Aufstieg durch Bildung?
Die schöne neue Bildungsrepublik
Diesmal empfiehlt sich die FDP im Landtagswahlkampf NRW 2010 als Partei unserer Wahl an mit der plakativen Formel "Aufstieg durch Bildung". Das Thema "Bildung" habe für die FDP Priorität. Nicht anders wirbt das Bundesministerium für Bildung und Forschen mit diesem Spruch: "Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen, ist für den Zusammenhalt wie für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes von prioritärer Bedeutung. Derzeit fehlt es in unserem Bildungssystem an Durchlässigkeit für den Aufstieg. So haben Kinder von Akademikern eine fast doppelt so große Chance, die gymnasiale Oberstufe zu besuchen, und eine dreieinhalbmal so hohe Studienanfängerquote wie Kinder von Nichtakademikern. Für deutsche Jugendliche ist die Chance, eine qualifizierte Berufsausbildung zu genießen, bei gleichem Leistungsniveau der allgemeinen Fachleistungen mehr als doppelt so groß wie für ausländische Jugendliche."
"Bildung" ist zwar nicht wie Leben und Gesundheit das höchste aller Güter, doch das Lob der Bildung klingt so unverdächtig, dass wir wenigstens das für eine richtige Entscheidung der Politik halten möchten. Bildung befriedigt jedes Herz, bietet Linken wie Rechten, Fortschrittsgläubigen und Konservativen, Realisten oder Romantikern breiteste Projektionsflächen, ihren Traum vom besseren Leben anzureichern.
How to become Socrates
Doch lässt sich die Frage, welche Bildung morgen noch wichtig sein könnte, in einer radikal beschleunigten Welt überhaupt sinnvoll beantworten? Welche Bildung wichtig ist, dürfte sich heute mehr denn je erst später, vielleicht also zu spät, als richtig oder falsch darstellen. Zuvor schien es jedenfalls bequemer zu sein: "Die Rückkehr zur humanistischen Bildung ist nicht Flucht in die Vergangenheit, sondern ein Weg in die Zukunft, der einzige, der uns geblieben ist ... Wie sollen wir in Zukunft bestehen können, wenn wir nicht dort wieder anknüpfen, wo wir einst unser innerstes Wort zu sagen hatten, ein Wort, das kraft Dauerhaftigkeit und Unmittelbarkeit seines Bezuges zu den geistigen Grundlagen des Abendlandes auch europäische Geltung besaß?"
Das verkündete verkündete 1946 der berühmte Bildungsguru Georg Picht als Auftaktprogramm der deutschen Gelehrtenrepublik. 1964 legte der Visionär folgenreich und medienwirksam mit der "Bildungskatastrophe" nach, die kurze Zeit später von dem amerikanischen Bildungspolitiker Philip Hall Coombs mit der "Weltbildungskrise" noch getoppt wurde - was Untergangsspezialisten, die nicht nur in Deutschland ein einträgliches Arbeitsfeld finden, wie immer begeisterte.
Picht begriff Bildung zwar als Wirtschaftsfaktor einer Gesellschaft, doch die Botschaft humanistischer Bildung veränderte den Bildungsbegriff nicht: Erst lernen wir Latein und Griechisch, um dann zu erfahren, was Sokrates oder Platon, meinetwegen auch noch Goethe und Herder, in dieser spätmodernen Globalgesellschaft für richtig befunden hätten.
Wie "Dauerhaftigkeit" und "Unmittelbarkeit" des Wissens antiker Sklavendemokratien in Wirtschaftswundersystemen oder in ihren heutigen desolaten Verfallsformen wertvoll werden sollen, vermögen humanistische Bildungskonzepte nicht widerspruchsfrei anzugeben. Sokrates hatte augenscheinlich viel freie Zeit für höhere Bildungsformen, die nicht dem karrieristischen Erwerb von Weiterbildungszertifikaten geopfert wurden, um sich den nächsten Job zu sichern.
Zwischen "Vollhonks" und Schwarmintelligenzen
Die "Durchlässigkeit" des Schulsystems würde enorm gefördert, wenn das Menschenbild der Schule nicht länger mit universalistischen oder romantischen Hintergrundannahmen verkoppelt wäre. In Gesellschaften, die auf ein Miteinander und Kooperativität angewiesen sind, könnten spezifische Begabungen viel stärker gefördert werden, als sie das gegenwärtige, konkurrenzorientierte Generalprogramm zulässt. Die Kombination von sprachlich-literarisch-künstlerischen, geistes- sowie gesellschaftswissenschaftlichen und mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Fächern bleibt eine unerträgliche Zumutung für Einzelbegabungen.
