Auf Schilys Spuren
Datenschutzbeauftragter von Innenminister als weltfremd bezeichnet
Der schleswig-holsteinische Innenminister weist die datenschutzrechtliche Kritik am neuen Polizeigesetz zurück und greift dabei auf die Rhetorik Otto Schilys zurück. Die argumentative Auseinandersetzung bleibt dabei auf der Strecke.
"Das ist eine verkehrte Welt, in der Thilo Weichert allein lebt" so urteilt der schleswig-holsteinische Innenminster Ralf Stegner über den Datenschutzbeauftragten des Bundesstaates. Stein des Anstoßes ist der Entwurf eines neuen Polizeigesetzes. Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig Holstein hatte sich in einer umfangreichen Stellungnahme zu dem Entwurf geäußert und unter anderem befunden:
Ein Festhalten am Entwurf würde unzulässig in verfassungsrechtlich garantierte Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Darüber hinaus erschweren unklare Bestimmungen die Arbeit der Polizei. Der Entwurf wird voraussichtlich in weiten Bereichen einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten.
Stellungnahme des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig Holstein
Die Datenschützer fanden in dem Entwurf etliche Kritikpunkte. Insbesondere sahen sie darin eine weitere Abkehr von dem Prinzip, dass jeder zunächst einmal ein Recht hat, in Ruhe gelassen zu werden. Schon die verdachtsunabhängige Personenkontrolle, die mittlerweile etabliert und größtenteils akzeptiert wird, ist eine Verletzung dieses Prinzips. Sie gibt der Polizei das Recht, jeden zu kontrollieren, ohne dass hierfür ein rechtlicher Grund vorliegen muss. Für eine solche Maßnahme fehlt bis heute die Grundlage.
Warum sollte jemand verpflichtet werden, seine Identität nachweisen zu müssen, wenn nicht hierfür explizit Gründe vorliegen? Liegen diese vor, so wäre durch entsprechende Gesetze zu regeln, wie vorgegangen wird. Doch diese bereits angewandte Praxis ist nur ein Teil des Entwurfes, welcher von Dr. Thilo Weichert aufgegriffen wird.
So sieht er zwar Bemühungen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Großen Lauschangriff innerhalb des Gesetzentwurfes umzusetzen. Doch ähnlich wie bei Arbeitszeugnissen reichen diese Bemühungen nicht, sondern stellen lediglich einen gescheiterten Versuch dar.
Zu begrüßen ist, dass die Landesregierung den Bedarf zur Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung gesehen hat. Sie hat sich um eine Umsetzung bemüht. Diese Bemühungen werden aber durch einzelne Formulierungen, die die Schutzvorschriften ins Leere laufen lassen, vollständig entwertet [...] und bedürfen teilweise einer Präzisierung.
Dr. Weichert in der Stellungnahme
Schleswig-Holsteins Innenminister zeigt sich in der nun stattfindenden Auseinandersetzung als ähnlich rhetorisch agierend wie auch der frühere Bundesinnenminister Otto Schily. Dieser ging auf Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten Schaar nicht ein, sondern sprach schnell einmal von Kompetenzmissbrauch oder vom fehlenden politischen Mandat. Allgemein beschränkte er sich also auf Polemik und auf Spott, statt sachlich auf die Argumente der Kritiker einzugehen. Genau diese Taktik nutzt nun auch Stegler, wenn er Dr. Weichert vorwirft "mit seiner überzogenen Kritik in der konkreten Abwägung die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte von Störern im Konfliktfall höher zu bewerten als den Schutz der Grundrechte auf Leben, Gesundheit und Freiheit von Menschen".
"Was ist das denn für eine Vorstellung, dass Erika Mustermann im Extremfall ihr Leben und ihre Gesundheit bereit sein muss zu opfern, weil dem Straftäter ein für die Polizei tabuisierter Schutzraum für sein kriminelles Tun zugestanden wird, obwohl Schutz- und Gefahrenabwehr möglich wären?" fragt Stegler in seiner Replik auf die Kritik und greift damit einmal öfter auf die Gleichung Datenschutz = Täterschutz zurück.
Die Pressemitteilung des Innenministeriums beschränkt sich im Wortlaut darauf, eben diese Gleichung zu proklamieren und weiterhin auf die Unbedenklichkeit des geplanten Gesetzes hinzuweisen. Um eben diese Unbedenklichkeit zu untermauern wird einmal öfter darauf hingewiesen, dass es sich bei der Polizei um vorsichtig agierende Personen handelt, so dass ein "polizeilicher Wildwuchs" unmöglich ist. Die neuen Vorschriften seien vielmehr ausgewogen, pragmatisch und modern und würden somit keine Umsetzung einer Stammtischpolitik sein, sondern eine Abkehr von der Illusionspolitik bedeuten. Totschlagargumente ersetzen hier erneut sachliche Gegenargumente.
Die Form, in der Innenminister auf Kritik seitens der Datenschützer reagieren, lässt immer mehr eine sachliche Bewertung außer Acht und beschränkt sich darauf, der Polizei und der Strafverfolgung bzw. der Sicherheit im Allgemeinen einen absoluten Vorrang einzuräumen. Datenschutz wird somit als Behinderung der Strafverfolgung gleichgesetzt, an einer Ausbalancierung besteht kein Interesse. Der Maxime "Deutschland soll sicher und frei werden" folgt man insofern, als dass kein Zweifel daran besteht, welche Eigenschaft hier überwiegt. Auch wenn diese Sicherheit stets nur eine Scheinsicherheit darstellen kann.
Schleswig-Holsteins Innenminister tritt hiermit also konsequent in Otto Schilys Fußstapfen. Sein Stil zeugt von einer Arroganz gegenüber Datenschützern, welche, sollte nicht ein Umdenken stattfinden, sich weiterentwickeln und, begleitet von den Medien, letztendlich dazu führen wird, dass die Idee, dass Datenschutz prinzipiell Täterschutz sei, sich weiter etabliert. Bedenkt man, dass Datenschutz oftmals auch Opferschutz ist (Beispiel: Nichtnennung von Realnamen bei Polizeiberichten in der Presse), eine fatale Entwicklung. Setzt man dieses Denken konsequent um, so wären Persönlichkeitsrechte beispielsweise Medien nicht mehr zu beachten – denn nur wer etwas zu befürchten hat, hat auch etwas zu verbergen. Für Opfer oder Zeugen gälte dies wohl nicht.
Nachtrag: Etliche Parteien und das Datenschutzzentrum haben mittlerweile gegen die Angriffe Ralf Stegners auf Thilo Weichert Position bezogen.