffentlich manifestieren zu können.
Geld diene dem Juden nur als ein Mittel, um "Weiber" abzugreifen, witzelt Eckhart auf der Bühne, womit die Unterhaltungskünstlerin das zentrale Motiv des antisemitischen Unterhaltungsfilms "Jud Süß" reproduziert. Dieses uralte antisemitische Bild des lüsternen Juden wird aber noch durch ein neues Motiv angereichert, durch das Ressentiment gegen die Opfer des Holocaust und deren jüdische Nachfahren. Eckhart wörtlich:
Es ist ja wohl nur gut und recht, wenn wir den Juden jetzt gestatten, ein paar Frauen auszugreifen. Mit Geld ist ja nichts gutzumachen. Den Juden Reparationen zu zahlen, das ist, wie dem Mateschitz ein Red Bull auszugeben. (...) Was tun, wenn die Unantastbaren beginnen, andere anzutasten? (...) Die heilige Kuh hat BSE.
Lisa Eckhart
Den "unantastbaren" Juden, die als "heilige Kühe" bezeichnet werden, müssen laut Eckhart nun Frauen zur sexuellen Verfügung gestellt werden. Dies sei eine Form von Reparation für den Holocaust, da mit Geld bei ihnen nichts gutzumachen sei - die Juden seien die Quelle des Geldes, so wie der Red-Bull-Miteigentümer Mateschitz an der Quelle seines Aufputschmittels sitze.
Der antisemitische Vorwurf, die Juden würden den Holocaust instrumentalisieren, um sich finanzielle oder politische Vorteile zu verschaffen, wird bei Eckharts Auftritten um eine sexuelle Dimension erweitert. Der israelische Psychoanalytiker Zvi Rix brachte dieses Ressentiment mit der Bemerkung auf den Punkt, wonach die Deutschen den Juden den Holocaust niemals verzeihen würden.
Diese bizarre Fieberphantasie der Eckhartschen Kunstfigur, die den "lüsternen" Juden einen shoahbedingten Freifahrtschein bei Vergewaltigungen andichtet und diese in evidenter antisemitischer Tradition mit dem Geld identifiziert, nicht als antisemitisch zu charakterisieren, scheint kaum noch möglich. Der WDR, der in seiner Replik auf eine Programmbeschwerde die antisemitische Wahrnehmung der Bühnenfigur der Sexualstraftäter als Juden schlicht übernahm (schuldige und straffällige "Minderheiten"), wie auch ein großer Teil der veröffentlichten Meinung der Bundesrepublik, vollbrachte dennoch dieses Kunststück. Der WDR wörtlich:
Die mehrfach preisgekrönte Künstlerin erörtert die Schwierigkeiten im Umgang mit Minderheiten, mit Schutzwürdigen, mit Verehrungswürdigen, wenn diese Personengruppen sich Verfehlungen leisten, schuldig werden oder straffällig.
WDR
Schon diese Antwort, die durch Männer begangene Vergewaltigungen zu Straftaten von Minderheiten erklärt, stellt einen Skandal dar. Derselben Logik folgend, könnte mensch alle WDR-Mitarbeiter als Rassisten und Antisemiten bezeichnen.
Der WDR sprach in seiner Replik von Minderheiten, weil die antisemitische Äußerungen der Kabarettistin eingebettet waren in einen penisfixierten Rassismus, dem die Vergewaltigungen durch Bill Cosby zum Vorwand dienten, um entsprechende Stereotype zu verbreiten.
Ein Motiv dieses "Humors", den die Kleinkünsterin zum Besten gibt, besteht faktisch in einer rassistischen Penis-Vermessung. Hier ein Beispiel:
Nimmt man von allen Ching-Chongs die Ding-Dongs und legt sie nebeneinander auf, hat man etwa die Länge einer kongolesischen Vorhaut.
Lisa Eckart
Vor dem Hintergrund solcher Äußerungen scheinen sich auch die Umrisse der Kultur abzuzeichnen, die von den gegen die angebliche "Cancel-Culture" gerichteten Kampagnen, derzeit etwa an den Unis, verteidigt wird: Es ist eine "Vorhaut-Kultur", deren autoritärer Humor sich in der Mobilisierung für das nächste Pogrom einbettet.
Die antisemitischen Motive vom lüsternen reichen Juden, die schon in Goebbels "Jud Süß" zu finden sich, docken bei Eckharts Auftritten gewissermaßen an eine feministische Kampagne an. Das Ressentiment durchläuft ein pseudo-progressives Verpuppungsstadium, bevor es durchbricht und manifest wird. Der Hass der neuen Rechten auf die "politische Korrektheit" wird bespielt und auch bedient.
Auch wenn die absurd scheinende Frage der Bühnenfigur Eckharts, ob die MeToo-Bewegung antisemitisch sei, es nahelegt, dass sie genau weiß, was sie da anrichtet, müsste selbst eine unreflektierte, quasi dem "Bauchgefühl" Ausdruck verleihende Motivationslage als antisemitisch bezeichnet werden.
Dieses affektgetriebene, eruptive Moment, wo "es" plötzlich aus dem Ich spricht, ist gerade charakteristisch für das Festsetzen antisemitischer Ressentiments. Dies hat gerade Goebbels verstanden, der bei "Jud Süß" den subtilen, indirekten Weg wählte, um durch den Handlungsverlauf und die Charakterkonstruktion die Vertiefung antisemitischer Ressentiments zu befördern.
