Arbeit muss sich lohnen? Wer's glaubt, wird selig!

Seite 2: Justine Kenzler: Ausbeutung unter Menschenrechtlern

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Die Internetseite Human Rights Careers hat einen längst überfälligen Artikel zu den unfairen Praktikumsrichtlinien der Vereinten Nationen (VN) geschrieben. Obwohl fast jeder Einstiegsjob voraussetzt, dass man praktische Erfahrung (also Praktika) mitbringt, ist es leider gang und gäbe, dass diese, selbst wenn es um längere Zeiträume geht, nicht bezahlt werden.

Nun ist es geradezu paradox, dass sogar die VN, die größte aller Menschenrechtsorganisationen, junge Menschen ökonomisch ausbeuten und sie für ihre Arbeit schlichtweg nicht bezahlen. Die Autoren des Artikels auf Human Rights Careers erkennen ganz richtig, dass junge Menschen damit in eine extrem angreifbare Position gebracht werden.

Obwohl Praktika Voraussetzung für fast jeden Job sind, werden sie durch diese Regelungen zunehmend nur den Menschen einer bestimmen gesellschaftlichen Stellung ermöglicht. Die nicht vorhandene oder nicht ausreichende Bezahlung von Praktika stellt mit Sicherheit die größte Problematik dar, aber auch ein anderer Aspekt ist mehr als fragwürdig. Denn laut Human Rights Careers ersetzen unbezahlte Praktikanten regelmäßig bezahlte Einstiegsjobs.

Diese systematische Einsparung an bezahlten Positionen birgt zweierlei Probleme: Erstens reduziert sie drastisch die Zahl der Einstiegsjobs für Berufsanfänger und zweitens wird der Sinn eines Praktikums zu dem einer unbezahlten, jedoch unentbehrlichen Arbeitskraft zweckentfremdet.

Im letzten halben Jahr musste ich auch persönlich die enttäuschende Frustration erleben, als eingeschriebene Masterstudentin mit abgeschlossenem Bachelor einer erstklassigen Universität, einem weiteren abgeschlossenem Masterstudium und viel Auslandserfahrung scheinbar sogar für unbezahlte Praktika unterqualifiziert zu sein. Auf Rückfrage wurde mir ein ums andere Mal mitgeteilt, dass andere Kandidaten "besser passen" oder "mehr Erfahrung mitbringen".

Ein Praktikum sollte die Möglichkeit bieten, erlernte Fähigkeiten anzuwenden und erste praktische Erfahrungen in dem jeweiligen Bereich zu sammeln. Wie kann es da also sein, dass "zu wenig Erfahrung" so oft als Ablehnungsgrund genannt wurde? Natürlich ist es möglich, dass mein Profil einfach nicht überzeugte und andere Bewerber schlichtweg besser waren als ich.

Doch auch aus einem anderen Grund als der persönlichen Enttäuschung stimmt mich dieser erbitterte Kampf um unbezahlte Praktika sehr missmutig. Die Liste von Erwartungen meiner potenziellen Arbeitgeber für Praktikanten ist nämlich schier unendlich: Exzellente Leistungen an der Universität, exzellente Kenntnisse von zwei oder mehr Sprachen, exzellente kommunikations- und organisatorische Fähigkeiten, umfassende praktische und ehrenamtliche Erfahrung, sowie Auslandserfahrungen sind der Maßstab.

Selbst der beste Student fragt sich bei solchen Anforderungen doch nach dem Realitätsbezug der Arbeitgeber, insbesondere in Hinblick auf die Stelle, auf die man sich bewirbt, nämlich lediglich die eines Praktikanten. Außerdem ist anzumerken, dass nicht nur die Regelung der unbezahlten Praktika systematisch diejenigen bevorzugt, die es sich leisten können, monatelang unbezahlt zu arbeiten. Auch die endlose Liste an Anforderungen setzt ein bestimmtes Maß an Elitarismus voraus, denn sich ehrenamtlich engagieren, immerzu exzellente Leistungen erbringen und im Ausland leben oder studieren, muss man sich auch erstmal leisten können.

Diese toxische Kombination aus der schieren Verweigerung eines ökonomischen Ausgleichs für erbrachte Arbeit und somit der ehrlichen und wirklichen Chancengleichheit, als auch dem absolut unangebrachten und unerreichbaren Maß an Forderungen nach Exzellenz und Leistung wird sicherlich nicht zu einer vielfältigen, leidenschaftlichen und zukunftsfördernden Generation führen, sondern stattdessen zu nach Perfektionismus strebenden Robotern.

Aber was können wir nun aus dieser Erkenntnis ziehen? Ich denke, dass mit Kritik und Einsicht auch immer eine bestimmte Verantwortung einhergeht; und in diesem Falle bedeutet das, dieses Spiel nicht mitzuspielen. Wir müssen dieser Ausbeutung kollektiv die Stirn bieten und uns weigern, unbezahlt zu arbeiten, uns weigern, dieses System mit aufrechtzuerhalten. Ich selbst habe un- oder unterbezahlte Praktika nach dieser frustrierenden Erfahrung abgelehnt, zusammen mit einem langen Schreiben als Beilage, das diesem hier ähnelte.

Wir sollten uns doch mitteilen, offen kritisieren und Rückgrat haben, statt uns regelmäßig nur bei Gleichgesinnten darüber auszulassen, wie unfair die Bedingungen für den Arbeitseinstieg sind. Stattdessen muss diese Nachricht vor allem bei denjenigen ankommen, die uns so ganz selbstverständlich und schamlos ausnutzen.

Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.