Atomkriegsgefahr in Korea

Seite 4: Das nordkoreanische ABC-Potential

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Zwei militärtechnische Fragen stehen im Mittelpunkt der gegenwärtigen Nuklearkrise: Können die nordkoreanischen Raketen US-Territorium erreichen und besitzen diese einen Atomsprengkopf? Das kleine, verarmte Nordkorea ist einer von neun Staaten auf der Welt, die ein eigenes Atompotential aufgebaut haben.

Am 9. Oktober 2006 testeten die Nordkoreaner ihren ersten nuklearen Prototypen auf dem Testgelände Hwadaeri. Der Test ist umstritten, da die Bombe nur eine Sprengkraft von 0,55 KT hatte. Dem folgte ein weiterer Test am 25. Mai 2009 (ca. 20 KT). Ein letzter Test mit einer Sprengkraft von – nach unterschiedlichen Angaben - 6 bis 9 Kilotonnen fand erst am 12. Februar 2013 auf dem Atomtestgelände Punggye Ri statt. Dabei soll es sich erstmals um eine Uranbombe gehandelt haben. Über wie viele Atomsprengkörper Nordkorea verfügt kann nur spekuliert werden. Schätzungen reichen bis zu mehr als 20 Stück.

Damit ist Nordkorea zwar im Besitz der Atomwaffentechnologie, aber es verfügt damit noch nicht automatisch über ein Nukleararsenal, da die vorhandenen Atomsprengkörper noch sehr groß und schwer sind. Diese könnten – rein theoretisch - bisher nur mit einem Lkw ins Zielgebiet befördert werden. So verfügt die Luftwaffe weder über ein geeignetes Trägerflugzeug (schwerer Jagdbomber oder zwei- bis vierstrahliger Bomber) noch über entsprechende Raketen. Zwar plant die nordkoreanische Regierung, ihre Boden-Boden-Raketen langfristig mit Nuklearsprengköpfen auszustatten, aber - nach allgemeiner Expertenmeinung - ist dies bisher nicht geschehen. Dazu müssten die Nukleartechniker künftige Nuklearsprengköpfe erst weiter miniatuarisieren. Demgegenüber gibt es die abweichende Minderheiten-Einschätzung, dass die nordkoreanischen Nuklearphysiker bereits seit 2009 drei Raketengefechtsköpfe für die No Dong-1-Raketen (Wurfgewicht: 1.000 kg) hergestellt haben.

Über die Frage, ob es einen nordkoreanischen Atomgefechtskopf gibt oder nicht, ist innerhalb der USA eine heftige Diskussion entbrannt: Am 11. April 2013 erklärte Verteidigungsminister "Chuck" Hagel gegenüber dem House Armed Services Committee des Kongresses, dass Nordkorea nicht in der Lage sei, die USA mit einer Atomrakete anzugreifen.

Einen Tag später meldeten amerikanische Zeitungen, nach einem Bericht der Defense Intelligence Agency (DIA) haben es die Nordkoreaner tatsächlich geschafft, ihre Atomwaffen soweit zu verkleinern, dass sie auf eine Trägerrakete montiert werden könnten. "D.I.A. assesses with moderate confidence the North currently has nuclear weapons capable of delivery by ballistic missiles; however the reliability will be low," heißt es in der Geheimdienstanalyse mit dem Titel "DynamicThreat Assessment 8099: North Korea Nuclear Weapons Program". Über die Reichweite der nordkoreanischen Atomraketen wurden keine Angaben gemacht. Der DIA-Bewertung widersprach sogleich der Nationale Geheimdienstdirektor (DNI) James R. Clapper. Er erklärte, die DIA-Position entspräche nicht dem allgemeinen Konsens innerhalb der US-Geheimdienstgemeinde: "North Korea has not yet demonstrated the full range of capabilities necessary for a nuclear armed missile." Auch der Sprecher des südkoreanischen Verteidigungsministeriums, Kim Min-seok widersprach der DIA-Beurteilung: "We have doubt that North Korea has reached the stage of miniaturization." Möglicherweise wurde der DIA-Bericht nur deshalb der Öffentlichkeit zugespielt, um die Militärausgaben für die US-Raketenabwehrsysteme zu sichern.