Das Mainstream-Repertoire aus Natur- und Kulturwissenschaften, mit dem Pennäler dank G8 immer härter traktiert werden, lässt die Frage nach dem "cui bono" unbeantwortet. Die herrschenden Curricula sind hoffnungslos antiquiert, wenn sie etwa darauf bezogen werden, in der Click- oder Stirb-Welt von facebook, ebay, amazon und unbegreiflichen Widerrufserklärungen zu existieren. Gewiss, Generationen und avanciertes Wissen wachsen nach, doch "the digital gap" wächst in allen Varianten schneller, als wir uns das heute vorstellen wollen. Was Hänschen lernt, lernt Hans nimmermehr.
Lehrer kommen mit der digitalen Unübersichtlichkeit oft genug nicht mehr mit, was wohl unter anderem ihren unermüdlichen Netzeifer beflügelt, schändliche Plagiate zu outen. Diese schnell erworbenen "Bildungsanleihen" können indes nicht nur eilfertig als verlotterte Moral wikipediatisierter Schüler verbucht werden. Lernen in den Zeiten des verführerischen Monitors wird zwar zu einem ambivalenten Schicksal der Schüler, in dem kognitive Primäreigenschaften und -techniken wie Konzentration, Schreiben oder "Lesen" – auch im Geschlechtervergleich – erheblichen Anfechtungen ausgesetzt sind.
Der "Bildungsdiebstahl", dem Filesharing und Musikdownload nahverwandt, ist aber zugleich Symptom einer radikalen Veränderung des Wissens, das sich in seinen Vernetzungslüsten nicht allzu schulhörig daran bindet, was Kulturwahrern und -verwahrern frommt. Promiskuitiv angelegtes Wissen lässt sich weniger denn je dem Einzelnen zurechnen, auch wenn das die herrschenden Klassifikationssysteme zwischen dem Primus und dem "Setzen-Sechs-Kandidaten" durcheinanderbringt.
Je mehr technische und mediale Möglichkeiten dem Menschen zukommen, je rasanter der Wissenstransfer wird, desto unheimlicher werden die Verhältnisse, ohne sie je noch als Bescheidwisser eines G8-Abiturs zu durchdringen. Wer also heute von "Bildung" spricht, trägt die Beweislast, dass Wissensgesellschaften sich morgen nicht zur Unkenntlichkeit verändern. Die hybride Durchdringung menschlichen Wissens durch Computer und Internet führt zu einer Explosion der Wissenspraxis, die schlecht mit gegenwärtigen Menschenbildern kompatibel zu schalten ist. Denn auch ungeachtet der zähen Diskussion, ob und wie der evolutionäre Sprung zur künstlichen Intelligenz gelingt, werden die zukünftigen kognitiven Systeme nicht mehr vorrangig mit menschlichen Bildungsparametern durchmessen.
Was dagegen hier und heute als Allgemeinbildung regelmäßig unhinterfragt propagiert wird, ist keineswegs lediglich als Grundlage für späteres Spezialwissen zu rechtfertigen. Die Grenzen sind fließend, doch die Ausmistung des Lehrstoffs gegenüber der Unbeweglichkeit von ressortegoistischen Kultusverwaltungen ist eine überfällige Aufgabe. Spätere Karrieren von Schulversagern und Schulabbrechern jenseits dieser allgemeinen Fundierung lassen nur den Schluss zu, dass der mit alten Hypotheken belastete Begriff der "Allgemeinbildung" absolut revisionsbedürftig ist.
Der viel gescholtene antiautoritäre Pädagoge A.S. Neill formulierte es weiland noch drastischer: "Was hat es für einen Sinn, einem Jungen, der später Autos repariert oder Strümpfe verkauft, quadratische Gleichungen beizubringen? Das ist Wahnsinn." Würde man Persönlichkeits- und Schülertypen genauer betrachten, könnte das kostenintensive und frustrierende Schulversagen, die Unwürdigkeit des "Sitzenbleibens" und "Durchmogelns" durch Hassfächer erheblich reduziert werden.
