Auf den Hund gekommen
Jäger und Sammler in Europa zähmten den Wolf
Wann wurden Hund und Mensch unzertrennliche Freunde? Forscher haben nun erneut einen tiefen Blick in die Gene geworfen und dabei entdeckt, dass es wohl Europäer waren, die den Wolf zum Hund machten. Das war vor mehr als 18.000 Jahren und damit lange bevor sich sie als Bauern sesshaft wurden.
Der Hund gilt als des Menschen bester Freund. Kein anderes Tier versteht uns so gut, arbeitet mit uns zusammen und erledigt nach Schulung selbst komplexe Aufgaben wie das Hüten einer Schafherde ganz selbstständig (vgl. Forschung mit Hunden). Selbst gegen ihre engsten Verwandten, die Wölfe, verteidigen sie nach einer entsprechenden Ausbildung sehr erfolgreich ihre Schäflein).
Unstrittig ist, dass der Hund das erste Haustier des Menschen war, erst danach begann die Domestizierung von Schaf, Ziege und Schwein. Die Katze hat sich wohl selbst gezähmt, indem sie um die Häuser der frühesten Bauern strich, und sich dabei rasch als nützlich zur Bekämpfung von Schädlingen wie Mäusen erwies. Experten nennen diesen Vorgang Selbstdomestikation.
Erste Hunde
Über die Herkunft der Hunde wird bislang noch gestritten.Ursprünglich lautete die Theorie, dass der Mensch sich während der neolithischen Revolution alle seine Haustiere, auch den Hund zu eigen machte. Dieser Ansatz zerbröckelte, als unter anderem in Belgien die Knochen eines prähistorischen Hundes auftauchten (sie fanden sich in einem Museum und stammten aus einer Grabung des 19. Jahrhunderts in der Höhle Goyet), die von den Experten auf ein Alter von fast 32.000 Jahren datiert wurden.
Und im sibirischen Altai-Gebirge wurden die 33.000 Jahre alte Überreste eines Tieres ausgegraben, die deutliche Merkmale eines Hundes aufweisen. Wobei über die Kriterien der morphologischen Unterschiede und damit der Zuordnung zu den urzeitlichen Wölfen (Canis lupus) oder in die Unterart, den Haushunden (Canis lupus familiaris) immer wieder Streit ausbricht.
In der Höhle Chauvet sind die Abdrücke von Kinderfüßen neben denen von Hundepfoten zu sehen, die beiden gingen wohl dort vor 26.000 Jahren gemeinsam im Schein einer Fackel durch die mit vielen Felsmalereien geschmückte Grotte.
Zum Vorgang wie der Mensch auf den Hund kam, gibt es zwei Modelle, die sich widersprechen. Eine Fraktion der Experten vertritt den Ansatz der Selbstdomestikation: Wölfe seien den Menschen bei der Jagd und an den Rand ihrer Siedlungen gefolgt, um deren Müll zu fressen, und so hätten sich Homo sapiens und Canis lupus zunehmend aneinander gewöhnt. Diese ersten Hunde waren bald Nutztiere, die z.B. Lasten zogen oder trugen.
Eine andere Fraktion geht davon aus, dass der Mensch den Wolf zähmte, indem er sich Welpen aus den Wolfshöhlen holte (der Wolf war vermutlich ein für die frühen Kulturen wichtiges Tier - seine Zähne wurden z.B. als Schmuck getragen), und stets die freundlichen und zugänglichsten zur weiteren Zucht nutzte.
Als Beleg für Letzteres wird gern das Experiment des russischen Wissenschaftlers Dmitry Belyaev zitiert, der Zucht-Silberfüchse gezielt nach solchen Kriterien auswählte und bereits nach wenigen Generationen als Resultat sehr hundeähnliche Füchse hervorbrachte. Sie hatten ein anderes Fell, hängende Ohren, wedelten mit dem Schwanz und bellten (vgl. Man’s new best friend? und ein Video).
Das Erbgut und die Herkunft
Im Zeitalter der Genforschung nutzen die Experten die Analyse des Erbguts, um der Herkunft des Hundes auf den Grund zu gehen. Dabei zeigte sich, dass Hunde tatsächlich direkt vom Wolf abstammen - vorher waren noch Schakale und Kojote im Rennen, die nun endgültig als Urväter ausgeschlossen werden konnten.
Erste Studien schienen auf eine Herkunft aus Ostasien seit circa 15.000 Jahren hinzuweisen. Die größte genetische Bandbreite unter Hunden fand sich in Südostasien, was für die These sprach, dass dort der Wolf zum Hund gemacht worden sei. Der Nahe Osten war ein weiterer Herkunftsfavorit.
