Atomkraft: Wir werden diesen Krieg verlieren
Österreichs neuer Bundeskanzler Karl Nehammer ist pessimistisch, was den Kampf des Landes gegen die aufziehende Renaissance der Atomkraft in Europa betrifft
Österreich verfügt über gewisse Besonderheiten. Obwohl das Land streng strukturkonservativ ist, hat überraschenderweise das österreichische Militär das weltweit wohl schlechteste Ansehen in der eigenen Bevölkerung. Herr und Frau Österreicher halten die Armee schlicht für überflüssig, ohne dabei antimilitaristische oder gar pazifistische Positionen zu vertreten.
Hier darf gerne ein gewisser innerer Widerspruch diagnostiziert werden. Ähnlich verhält es sich mit der Ablehnung der Atomkraft, die in Austria einfach Folklore ist, ohne dass dies mit sonderlich reflektierten Haltungen zur Energiewirtschaft verbunden wäre.
Man mag einfach irgendwie keine Atommeiler – und in den Protest gegen die Atomanalagen im grenznahen tschechischen Temelín mischte sich gerne ein feines Stäubchen Chauvinismus. Im Sinne von: "Der rückständige 'Osten' will uns unser schönes Österreich vergiften." Dass Österreich trotz seiner enormen Wasserkraftressourcen allenfalls eine durchwachsene Energie-Ökobilanz aufweist, fällt gerne unter den Tisch. Das Land hält sich einfach für "Bio" – ohne jede auffällige Bereitschaft, dafür auch etwas tun zu wollen.
Warum das Land so vehement gegen Atomkraft ist
Die verfestigte Anti-Atomkrafthaltung, die weit in erzkonservative Kreise hineinreicht, hat eine besondere historische Genese. Der ehemalige SPÖ-Überkanzler Bruno Kreisky, der sehr zum Zorn der konservativen Reichshälfte das Land stark geprägt hat, war ein überzeugter Befürworter der Atomkraft und wollte im niederösterreichischen Zwentendorf Ende der 1970er-Jahre ein eigenes Kraftwerk errichten.
Die Hippies kamen, protestierten – und die österreichische Umweltbewegung nahm Fahrt auf. Es hätte vermutlich niemanden gejuckt, weil die konservative "schweigende Mehrheit" das damals als zeitgemäß und modern geltende Projekt trotzdem durchgewunken hätte. So dachte es sich zumindest Bruno Kreisky, der 1978 eine Volksabstimmung zum Kraftwerksbau durchführen ließ.
Zu seiner Überraschung hatte der Protest aber derart Zulauf bekommen, dass die Abstimmung knapp zu werden drohte. Kreisky legte deshalb sein ganzes Gewicht in den Kampf um das Kraftwerk und drohte im Falle einer Niederlage zurückzutreten. Die österreichische Volkspartei sah deshalb ihre Chance und warb für den Atomausstieg ohne echte Atomkraftskepsis. Die konservative ÖVP sah einfach ihre Chance, Kreisky loszuwerden.
Der erfolgsverwöhnte SPÖ-Kanzler verlor die Abstimmung über das Kraftwerk, trat bei der nächsten Nationalratswahl dennoch als Spitzenkandidat an und fuhr den größten Wahlerfolg seiner Karriere ein. Die Beweggründe der österreichischen Wahlbevölkerung sind unergründlich. Seit dem ist man, egal ob sozialdemokratisch oder konservativ, in Österreich gegen die Nutzung der Kernkraft.
Ein Glück für die Koalitionäre
Für die aktuelle Regierungskoalition aus ÖVP und Grünen, die bislang nicht gerade von Gemeinschaftssinn und wechselseitiger Hochachtung geprägt war, ist der Kampf gegen die EU-Atomgesetze ein Geschenk des Himmels. Denn hier stimmen die Koalitionäre in unbekannter Eintracht überein. Die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler will gegen die neuen EU-Richtlinien klagen, die Unterstützung des Kanzlers Nehammer dürfte ihr gewiss sein.
Der ist allerdings frei von Siegesgewissheit. "Wahrscheinlich verlieren wir den Krieg", meinte der Mitte Dezember vom EU-Gipfel zurückgekehrte österreichische Bundeskanzler. Die EU möchte Erdgas und Atomkraft als umweltfreundlich und deshalb förderungswürdig einstufen. Die überarbeitete Taxonomie soll Investoren den Weg zur "grünen Technologie" Atomkraft weisen.
Österreich fehlen schlicht die Verbündeten, um dies abzuwenden. Die kleinen, rechten Frechen in Zentraleuropa, die der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz mit durchwachsenem Erfolg bei Anti-Migrationsthemen zu einem Bündnis bewegen konnte, haben für Österreichs Anti-Atom-Linie keinerlei Verständnis. Sie produzieren selbst Atomstrom und können sich eine Ausweitung gut vorstellen.
Gibt es einen "grünen" Weg?
