Athen kennt keine Winterreifen

Weiße Nebensächlichkeiten aus der griechische Metropole

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Es schneit selten in Athen. Aber wenn es schneit, gibt es kein anderes Thema mehr. Schnee in Athen hat, zumindest solange die weiße Decke liegen bleibt, das Monopol als gesellschaftliches Ereignis. Das morgendliche Frühstücksfernsehen zeigt auf allen Kanälen in Skijacken, Mützen und Handschuhe gepackte Reporter, die zitternd vor Kälte, aber enthusiastisch die ohnehin selbsterklärende Szenerie des Verkehrschaos beschreiben. Die vermummten Reporter und der Schnee werden die Nachrichten für die Dauer des Schneefalls dominieren, den ganzen Tag findet sich mindestens ein Kanal, der die Lage thematisiert.

Athen kennt keine Winterreifen. Aufgrund seiner geographischen Lage, etwa 300 Sonnentagen und eben mediterranen Temperaturen sind die Stadt und das Umland auch nicht im Besitz einer größeren Anzahl von Schneeschiebern. Stattdessen werden Raupen und Bagger zur Schneeräumung eingesetzt. Wer die Stadt mit dem Auto verlassen will, muss Schneeketten besitzen. Wer keine hat wird, von der Verkehrspolizei an den Ausfallstraßen der Stadt angehalten und zurückgeschickt. Wer bei einsetzendem Schneefall welche kaufen will, muss schnell sein. Die Preise für Schneeketten steigen mit dem Fall der ersten Flocken rasch auf das Mehrfache des Normalpreises. Trotzdem gehen die Dinger weg wie warme Semmeln und sind nach kurzer Zeit ausverkauft.

Sollten Sie ausgerechnet jetzt eine Flugreise geplant haben, werden Sie zwar kaum wirklich abheben, dafür aber haben Sie gute Chancen, ihrem Ärger bei einem der zahlreichen, auch auf dem Flughafen herumspringenden Reporter Ausdruck zu geben. Wer in Reiseprospekten mit Strandurlaub wirbt, hat eben auch auf dem nationalen Prestigeprojekt des neuen Flughafens der Hauptstadt keine Sibirien taugliche Ausstattung an Enteisungsmaschinen. Dies ist zwar logisch, kann jedoch nicht akzeptiert werden. Das Ding hat soviel Geld gekostet, jetzt soll es gefälligst auch unter allen Bedingungen funktionieren. Mit Recht wird erwartet, dass zumindest die Informationen darüber stimmen, wann der Flugverkehr wieder aufgenommen wird. Bei einem Schneefall vor vier Jahren harrten die Rekordhalter im Warten über 40 Stunden in der Abflughalle des Flughafens aus.

Der Schnee trübt auch den Glanz eines weiteren Prestigeprojektes Griechenlands. Bis vor kurzem konnten die Athener noch gut ohne die inzwischen fertiggestellte, von einer privaten Firma gebauten und unterhaltenen Stadtautobahn, die Athen mit dem Flughafen und dem Richtung Korinth gelegenen Elefsina verbindet, leben. Die einzige schlaglochfreie Straße Athens ist vor allem durch das als Ringautobahn um Athen führenden Teilstück ein Segen bei der Verminderung des täglichen Verkehrschaos in der Metropole. Wenn dieses Produkt modernster Straßenbautechnologie, dessen Benutzung pro Fahrt immerhin 2,7 Euro Gebühr kostet, durch einige Zentimeter Neuschnee für 2 Tage außer Betrieb gesetzt wird, dann ist das ein Schlag gegen die Seele der Nation. Wenn es etwas kostet, muss man es auch benutzen können. Da nutzt es wenig, wenn die Betreiberfirma nach der Schneeschmelze als Ausgleich für 2 Tage auf die Erhebung der Gebühr verzichtet.

Der Athener geht unterdessen auf eigene Art gegen die Plage vor. In Ermangelung eines Schneeschiebers wird der Weg vom Bürgersteig zur Haustür mit dem Gartenschlauch freigeschmolzen. Auf die gleiche Weise befreit man auch sein Auto vom Schnee. Dass dabei der Bürgersteig und die Fahrbahn vor dem Haus in eine Eispiste verwandelt werden, stört zwar, aber darum soll sich gefälligst der Staat kümmern.

Die Kinder sind wohl die einzigen Genießer des Schnees. Ihnen bleibt viel Zeit für Schneeballschlachten und zum Schneemannbauen. Die Schulen in vielen Teilen der Hauptstadt bleiben geschlossen, da die Schulbusse nicht fahren. Eher gelassen nimmt das Wahrzeichen Athens, die Akropolis, die Lage. Die Bilder des mit Puderzucker bedeckten Parthenons gehen mit den Nachrichten um die Welt. Und das hilft, den verwundeten Stolz der Athener zu heilen.