Auf der Suche nach Salah Abdeslam in der ostwestfälischen Provinz
Großeinsatz einer Bielefelder Anti-Terror-Einheit ergebnislos beendet
Wir alle kennen das: Der Schwippschwager der Großnichte der Uroma des ehemaligen Arbeitskollegen der verstorbenen Nachbarin des Friseurs hat etwas gehört oder gesehen. In dem folgenden Fall eine Person, die eine Ähnlichkeit mit Salah Abdeslam haben könnte.
Den kannte bis vor kurzem noch niemand, doch nach den Anschlägen von Paris geriet er in die Schlagzeilen: Abdeslam ist der Bruder des Selbstmordattentäters Bahrim Abdeslam und soll an der Planung der Anschläge in Paris beteiligt gewesen sein. Nach dem Attentat soll er sich in Brüssel aufgehalten haben. Doch gestern berichteten Medien, er sei möglicherweise Richtung Deutschland geflohen.
Dort wurde er nun heute angeblich gesichtet. Und zwar in einem Ort, den auch vorher niemand kannte, in einer Region mit einer Metropole, die es angeblich gar nicht gibt: Espelkamp. Das kleine verschlafene Geburtsstädtchen des Musikers Heinz-Rudolf Kunze liegt im Nordwesten des ostwestfälischen Kreises Minden-Lübbecke, ca. 50 km nördlich von Bielefeld, knapp 100 km westlich von Hannover, wo vor einer Woche das Fußball-Länderspiel wegen Terror-Gefahr abgesagt wurde, und ca. 450 km nordöstlich von Brüssel. Genau genommen im Stadtteil Varl des Nachbarorts Rahden, in Espelkamp hat die Polizei eine Pressezentrale errichtet. Weshalb alle Medien Espelkamp zum Zentrum des Geschehens machten.
Alles in allem eine Gegend, in der es mehr Felder gibt als Häuser. Um eine Vorstellung zu vermitteln, wo sich die Terroristenjagd abspielt, wurde in den überregionalen Medien der eigentlichen Berichterstattung eine Landkarte voran gestellt.
In Varl also hatte sich jemand an die Polizei gewandt, der Abdeslam erkannt haben will. Daraufhin wurde die Maschinerie in Gang gesetzt: Mehrere Hundertschaften eines Einsatz-Spezialkommandos aus Bielefeld nebst entsprechender Gerätschaften marschierten auf, das fragliche Areal wurde weiträumig abgeriegelt und das besagte Pressezentrum errichtet, um die erstaunte Öffentlichkeit minutiös mit Nachrichten zu versorgen, die viel andeuteten, nichts bestätigten und schon gar nicht belegten. Von einer Festnahme war nachmittags die Rede - und davon, dass die Polizei selbige nicht bestätigt habe. Am späten Nachmittag war die Pressezentrale nicht einmal in der Lage die Frage zu beantworten, ob der Einsatz mittlerweile beendet sei oder nicht.
Kurz vor 18h dann die Entwarnung: Auf einer Pressekonferenz wurde mitgeteilt, dass die seit 8.30h auch unter dem Einsatz von Spezialeinheiten durchgeführten intensiven Ermittlungen den Verdacht nicht bestätigen konnten. Insgesamt neun Personen, sechs Erwachsene und drei Kinder (!!!), seien in einem Wohnhaus und einem Fahrzeug überprüft worden. Hinweise auf Salah Abdeslam in Ostwestfalen hätten die Ermittlungen indes nicht ergeben .
Das Ganze klingt nach Bielefeld-Verschwörung Teil 47: Phantom jagt Phantom. Vermutlich wird auch hier nicht restlos aufgeklärt, es werden mehr Fragen als Antworten bleiben - und vor allem die Verunsicherung.
Die ist seit der angeblichen Terrorgefahr, dem abgesagten Fußballspiel und dem abgesperrten Bahnhof in Hannover sowieso latent vorhanden. Bielefeld und auch Hannover sind Bezugspunkte der ostwestfälischen Landbevölkerung: Bekannte arbeiten und Kinder studieren da, am Wochenende gehen sie da bummeln oder am Maschsee spazieren, und um diese Jahreszeit auf den Weihnachtsmarkt.
Seit heute ist die gefühlte Terrorgefahr in Ostwestfalen, damit im letzten Winkel dieser Republik angekommen. Dass es weder in Hannover noch in Espelkamp irgendwelche konkrete Hinweise auf eine real vorhandene Terrorgefahr gab, wird am Ende nicht im Bewusstsein der Menschen bleiben, sondern ein allgegenwärtiges, diffuses Gefühl der Bedrohung und des Misstrauens gegenüber allen und allem Fremden. In der Folge wird das Bedürfnis nach Sicherheit steigen - nach mehr Überwachung, nach mehr Kontrollen und mehr Abschottung.