Aufregung in der Bio-Branche
Ein Medienbericht über geplante Verschärfungen der Regeln für Bio-Produkte sorgt für Irritationen bei Bio-Verbänden und Produzenten
Die EU-Kommission will mittels Verordnung strengere Regeln für Bio-Produkte einführen. Das berichtet der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe 3/2014. Dem Bericht zufolge sollen Pestizid-Werte künftig jenen strengen Grenzwerten entsprechen, die auch für Babynahrung gelten. Außerdem soll es nicht mehr möglich sein, dass ein Landwirt konventionellen und biologischen Landbau parallel betreibt.
Die Spiegel-Story und die über Nachrichten-Agenturen verbreitete Meldung darüber fand in Windeseile Eingang in die Online-Medien und sorgt jetzt für einige Aufregung bei den Bio-Produzenten und Verbänden. Diese wurden offensichtlich "kalt erwischt", wie Anfragen von Telepolis ergaben. Hinter vorgehaltener Hand zeigt man sich "verwundert", dass die Branche über ein Nachrichtenmagazin von geplanten EU-Änderungen erfahre. Das sei unüblich. Auch von Seiten der Ministerien gibt es noch keine offiziellen Stellungnahmen. Lediglich der Branchenverband Bund Ökologische Landwirtschaft gab eine erstes Pressestatement dazu ab und reagierte auch umgehend auf eine Telepolis-Anfrage.
Mit der kolportierten "Totalrevision" würde man der Öko-Bewegung einen "Bärendienst" erweisen, heißt es in der BÖLW Aussendung. "Zielgerichtete Verbesserungen" wären wichtig und dabei würde die Branche die EU-Kommission auch unterstützen. Der Vorsitzende des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Felix Prinz zu Löwenstein, weist darauf hin, dass es tatsächlich eine solche Reform-Agenda der Kommission gebe, dass jedoch mit der Veröffentlichung des Verordnungsentwurfes erst im März zu rechnen sei.
Was aktuell darüber über den Spiegel verbreitet wird, scheint aber nicht den Erwartungen der Branchenvertreter zu entsprechen. Im Gegenteil: Wichtige Vorhaben würden seit langem auf Eis liegen, heißt es in der BÖLW-Aussendung: "Löwenstein kritisiert die Kommission jedoch aufs Schärfste, weil die falschen Prioritäten gesetzt werden. So liegen seit Jahren wichtige Änderungen in den Regelungen für die Öko-Geflügel-Haltung in Brüssel auf Eis, ebenso zum Anbau in Gewächshäusern und der Verarbeitung von Öko-Produkten. Außerdem bemängelt die Bio-Branche seit Langem die Regelungen zum Import von Öko-Lebensmitteln und hat hier von der Kommission eine Priorität gefordert."
Verbraucher versus Produzenten?
Verbraucher hingegen könnten die Ankündigungen der EU freuen. Gerade am Bio-Sektor hat es in den vergangen Jahren trotz steigender Verkaufszahlen auch viele Verunsicherungen gegeben. Ist wirklich drin in BIO, was drauf steht? Was die gerne in der Werbung vermittelte "romantische" Vorstellung vom heilen kleinen Öko-Bauernhof betrifft, wird der Konsument bei genauerer Betrachtung wahrscheinlich enttäuscht sein. Denn auch das Bio-Gewerbe produziert durchaus rationell.
Ein Bericht über das Buch "Der Bio-Schmäh" (Schmäh = österreichisch für Schwindel/Täuschung) des Agrar-Biologen Clemens G. Arvay war einer der im Jahr 2013 am meisten diskutierten Artikel auf der Website der österreichischen Tageszeitung Der Standard. Hunderte Leser äußerten sich zum Thema. Arvay recherchierte vor allem in Österreich und zeigte wie stark inzwischen große Konzerne auch die Öko-Produktion bestimmen. Beim Lokal-Augenschein stieß Arvay auf regelrechte "Bio-Fabriken".
Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass die Regelungen betreffend Nachhaltigkeit, Chemikalieneinsatz etc. für die biologische Landwirtschaft wesentlich strenger sind als jene für konventionell wirtschaftende Landwirte. Der Konsument sieht im Supermarkt nicht mehr, ob das Produkt von einem "ehrlichen, kleinen" Bauern stammt, der konventionell aber mit Liebe zur Natur wirtschaftet, auf Pestizide weitgehend verzichtet und eine überschaubare Anzahl von Tieren artfreundlich hält oder ob er ein Produkt von einem Bio-Landwirt, der sehr "industrialisiert" arbeitet, bezieht.
Insbesondere in der Tierhaltung scheint es hier Missstände zu geben, wie auch BÖLW-Vorstand Prinz zu Löwenstein in der Pressaussendung andeutete. Agrabiologe Arvay traf bei seinen Recherchen auf regelrechte Öko-Hühner-Fabriken: "Eine Bio-Welt der automatischen Vogelnester, des Mittwochs als Bio-Schlüpftag, der Kükenfließbänder und der Todeskarusselle", zitiert Der Standard den Autor. Den überzeugten Bio-Konsumenten werden solche Zustände sicher empören und strenge EU-Regeln für das Bio-Siegel, wären aus Verbraucher-Sicht von daher wünschenswert.