Das Wissen um und für den Abstieg
Der Begriff der Bildung bleibt ideologieverdächtig oder rhetorisch unverbindlich, wenn er nicht auf seine bedingte Eignung für den persönlichen Erfolg oder gar Lebensfreude in einem konkurrenzorientierten Wirtschaftssystem kritisch hinterfragt wird. Bildung wurde nach klassischen Idealen an die Persönlichkeit gekoppelt, ja mehr: an das wahre Menschsein. Bildung, wie sie jetzt wieder zum ultimativen Politikprogramm hochgejazzt wird, verfolgt heute ungleich prosaischere Zwecke. Es geht um die Verwertbarkeit menschlicher Fähigkeiten im Wirtschaftsleben.
"Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes beginnt nicht in der Fabrikhalle oder im Forschungslabor. Sie beginnt im Klassenzimmer", formulierte bereits der Menschen- und Maschinenverwerter Henry Ford. Das ist vielleicht nicht per se eine Teufelei, aber für die Grenzen des Bildungsbedarfs und des dahinter stehenden eindimensionalen Kulturbegriffs verantwortlich. Die Marginalisierung von Kunst, Musik und Sport, Ethik und Psychologie, Techniken der Alltagsbewältigung und Persönlichkeitsbildung in den Schulen zeigt die Grenzen des herrschenden Bildungsbegriffs an. Diese Austrocknung menschlicher Interessen wird noch deutlicher in der betrieblichen Praxis, die auch jenseits von Fließbändern nicht selten dem lebenslänglichen Lernprogramm Hohn spricht.
Viele moderne Aufgabenbereiche sind hochspezifisch und wenig "volatil" auf dem sozialdarwinistisch ausgerichteten Arbeitsmarkt. Menschen, die jahrelang in der Monokultur eines Unternehmens auf winzige Zuständigkeiten oder entfremdete Robot-Tätigkeiten festgelegt werden, verlieren ihre "Marktfähigkeit", wenn sie sie denn je besessen haben. Solche Systemanforderungen sind nicht beliebig zu verändern. Arbeitslose Akademiker werden das Hohelied der Bildung auch nicht mit Überzeugung singen. Sie folgen eher dem Refrain Mark Twains auf den Wert der Bildung als "das, was übrig bleibt, wenn der letzte Dollar weg ist". Zwar sind die nominellen Prozentzahlen dramatischer als der eher kleine Anteil der arbeitslosen Akademiker an der Gesamtzahl der Arbeitslosen. Doch akademische Laufbahnen sind fragil genug geworden, wenn sie für den Aufstieg garantieren sollen.
Jenseits der blässlich gewordenen Orchideen neouniversalistischer Bildung hängen die Aufstiegschancen zum El Dorado der Besserverdienenden ohnehin von vielen Umständen ab, unter denen die Bildung nicht der hervorragendste sein muss. "Mittelmäßig zu sein stellt die vorteilhafteste Fähigkeit des Geistes dar", verriet Maurice Joly 1867 in seinem ungeschminkten "Handbuch des Aufsteigers". Bereits der Tellerwäscher ist kein Bildungsriese, sondern einer, der unermüdlich malocht, Entfremdung verinnerlicht, um dann wenigstens im Märchen als Rockefeller zu enden. Paris Hilton, die nicht in der Spülküche anfangen musste, wuchert augenscheinlich auch nicht mit Bildung.
Und ganz oben? Wirtschaftsbosse hinderte oft genug ein Lehrberuf nicht, den Aufstieg zu schaffen. Bill Gates und andere Großkopferte sind gar Studienabbrecher (weitere Beispiele). Ist Guido Westerwelle aufgrund seiner Bildungsqualitäten aufgestiegen oder eher als eifriger Parteimensch? Politikkritiker wie Hans Herbert von Arnim haben immer darauf insistiert, dass erfolgreiche Protagonisten im Kastensystem bundesrepublikanischer Politik und ihrer Parteien keine echte Chance haben, wenn sie nicht die Ochsentour machen. Der Aufstieg der politischen Mittelmäßigkeit läuft über das Dienen oder besser: Dienern, läuft oft genug über schlecht kaschierten Nepotismus und Ämterpatronage. Darin sind sich Herrschaftsformen ähnlich, die doch der Papierform nach völlig verschieden konstruiert sind.
Prekariat als Schicksal?
