Antisemitischer Antizionismus im Sommerloch
Ted Honderich rechtfertigt palästinensische Selbstmordattentäter
Antisemitische Spurenelemente im Sommerloch sind an sich höchst verdächtig. Ist doch zu besorgen, dass ein medienträchtig immergrünes Thema selbst mit einem Spektakelchen die Aufmerksamkeit erzielt, die in der übrigen Jahreszeit durch Ereignisse verdrängt werden könnte. In der Jubiläumsreihe "40 Jahre edition suhrkamp" erschien "Nach dem Terror. Ein Traktat" ("After the Terror"), in dem sich der britisch-kanadische Philosoph Ted Honderich nun auch am ausgekauten Thema "Nine Eleven" globalmoralisch versucht. Honderich hängt das Thema mindestens so hoch, wie es die stolzen Wahrzeichen des Kapitals einst gewesen sind und demnächst wieder sein werden.
Honderichs moralischer Fundamentaldiskurs traktiert eine der ältesten moralphilosophischen Fragestellungen, nämlich die nach dem guten und schlechten Leben. Also sind die politischen, ökonomischen und moralischen Schräglagen dieses wunderlichen Erdballs zu erörtern. Also geht es um den Terror als Antwort der Verdammten dieser Erde auf die kapitalistischen Ungerechtigkeiten. Also ist auch der Befreiungskampf des palästinensischen Volkes gegen Israel gerechtfertigt. Also haben sich die palästinensischen Attentäter in ihren Selbstmordattentaten selbst gerechtfertigt. Also sprach Honderich...
Dieser nicht übertrieben originelle Ansatz vom kapitalistischen Stöckchen zum terroristischen Hölzchen hat - wer weiß es? wer weiß es? - genau: die üblichen Verdächtigen aller Lager auf den Plan gerufen. Für die antisemitischen Spurensucher ist Honderich der klassische antisemitische Antizionist. Die Diskurswahrer auf der anderen Seite erklären uns wiederum die sattsam bekannten Unterschiede zwischen Antizionismus, Antisemitismus und der Kritik an der israelischen Siedlungspolitik. Wir möchten das eigentlich nicht mehr hören, weil der Erkenntnisgewinn mal wieder kaum über das pure Ereignis herauskommt, das eines sein will und vor allem jahreszeitenbedingt eines sein darf.
Micha Brumlik, Direktor des Fritz Bauer Instituts, schrieb einen offenen Brief an die Frankfurter Rundschau (FR), weil er vermutlich gerade die Telefonnummer des Suhrkamp-Verlages verlegt hatte und konstatierte "antisemitischen Antizionismus". Dabei verglich er Honderichs politmoralischen Schnellparcours mit Möllemanns Flugblattaktion und Martin Walsers inkriminierten Roman "Tod eines Kritikers" (Der Möllemann, der Antisemitismus und der Tod eines Kritikers).
Jürgen Habermas muss das anders sehen, hat er doch das Opus für die Suhrkamp-Reihe empfohlen. Und der Diskurstheoretiker hat zwar nicht "Oops" gesagt, aber beim zweiten (?) Lesen einiger Passagen des Werks aufgestöhnt. Etwa der: "Als Hauptopfer von Rassismus in der Geschichte scheinen die Juden von ihren Peinigern gelernt zu haben." Nun weiß man, wie das mit diesen Empfehlungen mitunter so läuft: Die geflissentliche Lektüre muss nicht zwingend die erste Voraussetzung solcher Literaturtipps sein. Immerhin verteidigt Habermas seine Entscheidung mit dem Ansatz des Autors, den 11. September in einen moralphilosophischen Kontext zu stellen.
Auch das ist nicht zu plausibel, nachdem die Moralkeulen sämtlicher politischer Lager nach dem Weltschicksalstag doch so heftig gegeneinander prallten, dass alle "Neocons", Fundamentalisten und Manichäer einträchtig zwieträchtig frohlockten. Denn wenn sich die Fraktionen dieser Welt ohne Zögern auf ein Thema geeinigt hatten, waren es doch diese moralisch hochtönenden Schlachten, die den realen vorangingen, aber kaum fairer geschlagen wurden.