Angesichts dieser Expertendiskussion darf man die Gefahren einer Langstreckenrakete, die "nur" mit einem konventionellen Gefechtskopf ausgerüstet ist, nicht unterschätzen. Ein Einschlag würde zwar "nur" wenige Tote fordern, aber man stelle einmal vor, eine nordkoreanische Boden-Boden-Rakete würde in Hawaii einschlagen, die psychologischen Folgen wären verheerend - eine Mischung aus "Pearl Harbor", "Sputnik-Schock" und "Elfter September".

In Zukunft wollen die Nordkoreaner ihre Atomrüstung noch verschärfen: Im Rahmen der neuen "Byungjin"-Politik möchte die nordkoreanische Führung ihr Atomwaffenpotential ausbauen, um dann die konventionellen Streitkräfte verkleinern zu können. Dadurch sollen die Rüstungsaufwendungen insgesamt zurückgefahren werden, um die freiwerdenden Ressourcen für die Entwicklung der zivilen Wirtschaft zu nutzen. Nordkorea solle so zu einer "großen politischen, militärischen und sozialistischen Wirtschaftsmacht und einem hochzivilisierten Land werden, das in die Epoche der Unabhängigkeit steuert".

In diesem Zusammenhang erklärte die nordkoreanische Abteilung für Atomenergie am 2. April, dass sie ihren früheren Atomreaktor in Nyŏngbyŏn wieder in Betrieb nehmen wolle. Der Magnox-Atomreaktor mit einer Leistung von 5 Megawatt war im Sommer 2007 auf internationalen Druck hin abgeschaltet worden. Die Anlage dient nicht nur der Stromerzeugung, hier kann auch (Waffen-)Plutonium erzeugt werden. Die Maßnahme diene der "qualitativen und quantitativen Stärkung der atomaren Streitmacht", erklärte die nordkoreanische Nachrichtenagentur. Allerdings verstößt die nordkoreanische Regierung mit der Wiederinbetriebnahme gegen eine frühere UN-Resolution.

Die nuklearen Anlagen unterstehen dem General Department of Atomic Energy (GDAE). Dessen Direktor ist z. Zt. Ri Je Son. Weitere Nuklearanlagen befinden sich in Chungjinsi, Hamhung, Kanggyesi, Kiljugun, Kusungsi, Phunggyere, Pjöngjang, Pyongsungsi und Taechongun. Neben seinen Atomsprengkörpern verfügt Nordkorea auch über mehrere tausend Tonnen Chemischer Waffen, mit denen u. a. ein Teil der Boden-Boden-Raketen ausgestattet ist. Es handelt sich um Senfgas, Phosgen und Nervengase (Sarin, Soman, Tabun und VX).Außerdem ist Nordkorea im Besitz von Biologischen Waffen mit vier Produktionsanlagen, darunter eine Fabrik in Wonsan. Die Vorräte werden auf 2.500 bis 5.000 Tonnen geschätzt.

Das nordkoreanische Flugkörperarsenal

Parallel zur Entwicklung eines eigenen Atompotentials baute die Regierung in Pjöngjang ein Flugkörperarsenal auf. Die weitreichenden Boden-Boden-Raketen unterstehen dem Raketenführungsbüro in Sŏngch'ŏn-kun, das z. Zt. von Generalleutnant Kim Rak-gyom kommandiert wird. Seit dem 26. März 2013 befinden sich die Raketenstreitkräfte in erhöhter Alarmbereitschaft.