"Nachhaltig" ist in der EU anscheinend, was den großen Industrienationen nutzt. Frankreich hat seine Industrie weitgehend um den Atomstrom herum aufgebaut, Deutschland setzt auf Gas. Von "umweltfreundlich" und "nachhaltig" zu reden, ist bei beiden Energieformen absurd. Die jeweiligen Treibstoffe müssen mehr oder minder aufwendig aus der Erde gewonnen werden und sind selbstverständlich endlich.
Die österreichischen Konservativen hatten mit ihrer Anti-Atomhaltung bislang durchaus Glück. Die Kernschmelzen in dem Kraftwerkskomplex Fukushima kamen für die studierte Physikerin Angela Merkel bekanntlich völlig überraschend, als die damalige deutsche Kanzlerin nur deshalb zähneknirschend den Atom-Ausstieg verkünden musste.
Ansonsten waren die deutschen Konservativen immer für die Nutzung der Kernkraft. Wohin mit dem strahlenden Müll? – Sollen zukünftige Generationen entscheiden. Die Gefahren eines Super-GAU? – No risk, no fun. So sah "verantwortungsvolle" Politik bei der CDU/CSU aus.
Die ÖVP konnte sich hingegen auf einem "sauberen" Energiemix ausruhen. Der bestand aus viel Wasserkraft, ein bisschen Gas und dem vagen Versprechen, irgendwann alles aus nachhaltigen Quellen beziehen zu können. Besonders ambitioniert agierte man allerdings nie. Zunächst dachte man die Klimaziele mit Dachausbauten und der damit besseren Wärmeisolierung zu erreichen, dann gab es ein paar halbherzige Ideen, die immer etwas mit Hackschnitzeln zu tun hatten.
Die Abfälle der österreichischen Holzindustrie reichen aber nicht aus, um das Land vollständig energieautark zu machen. Im Gegenteil, die Sägespäne für die neuen Pelletheizungen mussten zeitweilig aus Skandinavien importiert werden. Konservative und Grüne, die gemeinsam die "Schöpfung" per Koalitionsvertrag wahren möchten, zeigen kaum Ansätze, das Land wahrhaft klimaneutral zu machen.
Hierzu müssten viele Zöpfe abgeschnitten werden, an denen viel zu viele Interessen hängen. Österreich hat letztlich ein umweltzerstörerisches Wachstumsmodell. Eine Abkehr würde bedeuten: Weniger Straßen und Individualverkehr, weniger Skipisten, weniger Thermen und all diese touristischen Goodies, die Österreich so gut schmecken. Die skandalöse Verhüttelung des Landes durch den Häuslebauwahn wäre vermutlich der größte Brocken.
Wohlbegründeter Pessimismus
Es zeigt sich nicht, wie und wann die bröckelnde grün-konservative Bundesregierung sich an diese Themen auch nur heranwagen könnte. Bis dahin wird die zeitweilige Energienot des Landes mit dem Strom der Nachbarn abgesichert und der ist teilweise eben auch atomar.
Der Pessimismus Karl Nehammers ist vermutlich wohlbegründet. Die sich abzeichnende Rückkehr der Atomenergie wird das, in diesem Fall sich gerne als "klein" bezeichnende Österreich nicht verhindern können. Man muss der Entwicklung nun leider zusehen und kann sich im eigenen Land als braver Don Quixote promoten, der das Spiel der Großen zwar falsch findet, dem aber (glücklich?) die Hände gebunden sind.
Eines wird bei der Atom-Renaissance übrigens gerne übersehen: Die größte Lüge, der an Verdrehungen der Wahrheit nicht armen Nutzung der Kernkraft, ist das Gerede von der "zivilen Nutzung". Die Hauptfunktion der meisten Atommeiler ist die Bereitstellung waffenfähigen Plutoniums und Urans. Indische Meiler wurden beispielsweise mit negativer Energiebilanz betrieben, sie brauchten also mehr Strom als sie produzierten. Auch heute zeigt sich immer deutlicher, um was es eigentlich geht.
In den USA wurde Joe Bidens "Green New Deal" von der Erdölindustrie erfolgreich torpediert. Die Spitze der Demokraten verliert zwar ein paar Krokodilstränen, aber wirklich ärgern tut sich nur Bernie Sanders. Zugleich werden hunderte Milliarden Dollar in die Erneuerung der atomaren U-Boot-Flotte gesteckt.
Das verbündete Australien wird zum ruinös teuren Kauf eigener Atom-U-Boote gezwungen (und das wutschnaubende Frankreich beim Deal ausgebootet). Das sind also die wahren Sorgen der Großmächte, die weitaus wichtiger als Pandemie oder Klimawandel zu sein scheinen. Österreich ist auf diesem "Grand Chessboard" natürlich ein viel zu kleiner Flecken und hält sich bequem aus allem raus. Den Krieg für eine saubere Welt sollen andere verlieren.
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