Habermas hält Honderichs moralische Exkurse zwar für ein "hemdsärmeliges Pamphlet", aber längst nicht für antisemitismusverdächtig. Henryk M. Broder hat einen spöttischen Zwischenruf zum Thema spendiert, dass Herr Professor Brumlik mit seiner Protestpose wohl noch die letzten Urlaubsvorbereitungen abschloss. Vor allem Brumliks Empörung, dass nun ausgerechnet der Suhrkamp-Verlag dieses Werk verlegte, will Broder so gar nicht einleuchten. Schließlich wurde Walser auch nicht gecancelt und Verlage wären wohl kaum auf einen Geist festzulegen, sondern eben auf das übliche Sammelsurium disparater Meinungen. Dass das Ethos der Verlage die eigene Haushaltspolitik nicht allzu sehr gefährden darf, wussten wir auch seit je.
Immerhin gibt es als kognitive Sättigungsbeilage dieses tendenziellen Nullsummenspiels aber einige neugeschöpfte, zukünftig höchst ventilierungsverdächtige Kategorien. Micha Brumlik labelte Honderichs schneidige Moralgeschichten mit dem Wortungetüm "Philosophischer Judenhass". Harry Nutt von der FR räsoniert zwischen "programmatischem" und "beiläufigem" Antisemitismus.
Da das Böse bekanntlich "immer und überall" ist, kann für den Antisemitismus nichts anderes gelten: Selbst da, wo er sich unkenntlich macht, wird irgendeiner ihm die menschenfreundliche Maske von der Fratze reißen. Nur mitunter zieht man eben dann auch an solchen Bärten, die nicht angeklebt sind und überdies an jenen, die einigen Moraldiskursen inzwischen gewachsen sind. Jene Zeiten, in denen Houston Stewart Chamberlain die "Grundlagen des 19. Jahrhunderts" schrieb und keinen Zweifel daran ließ, was manifester Antisemitismus ist, sind dahin. Das muss kein Grund sein, den larvierten Antisemitismus zu ignorieren. Immerhin wird aber bei solchen "Klassikern" der Menschenverachtung wie Chamberlains Tiraden deutlich, was Antisemitismus eigentlich ist: Das Judentum wird zu einem überhistorischen Erklärungsprinzip gemacht, das für die Übel und Widrigkeiten der Welt verantwortlich ist, um darin die unbedingte Legitimation seiner Bekämpfung respektive Vernichtung zu finden. Zitat Honderich
The Palestinians are right to look back to Fascist Germany and say they are the Jews of the Jews.
Ted Honderisch
Damit zieht der Moralphilosoph einen historisch unzulässigen Vergleich, der dieses überhistorische Prinzip des Antisemitismus zumindest streift, weil die Vorgänge in Israel, wie immer man sie im Einzelnen bewertet, nichts mit der Politik einer totalen Vernichtung zu tun haben. Dieser Vergleich Honderichs hat wohl vor allem eine rhetorische Funktion, die eigene Moralposition mit der nötigen Bedeutung auszustatten. Allerdings hat Honderich diese Aussage so nicht im Buch getroffen, sondern auf seiner Website, die den narzisstischen Vorkämpfer des besseren Lebens für alle Bewohner dieses Globus zudem in martialischer Pose mit hoch gereckter Kampffaust präsentiert.
Suhrkamp jedenfalls reicht es. Es wird keine Neuauflage des bereits in erster Auflage vergriffenen Buches geben und die Rechte werden wieder abgetreten. Das muss der Verbreitung des Opus nicht schaden, nachdem Brumlik und andere nun für die nötige Aufmerksamkeit gesorgt haben. Die Frankfurter Rundschau hofft gar auf Fortsetzungen: "Es gibt weiteren Erklärungsbedarf hinsichtlich der verlegerischen Entscheidung." Sicher gibt es den. Denn ganz so schnell will man sich diesen abgenagten Knochen dann doch nicht abjagen lassen. Nur der Erklärungsbedarf für die Zeitungsmisere könnte mal wieder ein wenig gestillt worden sein.