Geschäftsmodell Tabubruch
Ob es nun Absicht und Kalkül war, oder ob sich die Kleinkünstlerin aus dem Affekt zu ihren Ressentiments hinreißen ließ, ist somit - angesichts des objektiv antisemitischen Charakters der obigen Äußerungen - genauso sekundär wie ihre späteren Rechtfertigungsversuche und Ausreden. Entscheidend ist die ungeheure Wucht, die der Skandal auslöste. Im Jahr mit der höchsten Zahl antisemitischer Straftaten seit der Einführung der entsprechenden Statistik wurde Frau Eckhart in den Massenmedien zu einem Opfersymbol aufgebaut.
Der Skandal und die daraus entspringende Antisemitismus-Debatte des Jahres 2020 bildete faktisch einen ungeheuren Karriereschub für die Künstlerin - während zugleich das übliche rechte Gejammer einsetzte, das Kritik an ihren Äußerungen als Ausdruck einer Gutmenschen-Diktatur darstellte. Die rechten Kampagnen, die unter dem Vorwand des Kampfes gegen eine angebliche "Absage- oder Löschkultur" gerade im Gefolge der Antisemitismus-Debatte an Breite gewannen, sehen ja faktisch Äußerungen deutscher Kultur durch Kritik an Eckhart bedroht.
Diese Opferrolle Frau Eckharts kontrastierte mit Dutzenden von Interviews oder Fernsehen-Aufritten, die faktisch aufgrund ihrer antisemitischen und rassistischen Grenzüberschreitungen möglich wurden. Die "marginalisierte" österreichische Vorhaut-Expertin konnte sich im Gefolge des Skandals unter anderem im ZDF, bei der Süddeutschen Zeitung, der taz, dem Tagesspiegel, dem Tagesanzeiger, der Wiener Zeitung, der Berliner Zeitung, der NZZ, dem Spiegel, dem MDR, dem Saarländischen Rundfunk, dem Hessischen Rundfunk, dem Deutschlandfunk, dem ORF, der Augsburger Allgemeinen, der Leipziger Volkszeitung und bei Bremen Eins produzieren.
Den Höhepunkt der steilen Medienkarriere - an deren Anfang ein antisemitischer Tabubruch lag - bildete Eckharts Auftritt im literarischen Quartett, also in der Fernsehsendung, die wie keine andere von einem jüdischen Intellektuellen, von Reich-Ranicki, geprägt worden ist.
Die ganz große Runde im deutsch-österreichischen Medienzirkus, die die Kabarettistin absolvieren konnte, ist vor allem Ausdruck der großen Marktnachfrage, die sich bei solchen Auseinandersetzungen einstellt. Die Interviews, Selbstdarstellungen und Auftritte brachten schlicht Umsatz: Sie erhöhten die Zugriffszahlen, die Quote, den Zeitungsabsatz.
Starkes Bedürfnis nach eben diesen Ressentiments
Diese Nachfrage stellt sich gerade deswegen ein, weil es in weiten Teilen der Bevölkerung ein starkes Bedürfnis nach eben diesen Ressentiments herrscht. Wie groß der entsprechende Markt für Ressentiments ist, machte die Sarrazin-Debatte klar, die gewissermaßen als Urknall der Neuen Rechten fundierte - und in deren Verlauf dessen wirres Elaborat immer neue Verkaufsrekorde brach.
Sarrazins dummes Machwerk "Deutschland schafft sich ab", in dem Rassismus und Sozialdarwinismus zur Erklärung krisenbedingter sozialer Erosionstendenzen herangeführt werden, gehört zu den meistverkauften Büchern Deutschlands, gleich nach der Bibel und Hitlers "Mein Kampf".
Mit dem Aufstieg der Neuen Rechten in der Bundesrepublik etablierte sich somit auch ein Milieu an Kleinkünstlern und Selbstdarstellern, das diese Nachfrage bedient - und/oder mit ihr spielt - und Sarrazin gewissermaßen nacheifert. Mensch könnte hier tatsächlich von einem kulturellen Überbau der Neuen Rechten sprechen. Die zivilisatorische Grenzüberschreitung, der kalkulierte Tabubruch, bei dem mit Ressentiments gespielt wird, bilden gewissermaßen die Geschäftsgrundlage dieses Milieus.
Im Zeitalter des Rechtsterrorismus imaginiert man die Bundesrepublik im Griff einer politisch korrekten Meinungsdiktatur. Die Vorgehensweise ist bereits standardisiert, die Rollenverteilung eingespielt: Sobald Kritik an rassistischen, sexistischen oder antisemitischen Äußerungen geäußert wird, wirft man sich in die Opferpose, sieht sich als verfolgte Unschuld, die ans Kreuz der politischen Korrektheit geschlagen werde, während die Massenmedien die Sache hochkochen und für die notwendige Publizität sorgen, die den Tabubrechern den üblichen Karriereschub verpasst.
Das langfristige Problem bei dieser Strategie, die auf der Überschreitung zivilisatorischer Mindeststandards beruht, besteht nur darin, dass die Dosis permanent erhöht werden muss. Welche "Tabus" sind noch nicht gebrochen worden? Gegen wen darf man noch nicht hetzen in einer "Kultur", in der rassistische Penis- und Vorhautvermessungen als Humor aufgefasst werden?
Das letzte Tabu im Land der Täter stellt der krisenbedingt zunehmende Antisemitismus dar, der sich 2020 in dem eingangs besprochenen Höchststand antisemitischer Straftaten manifestierte. Das Bedürfnis, "dem Juden" endlich mal freiheraus die Meinung sagen zu können, verzehrt die Antisemiten der Bundesrepublik. Und es ist eben dieser dunkle, ans Licht der Öffentlichkeit strebende Trieb, dem die Bühnenfigur Lisa Eckharts mit ihren Äußerungen über lüsterne Geldjuden ein Ventil verschafft.