In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science stellt nun ein mehr als 30köpfiges internationales Wissenschaftlerteam um Olaf Thalmann von der finnischen University of Turku ihre Analyse der DNS prähistorischer Wölfe und Hunde sowie ihrer heutigen Nachkommen vor.
Sie untersuchten insgesamt 148 mitochondriale (nur von der Mutter vererbte) Genome, darunter zehn von steinzeitlichen Wölfen sowie von acht von uralten Hunden. Zwei der Tiere waren mehr als 30.000 Jahre alt. Diese Daten wurden danach mit dem entsprechenden Erbgut von 77 modernen Hunden, 49 Wölfen (aus dem Nahen Osten, Asien und Europa) und und vier Kojoten verglichen, um die Verwandtschaftsverhältnisse zu definieren.
Dabei stellte sich heraus, dass die heutigen Hunde genetisch eng mit den vorzeitlichen Wölfen aus Europa verbunden waren, sie stammen wahrscheinlich von ausgestorbenen Populationen ab, die einst europäische Wälder durchstreiften.
Da die untersuchten Wölfe und frühen Hunde zum Teil deutlich älter waren als 15.000 Jahre, sind die Ergebnisse ein klarer Beleg dafür, dass es europäische Jäger und Sammler waren, die einst Wölfe in ersten Haustiere verwandelten. Co-Autor Robert Wayne von der University of California in Los Angeles hält fest:
Wir fanden heraus, dass nicht die modernen Wölfe am engsten mit den domestizierten Hunden verwandt sind, sondern stattdessen die vorzeitlichen europäischen Wölfe. Das bringt die genetische Forschung mit den archäologischen Funden in Übereinstimmung. In Europa wurden die ältesten Hunde gefunden.
Außerhalb Europas wurden bislang keine Knochen von Hunden mit einem Alter von mehr als 13.000 Jahren gefunden. Die fehlenden archäologischen Befunde schwächten schon vor der neuen Studie die Modelle, nach denen deren Domestikation im Nahen Osten oder in Asien stattgefunden hat.
Das Team ist überzeugt, dass vor 18.800 bis 32.100 Jahren aus Canis lupus nach und nach Canis lupus familiaris wurde. Möglicherweise nicht in einer kontinuierlichen Anstrengung, sondern in verschiedenen Schüben, bis es vor etwa 15.000 Jahren eine nur noch aus wenigen Linien stammende, von Geburt an dem Menschen zugetane Hundepopulation gab - deutlich noch vor der neolithischen Revolution in Europa.
Die Wissenschaftler stellen sich eine Art Selbstdomestikation vor, indem bestimmte Rudel von Wölfen den menschlichen Jägern kontinuierlich auf ihren Jagdzügen folgten, ähnlich wie es heute noch Tundra-Wölfe in Nordamerika tun, die den Karibu-Herden auf ihren langen Wanderungen hinterherlaufen. Sie bleiben unter sich und vermischen sich nicht mit anderen, lokale Territorien besetzenden Rudeln. Robert Wayne erklärt:
Der Wolf ist die erste überhaupt domestizierte Art und das einzige große Raubtier, das der Mensch je domestizierte. Das schien mir schon immer seltsam. Andere Wildtiere wurden in Zusammenhang mit der Entwicklung der Landwirtschaft domestiziert, um in enger Nähe mit dem Menschen zu leben. Das wäre eine schwierige Position für ein großes, aggressives Raubtier. Aber wenn die Domestizierung in Zusammenhang mit den Jägern und Sammlern stattfand, dann kann man sich vorstellen, dass die Wölfe zunächst von den Tierkadavern profitierten, die durch die Menschen zurück gelassen wurden - eine natürliche Rolle für jedes große Raubtier - und sich dann mit der Zeit durch einen koevolutionären Prozess allmählich immer mehr in die ökologische Nische des Menschen zu bewegen.
Mit Sicherheit ist das nicht das Ende der Debatte. Die erste Kritik aus der Fachwelt wird schon laut. Andere Forscher betonen, dass es einer Untersuchung des gesamten Genoms und nicht nur der mitonchondrialen DNS bedarf, um die neue These nachhaltig zu belegen.
Zudem wird wie immer eine Debatte darüber entbrennen, dass die Datenbasis nicht weit genug gesteckt war, zumal die von der Gruppe um Olaf Thalmann untersuchte DNS von vorzeitlichen Wölfen und Hunden stammt, deren Überreste hauptsächlich in Europa ausgegraben wurden. Sicher ist, dass der Mensch in den letzten 15.000 Jahren sehr gründlich gewirkt hat: Heute gibt es mehrere hundert Hunderassen, von denen viele - vom Affenpinscher bis zum Zwergspitz - wenn überhaupt nur noch sehr entfernt an den Urvater Wolf erinnern. Vom Verhalten heutiger Hunde wie dem berühmten Tillman ganz zu schweigen...