Heutzutage stehen verschiedene Raketenmodelle unterschiedlicher Reichweite zur Verfügung. Aufgrund der militärischen Geheimhaltung bzw. begrenzter Aufklärungsmöglichkeiten sind die technischen Angaben zu den einzelnen Raketensystemen unterschiedlich. Bei Militärparaden fuhren die Streitkräfte wiederholt nur Raketenattrappen auf. Abweichende Beurteilungen betreffen insbesondere die Parameter Reichweite, Treffgenauigkeit und Wurfgewicht. Mit dem "Wurfgewicht" ist gemeint, welche Nutzlast eine Raketenspitze befördern kann, wovon wiederum die Sprengkraft des Gefechtskopfes abhängt. Dabei gilt, je schwerer der Gefechtskopf desto kürzer die Reichweite. Nach dem derzeitigen Stand stehen für die vorhandenen Flugkörper vor allem konventionelle, möglicherweise auch atomare oder chemische Sprengköpfe zur Verfügung. Allerdings haben wiederholte Fehlstarts in der Vergangenheit gezeigt, dass die Raketen technisch nicht sehr zuverlässig sind.

Das Gesamtpotential soll über 1.000 Flugkörper folgender Modelle umfassen:

  • Frog-7B (sowjetische Bezeichnung: 9M21-1 Luna-M): Es handelt sich um eine einstufige Boden-Boden-Rakete kurzer Reichweite. Die Rakete ist ungelenkt, daher stammt die amerikanische Bezeichnung "free rocket over ground" (Frog). Die Länge der Rakete beträgt 9,4 m bei einem Durchmesser von 0,54 m. Ihre Startmasse beträgt ca. 2,5 Tonnen. Ihr Gefechtskopf hat ein Gewicht von 500 bis 550 kg, nach anderen Angaben 390 kg. Die Zielabweichung (Circular Error Probable – CEP) beträgt 500 bis 700 m. Genau genommen gibt der CEP nicht die Treffgenauigkeit sondern die Treffgenauigkeitswahrscheinlichkeit an: Er besagt, bis zu welchem Radius die Hälfte aller auf ein Ziel abgefeuerten Flugkörper einschlagen, während der Rest irgendwo außerhalb von dieser Entfernung runterkommt. Die Rakete erreicht eine Geschwindigkeit von Mach 3.
  • KN-1: Die KN-1 ist ein Marschflugkörper zur Schiffsbekämpfung. Es handelt sich um eine koreanische Variante der russischen P-15 Rubesch (NATO-Code: SS-N-2 Styx) mit vergrößerter Reichweite (ca. 110 km). Der Marschflugkörper ist 6,5 m lang und 0,78 m dick, während die Flügelspannweite 2,40 m beträgt. Sein Gesamtgewicht liegt bei ca. 2.500 kg, davon entfallen 513 kg auf seinen panzerbrechenden Gefechtskopf vom Typ 4G15. Mit dem Waffensystem sind u. a. die Patrouillenboote ausgerüstet. Außerdem besitzt Nordkorea die chinesische Variante Fei Long-1/2 Silkworm.
  • KN-02 Toksa: Die KN-02 Toksa ist eine nordkoreanische Variante der russischen Totschka (NATO-Code: SS-21 Scarab). Totschka wurde in den sechziger Jahren vom sowjetischen Konstruktionsbüro Kolomna KBM als Nachfolgemodell für die Frog-7 entwickelt. Die Reichweite der Feststoffrakete beträgt rund 110 km. Die nordkoreanische Variante benutzt das Werferfahrzeug MAZ-630308.