Fraglos sinken die Chancen auf Arbeit mit schwachem Bildungsgrad. Genauso fraglos ist die Durchlässigkeit des Bildungssystems nicht für alle Kinder gleichmäßig gewährleistet, was sich indes längst nicht abschließend in der vordergründige Betrachtung erledigt, welche Schultypen vorzugswürdig sind. Der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann mahnt: "Eltern und Kinder haben das Gymnasium vor Augen - diese Schule für Professoren und Rechtsanwälte. Da trauen sie sich nicht hinein, wenn ihre eigene soziale Konstellation ganz anders ist."
Wichtig wäre es weit darüber hinaus, die gesellschaftliche Durchlässigkeit für menschliche Fähigkeiten bzw. fröhliche Wissenschaft insgesamt zu erhöhen. "Die widerrechtliche Ausübung der Astronomie" kann mutatis mutandis für viele Wissensstrukturen formuliert werden, deren Professionalisierung von institutionalisierten Ein- und Ausschlüssen beherrscht wird, um die einträglichen Tröge der Wissenschaft nicht durch unangepasste Talente zu gefährden. Insofern konstituiert sich die Bildungselite nicht lediglich über ihre konkurrenzlosen Fähigkeiten, sondern mindestens ebenso verdankt sie ihren Anspruch den Abschottungsmechanismen ihrer Einrichtungen.
Bildung bleibt auch jenseits der uneingelösten Selbstverständlichkeiten eines fairen Bildungssystems eine fragile Angelegenheit, in der Pädagogen und Zukunftsforscher, wenn denn die Zukunft nicht ohnehin über deren Hybris lacht, nicht zu beneiden sind. Wer einen Aufstieg durch Bildung verspricht, überhebt sich gegenüber der unwiderruflichen Demontage der Arbeitsgesellschaft gewaltig. "Aufstieg durch Bildung" ist eine durch und durch eindimensionale Formel, die den Blick dafür trübt, dass die Karriereoptionen dieser Gesellschaften zahlreiche Momente voraussetzen, von denen Bildung längst nicht reklamieren kann, das wichtigste zu sein.
Wer sich den grassierenden Politikbetrieb ansieht, könnte allenfalls als ungebildeter Mensch den Eindruck gewinnen, dass Bildung hier den höchsten Stellenwert besitzt. "Frech kommt weiter" hieß es in der aufrichtigeren Kaffeewerbung, die in ihrem Erkenntniswert über die politrhetorisch ständig nachgeölte Gebetsmühle "Leistung muss sich wieder lohnen" hinausgeht.
"Aufstieg durch Bildung" duftet nach Karrieregewinnen für jedermann, um den sozial immer schlechter abgefederten Abstieg in das verschämte Prekariat auszublenden. Das Prekäre am Prekariat ist dabei nicht die selbstverordnete Hoffnungslosigkeit, sondern eine immer rücksichtslosere Arbeitswelt, die den Wert durchschnittlicher Leistungsfähigkeit immer weniger abruft und vor allem: immer schlechter bezahlt.
Mit dem von Jeremy Rifkin 1995 präsentierten Stichwort "The End of Work" verbindet sich der rapide Rückgang von Arbeitsplätzen bei gleichzeitigem Produktivitätszuwachs. Das sind objektive Tendenzen, die nicht durch McJobs oder gar das paradoxe Fantasma einer totalisierten Bildungselite ohne menschliches Mittelmaß verdrängt werden können. Wenn nicht die Abkoppelung gesellschaftlichen Reichtums von der Arbeit gelingt, werden die Bildungspropagandisten und Fortschrittseuphoriker bald sehr allein sein.
Bildung jenseits der sozialen Frage
Unter der Rubrik "Bildungskampagne" konstatieren die Liberalen: "Mit ihrer liberalen Bildungsoffensive stellt sich die FDP der Bedeutung von Bildung als der neuen sozialen Frage des 21. Jahrhunderts." Die soziale Frage ist historischer Betrachtung nach nicht unverbrüchlich mit Bildung verkoppelt. Arbeitsverhältnisse wurden über unvordenkliche Zeiten nicht vorrangig durch Bildung bestimmt, sondern durch die mehr oder weniger schön gefärbte bis camouflierte Notwendigkeit, schöne Freizeit für schnödes Geld zu opfern. Wer sein Handwerk gelernt hatte, besaß es – und blieb bei seinen Leisten. Erst die späte These vom "lebenslangen Lernen" hat dieses praktische Modell in Zweifel gezogen.