Reduktion der Pestizid-Werte?
Auch hat der Konsument sicher keine Freude mit Pestizid-Spuren in seiner Bio-Ware. Insofern scheint die Spiegel-Meldung von einer Festlegung von Grenzwerten erstmals durchaus sinnvoll. Allerdings gelten die derzeitigen EU-Richtlinien für den Einsatz von Pflanzenschutzmittel im Bio-Landbau ohnehin als sehr streng. Generell wird auf Pestizide verzichtet und es gibt nur sehr wenige Mittel, die nach EU-Richtlinien für den Bio-Landbau überhaupt zugelassen sind.
Laufende Kontrollen in Österreich und Deutschland haben bisher immer Entwarnung für die Konsumenten gebracht. Bei den untersuchten Bio-Waren dieser beiden Länder gibt es seit Jahren kaum Beanstandungen wegen eines Überschreitens der Grenzwerte. Anders sieht es bei Bio-Importware aus, wie beispielsweise ein Bericht des Öko-Institutes zeigt. Grundsätzlich müssten sich aber alle EU-Länder an die derzeit vorgegebenen Regeln halten.
Ob hier eine Verschärfung etwas bringen würde, wagt im Moment kein Insider zu beurteilen. Hier müsse man den Entwurf dann im Wortlaut prüfen, heißt es aus Branchenkreisen. Es scheint aber Bedenken zu geben, dass bei allzu strengen Grenzwerten das "Öko-Kind" mit dem Bade ausgeschüttet werden könnte. Bio-Landwirte könnten sich einem zu großen wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt sehen.
In einer Stellungnahme gegenüber Telepolis hält die BÖWL-Pressesprecherin Joyce Moewius fest, dass Bio-Landwirte auch den Bedingungen in der Umgebung ausgesetzt sind und hier immer ein gewisses Verunreinigungsrisiko gegeben ist:
Bioproduktion findet in derselben Natur und Umwelt statt, wie die gesamte Landwirtschaft. Stoffen, die sich in der Umwelt befinden, ist auch der Biobauer ausgesetzt. Will man ihn verpflichten, die Ernte jedes Feldes ins Labor zu schicken und die Produkte von der Vermarktung ausschließen, wenn sich solche Stoffe darin nachweisen lassen dann ist klar was das bedeutet: Biolandbau wird dadurch unmöglich und nur noch konventionelle Landwirtschaft lohnt sich - eben jene Landwirtschaft, aus der solche Stoffe stammen. Das ist widersinnig! Es muss allerdings darauf verwiesen werden, dass seit vielen Jahren die amtliche Lebensmittelüberwachung ebenso wie das Monitoring des BNN drastisch niedrigere Werte an Verunreinigungen in Biolebensmitteln finden, als in konventionellen Produkten nachgewiesen werden. Das zeigt, dass die Anwendung dieser Stoffe an den Pflanzen selbst - die im Ökolandbau nicht stattfindet - zu erheblich höherer Rückstands-Wahrscheinlichkeit führt.
Joyce Moewius
Auch im österreichischen Landwirtschaftsministerium (Lebensministerium) kennt man den EU-Verordnungsentwurf noch nicht und sieht die derzeitigen Regelungen gerade im Pestizid-Bereich als streng und daher ausreichend. Pressesprecher Wolfgang Wisek gegenüber Telepolis:
Eine Verschärfung der Regeln ist grundsätzlich, wenn notwendig, positiv. Geprüft werden muss allerdings, ob Verschärfungen in den Bereichen notwendig sind oder nicht. Überregulierungen und unnötiger Verwaltungs- und Kontrollaufwand sollen vermieden werden. Die Pflanzenschutzmittel-Grenzwerte in Lebensmitteln sind bereits sehr streng. Eine weitere Reduktion für Bio-Lebensmittel muss im Detail geprüft werden.
Derzeit ist die Situation folgende: Grenzwerte in der biologischen Landwirtschaft gelten für dort zugelassene Pflanzenschutzmittel. Für Pflanzenschutzmittel, die in der biologischen Landwirtschaft nicht zugelassen sind, gilt bereits jetzt der Grenzwert von 0,01mg (wie bei der Babynahrung).
Es bleibt vorerst abzuwarten, wie der EU-Entwurf im Detail aussieht. Im Moment zumindest ist auf Seiten der Produzenten erhebliche Verärgerung über die mediale "Vorab-Verbreitung" der EU-Pläne zu erkennen. BÖLW-Vorstand Felix Prinz zu Löwenstein im Wortlaut:
All das, was wirklich gebraucht wird - und auch schon erarbeitet wurde - liegt auf dem Stapel. - Stattdessen schafft die Kommission mit den Vorschlägen kurz vor der Europawahl noch mehr Rechtsunsicherheit für 300.000 Öko-Landwirte, -Hersteller und -Händler sowie für viele Verbraucher in ganz Europa. Für zielgerichtete Verbesserungen hat die Kommission unsere volle Unterstützung. Ein komplett neues Rechtssystem, schon wenige Jahre nach der letzten Totalrevision (2007), wie es in Brüssel diskutiert wird, wäre jedoch höchst unvernünftig.
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