  • Hwasong-5: Die Hwasong-5 ist eine Weiterentwicklung der russischen 9K72 Elbrus (NATO-Code: SS-1c Scud-B). Die Rakete transportiert einen 1.000 kg schweren Gefechtskopf über eine Strecke von 285 bis 330 km mit einer Treffgenauigkeit von ca. 450 m ins Ziel. Für die Rakete stehen verschiedene Gefechtsköpfe zur Auswahl: hochexplosiver Sprengstoff, Streubomben, chemischer und möglicherweise auch ein biologischer Kopf. Der Flugkörper erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von Mach 5. Nordkorea soll über rund 150 Exemplare verfügen. Gebaut wird die Rakete von der Fabrik Nr. 125 in Pjöngjang.
  • Hwasong-6: Bei der Hwasong-6 handelt es sich um ein nordkoreanisches Derivat der sowjetischen SS-1d Scud-C. Die Rakete hat – nach unterschiedlichen Angaben - bei einem Gefechtskopfgewicht von 450 bis 989 kg eine Reichweite von 500 bis 700 km. Die Zielabweichung soll angeblich nur 50 m betragen. Es dauert eineinhalb Stunden, um die Abschussbereitschaft einer Scud-C-Rakete herzustellen. Angeblich soll Nordkorea über 300 bis 600 Stück verfügen. Bei dem Werferfahrzeug handelt es sich um eine Eigenentwicklung der Vereinigten Automobilwerke in Tokchon.
  • SCUD-1 ER (andere Bezeichnung: KN-05?): Die "Scud-1 Extended Range" wurde ab 2003 in Dienst gestellt. Die Rakete ist bis zu 11,37 m lang und hat einen Durchmesser von 0,85 m. Das Startgewicht beträgt bis zu 5.600 kg bei einem Gefechtskopfgewicht von 700 bis 800 kg. Sie hat eine vergrößerte Reichweite von 750 bis 800 km. Insgesamt soll Nordkorea über rund 350 Raketen verfügen.
  • No Dong-1 (andere Bezeichnung: Rodong-1): Diese nordkoreanische Mittelstreckenrakete ist eine Weiterentwicklung der sowjetischen SS-1e Scud-D. Die Rakete hat eine Reichweite von 900 bis 1.000 km und trägt dabei einen Gefechtskopf mit einem Gewicht von ca. 1.000 kg. Mit einem leichteren Sprengkopf von 550 kg soll eine Reichweite von bis zu 1.600 km erreichbar sein. Die Treffgenauigkeit beträgt – in Abhängigkeit von der Reichweite – 2.000 bis 4.000 m. Insgesamt soll Nordkorea über mindestens 75 bis 200 Stück verfügen. Als Trägerfahrzeug wird der sowjetische Schwerlasttransporter MAZ-543 verwendet. Außerdem bauen die Nordkoreaner ein eigenes Werferfahrzeug auf Basis eines Schwerlasttransporters des italienischen Herstellers IVECO.
  • No Dong-2: Von diesem Modell wurde nur ein Prototyp entwickelt und das Projekt dann zugunsten der Taepo Dong-2 eingestellt.
  • BM25 Musudan (andere Bezeichnungen: No Dong B, Rodong-B, Taepodong X): Sie kann einen Gefechtskopf von 1.000 kg über eine Reichweite von ca. 3.000 bis 4.000 km befördern. Die Treffgenauigkeit beträgt ca. 1.300 m. Nach unterschiedlichen Angaben verfügt Nordkorea über 12 bis 200 Exemplare. Diese Flüssigkeitsrakete ist das nordkoreanische Derivat der sowjetischen U-Boot-Rakete R-27 (NATO-Code SS-N-6 Serb). Der nordkoreanische Nachbau wurde bisher noch nicht getestet. Bei einer Militärparade im Jahre 2010 vorgeführte Exemplare waren lediglich Attrappen. Die Mittelstreckenrakete wird von mobilen Werferfahrzeugen sowjetischer Bauart (MAZ-547 oder MAZ-7916) transportiert. ()
