Armes Deutschland, reiches Deutschland

Die deutsche Ökonomie hängt immer stärker vom Weltmarkt ab - und damit von den USA

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Die Wirtschaftslage in Deutschland wird noch düsterer, wie die Nachrichten Ende Februar zeigen. Die Marke von sechseinhalb Millionen Arbeitslosen, die die Januar-Statistik ausweist, wird nach einer Ankündigung von Minister Wolfgang Clement im Folgemonat noch übertroffen werden. Das Bruttoinlandsprodukt im letzten Quartal 2004 wies nach den gerade veröffentlichten Zahlen wieder ein Minus aus - diesmal waren es 0,2 Prozent.

Nachdem die deutsche Wirtschaft im vorhergehenden Dreivierteljahr leicht gewachsen war, stoppten Investoren und Konsumenten ausgerechnet kurz vor dem Inkrafttreten der neuen Sozialgesetze ihre Ausgaben, auch das Weihnachtsgeschäft war mau. Der Trend könnte sich 2005 fortsetzen: . "Eine Rezession zum Jahresbeginn schließe ich nicht mehr aus", sagte Konjunkturforscher Scheide vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Geiz ist geil? Es handelt sich eher um Angstsparen. Da keiner weiß, was kommt, halten alle das Geld zusammen.

Die Stagnation bzw. Rezession der deutschen Wirtschaft stehen in einem - auf den ersten Blick - merkwürdigen Kontrast zu ihren Erfolgen auf dem Weltmarkt. "Im Vergleich zu 1993 haben sich die deutschen Exporte im Jahr 2003 verdoppelt ... und der Ausfuhrüberschuss hat sich sogar vervierfacht", meldete das Bundeswirtschaftsministerium schon im letzten Sommer stolz. Im Jahr 2004 wurde die Rekordmarke des Vorjahres trotz des teuren Euro und hoher Ölpreise noch einmal übertroffen. Die Ausfuhren legten nach Schätzung des Statistischen Bundesamts um 10,0 Prozent auf einen Wert von 731 Milliarden Euro zu. Abzüglich der Einfuhren in Höhe von 575 Milliarden Euro bleibt ein Überschuss von knapp 156 Milliarden Euro, das bedeutet nach den 130 Milliarden Euro des Vorjahres einen neuen historischen Höchststand.

Das Exportvolumen der Bundesrepublik hatte bereits 2003 das der USA übertroffen, Deutschland war zum sogenannten Exportweltmeister aufgestiegen. Während "wir" unsere Weltmarktanteile halten konnten, mussten andere führende Industrienationen an die Newcomer in Osteuropa und an die Volksrepublik China abgeben. So ging der Weltmarktanteil der USA zwischen 1993 und 2002 von 14 auf 11,6 Prozent zurück und der von Japan von 8,4 auf 5,4 Prozent. Auch der Beitrag der Ausfuhrgewinne an der inländischen Wertproduktion übertrifft den jedes anderen Landes bei weitem und wird immer stärker:

Der Anteil der Exporte am Sozialprodukt lag 2003 bei 35 Prozent und ist damit in den vergangenen zehn Jahren um über 11 Prozent-Punkte gestiegen.

Bundeswirtschaftsministerium im Juli 2004.

Wesentlich verantwortlich für diese Spitzenposition ist der Druck der Unternehmer auf die Beschäftigten, der effektiver ist als in anderen Ländern:

Die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeit nahm zu: Die Lohnkosten je Stunde stiegen nur um 0,1 Prozent; das hat es in den vergangenen 30 Jahren nie gegeben. Die Arbeitsproduktivität je Stunde wuchs um 1,3 Prozent. Die Lohnstückkosten je Stunde fielen damit um 1,1 Prozent, zum ersten Mal seit 1997.

FAZ Mitte Januar

Allein in den 4,7 Tagen, die die Beschäftigen im letzten Jahr mehr arbeiten mussten, wurden Waren oder Dienstleistungen im Wert von 13 Milliarden Euro produziert. Diese Wertschöpfung ging zu hundert Prozent an die Kapitalbesitzer - die Mehrarbeit wurde nicht vergütet. Je mehr die Arbeitenden produzieren und schuften, um so weniger neue Arbeitskräfte werden benötigt. Kein Wunder, dass die offizielle Arbeitslosenquote auf den Rekordwert von 9,3 Prozent stieg - so hoch wie zuletzt 1997, als einige aktuelle Statistiktricks noch nicht eingeführt waren.