Fraglos sind die Halbwertszeiten von Wissen enorm gesunken. Wie viel Wissen um Computer, Internet und allen übrigen Techno-Kram haben wir aufgenommen, das heute bereits obsolet und damit ökonomisch wertlos ist? Unsere "soziale Frage" kann aber nicht davon abhängig sein, ob Menschen nach langen Bildungs- und Arbeitszeiten nun auch noch unter das Joch lebenslänglicher Bildung geraten. Büffeln im Altenheim, um die Rente aufzupolieren? Denn wie garantieren unsere Bildungsenthusiasten nicht allein der Liberalen, sondern vieler Parteien, dass dieser Bildungszumutungen von Menschen überhaupt noch erträglich verarbeitet werden kann?
Das rührt an das unausgesprochene Apriori der Abhängigkeit des Wissens von Menschen, die nun immer schneller rotieren sollen - denn anders können und dürfen sie ihre "soziale Frage" nach liberalem Credo ja nicht mehr lösen. "Lernen unter den veränderten Bedingungen des Alters dient der persönlichen Lebenszufriedenheit und zielt auf die Befähigung zur Mitgestaltung der Gesellschaft und zur Erweiterung notwendiger Kompetenzen zur individuellen Lebensführung. Lebenslanges Lernen auch im fortgeschrittenen Alter kann der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt helfen." So formuliert die Bund-Länder-Kommission im typischen Weichzeichnerstil auch gegenwärtiger Bildungsphrasen, die den Bildungsbegriff nicht in seiner antagonistischen Struktur darauf untersuchen, ob es nun um "Lebenszufriedenheit" oder abgenötigte "Wirtschaftshilfe" geht. Denn auch wenn das immer seltener in glücklicheren Berufskarrieren koinzidieren mag, dürfte das Modell der "Totalverzweckung des Menschen" (Erich Ribolits) erheblich verbreiteter sein. Doch selbst diese klassische Ressourcenverwertung kommt nun an einen Punkt, wo sich selbst Ausbeutung mangels Arbeit für alle Beteiligten immer weniger lohnt.
Vielleicht sollten Parteien und Parteimenschen das Lob der Bildung, das sie anderen predigen, daher nun zuvörderst auf sich selbst beziehen. Dann könnten sie den inzwischen aus dem Vorschein heraus getretenen und immer beklemmenderen Bildungsterror als solchen bezeichnen und die sozioökonomische Befindlichkeit von Menschen davon abkoppeln.
Das zu erwartende Resultat der Wissensgesellschaft mit exponentiell wachsenden Wissensbeständen liegt für Menschen nicht in der besinnungslosen Akkumulation von Wissen, sondern im "Triumph des Nichtwissens" (Manfred Prisching) oder anders formuliert: in der relativen Gnade wuchernder Ignoranz. Nicht nur unter diesen Auspizien hat jeder Mensch das Recht in einer Gesellschaft anständig leben zu können, ohne gebildet sein zu müssen.
Gesellschaften haben aus guten und noch mehr schlechten Gründen, trotz sinkendem Arbeitsvolumen immer noch zu viel Arbeit zu verteilen, die wenig Bildung, dafür aber viel Selbstüberwindung voraussetzt. Das mag beklagt werden, kann aber nicht in der Zumutung enden, Menschen Lasten aufzubürden, die in Politik und Wirtschaft als persönliches Lebensschicksal definiert werden. Auch hier hilft uns die wahre Bildung von Huckleberry Finn und Tom Sawyer respektive ihres - durchaus gebildeten - Schöpfers Mark Twain weiter: "Für mich gibt es wichtigeres im Leben als die Schule." Bereits die Entstehung des Vexierspruchs "Für die Schule und nicht das Leben lernen wir" präsentiert Bildung als paradoxe Ware.
Selbst wenn Politiker also bereit wären, die Beschaffenheit dieser vorgeblich so köstlichen Ware genauer anzugeben, was sie regelmäßig in ihrer diffusen Begriffsfetischisierung vermeiden, können wir diese Ware ohne die notwendigen Korrekturen am bestehenden Menschen- und Gesellschaftsbild so nicht für ausreichend zukunftstauglich halten.