  • Taepo Dong-1 (andere Bezeichnung: Paektusan-1): Mit einem Gefechtskopf von 1.000 kg soll die Reichweite – nach unterschiedlichen Angaben – 2.200 bis 2.900 km betragen. Die Flüssigkeitsrakete kann nur von ortsfesten Startrampen aus abgeschossen werden, was sie verwundbar gegenüber gegnerischen Luftangriffen macht.
  • Taepo Dong-2 (andere Bezeichnungen: No Dong-3, Hwasong-2, Moksong-2, Paektusan-2): Die Taepo Dong-2 gilt als Interkontinentalrakete mit einer geschätzten Reichweite von 4.000 – 6.000 km. Die Rakete könnte damit die US-Westküste erreichen. Die Nutzlast beträgt 700 bis 1.000 kg. Mit einer Länge von 35,8 m und einem Gesamtgewicht von 79,2 t ist die TD-2 die größte Boden-Boden-Rakete im Arsenal. Die Flüssigkeitsrakete kann nur von ortsfesten Startrampen aus abgeschossen werden, was sie verwundbar gegenüber gegnerischen Luftangriffen macht. Ein erster Test am 5. Juli 2006 scheiterte, die Rakete stürzte nach einer Minute ab. Vermutlich besitzt Nordkorea z. Zt. über keine Raketen dieses Typs.
  • KN-08: Bei der KN-08 handelt es sich um das Projekt einer landgestützten Interkontinentalrakete mit einer Reichweite von angeblich 10.000 km. Dennoch bezweifelte der stellvertretender US-Generalstabschef Admiral James Winnefeld, dass diese Rakete US-Territorium erreichen könnte. Es ist unklar, ob diese Rakete tatsächlich bereits existiert. Bei einer Militärparade im Jahre 2012 wurde der Öffentlichkeit bisher nur eine Attrappe präsentiert. Ein Prototyp wurde bisher nicht getestet.
  • Unha-3: Die Unha-3 ist keine militärische Boden-Boden-Rakete, sondern wird als zivile Satellitenträgerrakete verwendet. Es handelt sich um eine Variante der Taepo Dong-2. Am 12. Dezember 2012 beförderte die Unha-3 erstmals einen Satelliten Kwangmyŏngsŏng-3 ins All. Startplatz war die Weltraumbasis Sohae. Mit der Entwicklung der Unha-3 wurde klar, dass Nordkorea im Prinzip jedes Ziel auf der Welt anvisieren kann. Allerdings ist die Rakete bei drei von vier Raketenstarts abgeschmiert. Abschussbasen der Boden-Boden-Raketen befinden sich u. a. in Kalgol-dong (Provinz Chagang) mit Raketen vom Typ Hwasong-5/6, Kittaeryŏng (Provinz Kwawon), Kusŏng (P'yongan-Provinz) mit No Dong-Raketen, Musadan-ri (Provinz Hamgyong), Okp’yŏng-dong (Provinz Kangwon) mit Hwasong- und No Dong-Raketen, Pongdong-ri an der Westküste und in Wonsan an der Ostküste. Außerdem besitzt die nordkoreanische Marine zwölf sowjetische U-Boote mit großer Reichweite. Es handelt sich um zwei Boote der Foxtrott-Klasse und zehn Boote der Golf-2-Klasse. Die Sowjets bestückten ihre U-Boote mit Flugkörpern, über die die nordkoreanische Marine aber nicht verfügt. Es ist nicht bekannt, ob die Nordkoreaner mittlerweile eine maritime Version der BM 25 Musudan herstellen konnten.
  • Seit dem 29. März befinden sich die nordkoreanischen Raketentruppen in erhöhter Gefechtsbereitschaft. Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un befahl, dass ein Abschuss der Langstreckenraketen nach einer kurzen Vorbereitungszeit jederzeit möglich sein müsse. Daraufhin meldete die südkoreanische Militäraufklärung eine erhöhte Aktivität von Personal und Fahrzeugen bei den Raketeneinheiten.