Trotz der erwiesenen Konkurrenzvorteile Deutschlands fordert die Industrie von den Gewerkschaften, den Gürtel noch enger zu schnallen. Dass immer noch deutsches Kapital ins Ausland abfließe, so das Argument, beweise doch, dass der Standort immer noch unter zu hohen Lohnkosten leide. "Umgekehrt wird ein Schuh draus", stellt Heiner Flassbeck, in Lafontaines kurzer Amtszeit Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, fest:

Weil die Löhne in Deutschland über ein Jahrzehnt in Relation zur Produktivität viel schwächer gestiegen sind als im Ausland, konnten so gewaltige Überschüsse aufgehäuft werden, dass damit Unternehmen im Ausland aufgekauft werden konnten.

Heiner Flassbeck

Der Bestand deutscher Direktinvestitionen in anderen Ländern hat sich zwischen 1980 und 2000 auf 442 Milliarden Dollar verzehnfacht. Mittlerweile sind allein in den USA 3.000 deutsche Unternehmen mit schätzungsweise einer Million Beschäftigten präsent. Für Siemens zum Beispiel, dessen US-Filialen allein 80.000 Menschen beschäftigen, sind die Vereinigten Staaten der größte Einzelmarkt geworden, noch vor Deutschland.

Importstaubsauger USA

Würden jeder Staat der Erde wie Deutschland ein Drittel seiner Produktion exportieren, würden sich auf dem Weltmarkt unverkäufliche Automobilberge, Computerhalden und Ölmeere bilden, gegenüber denen die unverkäuflichen Rindfleischberge und Milchseen in der EU wie Sandkastenerzeugnisse eines Dreijährigen erschienen. Zum Glück für das deutsche Kapital gibt es aber die USA mit ihrer importlastigen Wirtschaft. Der dortige Binnenmarkt ist so stark und so riesig, dass er die Überschüsse auf dem Weltmarkt absorbieren kann. Die US-Amerikaner kaufen die Autos, die die Europäer, und die Computer, die die Asiaten produzieren, aber auf ihren eigenen Märkten nicht absetzen können.

Aufgrund seiner Exportorientierung wurde das deutsche Kapital im Verlauf der neunziger Jahre immer abhängiger von den USA. Während die deutschen Ausfuhren insgesamt um knapp 90 Prozent zunahmen, explodierte die Warenausfuhr in die USA um 217 Prozent. Jeder fünfte Euro, den deutsche Firmen außerhalb der Euro-Zone umsetzen, ist ein Dollar und kommt aus den USA. Waren die Vereinigten Staaten zu Beginn des letzten Jahrzehnts nur der sechstwichtigste Handelspartner, so haben sie sich jetzt mit einem Anteil von zehn Prozent zum zweitwichtigsten Abnehmer deutscher Exporte entwickelt. Nur Frankreich kauft noch mehr Produkte "Made in Germany". Vor allem aber erwirtschaftet Deutschland im Warenaustausch mit den USA höhere Gewinne als mit irgendeinem anderen Partner (22,7 Milliarden Euro 2003, also mehr als ein Sechstel des gesamten deutschen Exportüberschusses).

Die indirekte Abhängigkeit ist noch größer, denn der Weltmarkt insgesamt hängt von der Nachfrage in den USA ab. Die Volksrepublik China etwa, die letztes Jahr drei Mal mehr Waren als Deutschland kaufte, erwirtschaftet die für diese Importe notwendigen Devisen durch ihre steigenden Exporte in die Vereinigten Staaten.

Der Preis, den die Amerikaner für ihre Rolle als Importstaubsauger für deutsche, chinesische, japanische und andere Waren zahlen, ist hoch: Im November 2004 stieg das monatliche US-amerikanische Handelsbilanzdefizit um 7,7 Prozent auf das Allzeithoch von 60,3 Milliarden Dollar. Aufs Jahr umgerechnet wäre dies ein Fehlbetrag von schwindelerregenden 720 Milliarden Dollar - man vergleiche dies mit den eingangs erwähnten deutschen Kennziffern.

Wer einen Grund sucht, warum Schröder sich nach dem Zerwürfnis mit Bush wegen des Irak-Krieges wieder an den US-Präsidenten herangerobbt hat, sollte an diesen Zusammenhängen nicht vorbei gehen.