Im Verlauf der aktuellen Krise haben die nordkoreanischen Streitkräfte zwei neue Mittelstreckenraketen vom Typ Musudan und mehrere herkömmliche Kurzstreckenraketen vom Typ Scud bzw. Nodong an die Ostküste des Landes verlegt. Die Raketen wurden nicht auf ortsfesten Startrampen montiert, sondern auf mobilen Raketenwerfern, die dann in ihren getarnten Abschussbasen verschwanden. Dies nährt die Befürchtung, dass die Nordkoreaner nicht nur zwei weitere Raketentests, sondern einen echten Raketenangriff vorbereitet.

Nach nordkoreanischen Angaben richtet sich die Zielplanung vor allem gegen die USA. Zielobjekte seien die US-Militärbasen auf Guam, auf Hawaii und dem amerikanischen Festland. "Die USA dürfen nicht vergessen, dass der Militärstützpunkt auf Guam, von dem ihre Bomber B-52 starten, das japanische Territorium, wo ihre U-Boote stationiert sind, und der Marinestützpunkt auf Okinawa in der Wirkungszone unserer Präzisionswaffen liegen", drohte ein Vertreter des nordkoreanischen Oberkommandos am 21. März 2013.

Als das nordkoreanische Staatsfernsehen Bilder von einem Treffen von Kim Jong Un mit seinen Generälen am 29. März übertrug, sah man im Hintergrund eine Karte mit dem Titel "Plan für den Schlag auf den kontinentalen Teil der USA". Darin waren als Raketenziele Pearl Harbor (Hawaii), San Diego (Kalifornien), Washington D. C. und Gebiete im US-Bundesstaat Texas verzeichnet. Ob es sich bei diesem Vorfall um eine Geheimschutzpanne oder eine gezielte Desinformationsaktion handelte sei dahingestellt.

Die konventionellen Streitkräfte Nordkoreas

Im autoritären Staatsgefüge der sozialistischen Republik Nordkorea nimmt das Militär eine zentrale Stellung ein. Oberbefehlshaber ist z. Zt. der "Oberste Führer", Generalsekretär der kommunistischen Arbeiterpartei und "Generalfeldmarschall" Kim Jong Un. Formaler Regierungschef ist seit dem 1. April 2013 Pak Pong Ju; als Verteidigungsminister amtiert General Kim Kyok-sik. Die Position des Generalstabschefs ist z. Zt. vakant. Zentrales Führungsgremium ist das Militärpolitische Komitee der kommunistischen Partei. Das stalinistische Regime stützt seine Macht auf das privilegierte Offizierskorps, auf der anderen Seite fehlen den aufgeblasenen Streitkräften Nahrungsmittel, Treibstoff, Waffen, Munition und Ersatzteile.

Die Chosŏn inmin'gun (= Koreanische Volksarmee - KVA) ist zahlenmäßig sehr umfangreich (ca. 1,2 Millionen Mann), allerdings ist das Kriegsgerät technologisch völlig veraltet und nur bedingt einsatzbereit. So besteht seit 2006 ein UN-Waffenembargo, an das sich sogar Russland hält. Die Streitkräfte gliedern sich in fünf Teilstreitkräfte: Heer, Luftwaffe, Marine, Raketentruppen und Spezialkräfte. Aufgrund der hohen Militarisierung der Gesellschaft gelten bis zu einem Drittel der Bevölkerung als potentielle Reservisten. Da die Streitkräfte einen langandauernden Krieg nicht durchhalten könnten, verfolgt die Regierung eine Art Blitzkriegsstrategie: Durch einen Überraschungsangriff mit massiven Verbänden soll der Feind möglichst schnell niedergerungen werden, noch bevor die US-Streitkräfte größere Verstärkungen heranführen könnten.

Die nordkoreanische Militärführung erhöhte die Einsatzbereitschaft ihrer Streitkräfte und kündigte für März 2013 ein Großmanöver an. Seitdem ist es tatsächlich zu mehreren kleinen Übungen gekommen.

Das Heer (1,02 Millionen Soldaten) gliedert sich in 4 Infanterie-, 4 Motorisierte Schützen-, 1 Panzer- und 2 Artilleriekorps. Das 1., 2., 3, und 5. Infanterie-Korps soll in Grenznähe stationiert sein. Die Korps teilen sich wiederum auf in rund 40 Nominaldivisionen und 40 Brigaden, darunter starke Fallschirmjäger- und Marineinfanterieverbände. Bekannt wurden das 806. und 815. MotSchKorps und das 820. PzKorps. Rund zwei Drittel der Verbände sind im Abstand von 100 Meilen (= 160 km) zur 242 km langen und 4 km breiten Demarkationslinie entlang des 38. Breitengrades massiert. Die dortigen Truppenstellungen sind stark verbunkert. Nach Pressemeldungen wurden die Einheiten in diesem Gebiet in den letzten Wochen noch weiter verstärkt.

Das Heer verfügt über rund 3.500 Kampfpanzer (sowjetische T-54, T-55, chinesische T-59 und koreanische Eigenentwicklungen Ch'ŏnmna-ho und PÄ'okpung-Ho), 2.500 Schützenpanzer (sowjetische BMP-1, BTR-80, BTR-152 und chinesische Typ 63) und Amphibienpanzer (PT-76, PT-85). Außerdem gibt es mehrere Lkws der G-Klasse von der deutschen Daimler AG. Hinzu kommen – nach unterschiedlichen Angaben - 12.000 bis 21.000 Artilleriesysteme, darunter zahlreiche Feldraketenwerfer: russische BMD-20, BM-24 und chinesische Typ 63. Die Artillerieeinheiten können aus dem Stand heraus 500.000 Granaten pro Stunde abfeuern.

Die Luftwaffe wird von Generaloberst Ri Pyong-chol kommandiert. Wichtige Kommandobunker befinden sich Kaechon, Toksan und Hwangju. Das Luftverteidigungskommando hat sein Hauptquartier in Chunghwa. Die Luftwaffe besitzt 110.000 Soldaten und rund 600 Kampfflugzeuge. Die 50 russischen Mittelstreckenbomber Il-28 Beagle (bzw. der chinesische Nachbau H-5) stammen noch aus den fünfziger Jahren und sind wahrscheinlich kaum noch flugfähig. Zu den älteren Modellen zählen auch die Mig-19 Farmer, MiG-21bis/PF/PFM Fishbed, MiG-23ML Flogger und Su-7BMK Fitter, daneben stehen auch 35 modernere MiG-29 Fulcrum, sowie mehrere Su-25K und Su-28 Frogfoot aus den achtziger Jahren zur Verfügung. An Flugabwehrraketen stehen die üblichen russischen Modelle zur Verfügung: Krug, Kub, Igla, Newa, Wega, Wolchow, und die neue KN-06 etc.. Unklar ist, ob das alte Luftverteidigungssystem Tin Shield noch im Einsatz ist.

Die Marine verfügt über 60.000 Matrosen und setzt sich aus fast 400 Überwasserschiffen zusammen. Das Marinehauptquartier befindet sich in Pjöngjang. Die Marine ist aufgeteilt in die Westflotte (HQ Nampo) und die Ostflotte (HQ Toejo-dong). Zum Schiffsbestand zählen u. a. die Fregatte Soho und die beiden Fregatten der Najin-Klasse ("3025" und "3026"), Amphibienschiffe (Nampo-, Hantae- und Luftkissenboote der Kong Bang-Klasse), 72 U-Boote sowjetischer Bauart (Romeo-, Sang-O-Klasse), etc.. Die Marine ist auf rund zwanzig Kriegshäfen verteilt, darunter die beiden U-Boot-Basen in Chaho und Mayangdo.

Die "Sondereinheiten" verfügen angeblich über 200.000 Mann, allerdings ist der Begriff "Sondereinheit" mit Vorsicht zu genießen, da diesen Einheiten oft nicht die notwendige Spezialtechnik besitzen, wie man sie von den Sondereinheiten anderer Länder her kennt. Das VIII. Sondereinsatz-Korps dient der Ausbildung. Immerhin sind die Sondereinheiten mit einer Flotte von Doppeldeckern vom Typ An-2 Colt und circa 20 Mini-U-Booten (u. a. Yono-Klasse) ausgerüstet. Außerdem soll es unter den Grenzanlagen entlang der Demarkationslinie bis zu zwanzig Tunnel geben, von denen bisher nur wenige entdeckt wurden. In der Vergangenheit gelangten nordkoreanische Sonderkommandos und Infiltrationsagenten wiederholt bis nach Seoul oder töteten US-Soldaten. In den letzten Wochen wurden aber keine entsprechenden Vorkommnisse gemeldet.

Hinzu kommen 189.000 paramilitärischer Verbände: Grenztruppen (Choson Kyonbidae), Truppen für Innere Sicherheit, und "Rote Garde"-Parteimilizen (Nodong Chokwidae), etc. Insgesamt umfassen die verschiedenen bewaffneten Staatsorgane rund 9,4 Millionen Mann, das ist Weltspitze.