Augen durch Nacht und Wolken
TerraSAR-X: Deutscher Beobachtungssatellit im Mikrowellenbereich
Dass Radarfallen zukünftig nicht mehr am Boden stehen oder auf Autobahnbrücken montiert werden, sondern aus dem All zuschlagen, ist nicht zu befürchten, auch wenn der Satellit TerraSAR-X tatsächlich die Geschwindigkeit von Autos auf der Autobahn feststellen kann, um damit Staus zu erkennen. Er hat jedoch noch Hunderte anderer Einsatzgebiete.
Der Radarsatellit TerraSAR-X ist in einiger Hinsicht Neuland, auch in der Frage der Finanzierung: Er ist Deutschlands erster nationaler Fernerkundungssatellit, der in öffentlich-privater Partnerschaft zwischen dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der EADS Astrium GmbH unter erheblicher finanzieller Beteiligung der Industrie realisiert wird, die dafür wiederum entsprechende Verwertungsrechte an den vom Satelliten aufgenommenen Daten erhält. So wird der Staat kostenmäßig entlastet, bleibt aber Eigentümer der Daten. Abgewickelt wird der kommerzielle Datentransfer über die Tochterfirma Infoterra GmbH
Der Ende Oktober in Baikonur geplante Start wird sich wegen dem Fehlstart einer der vorgesehenen russisch-ukrainischen Trägerraketen DNEPR-1 am 26. Juli 2006 noch bis Anfang 2007 verzögern. Diese ehemals als SS-18 bekannte Atombomben-Interkontinentalrakete wurde in Folge des START-II Vertrages in eine zivile Trägerrakete umgewandelt. Sie wird TerraSAR-X in einen sehr niedrigen, nur 514 Kilometer hohen, nahezu polaren Orbit bringen.
Es gibt also keine „blinden Flecken“ am Pol wie bei geostationären Satelliten, die über dem Äquator positioniert sind und nur ein festes Areal beispielsweise mit Rundfunkprogrammen versorgen. Während TerraSAR-X die Erde umkreist, kann er vielmehr alle Regionen der unter ihm rotierenden Erde streifenweise aufnehmen, bis er nach elf Tagen wieder seine ursprüngliche Position erreicht und ein neuer Zyklus beginnt. Jeder Punkt der Erde kann innerhalb von zwei bis vier Tagen mit unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommen werden.
“Dual Use“ mal anders: wissenschaftlich und kommerziell
Nach dem Start soll TerraSAR-X mindestens fünf Jahren hochwertige Radardaten für die wissenschaftliche Erdbeobachtung sowie Fernerkundungsdaten für die Privatwirtschaft und öffentliche Hand liefern. Später soll ihn bei TanDEM-X (TerraSAR-X add-on for Digital Elevation Measurement) ein zweiter, gleichartiger Satellit zum Tandem ergänzen, mit dem noch eine höhere Auflösung möglich wird. Beide Satelliten würden dabei ab 2009/2010 in einer engen Konstellation mit nur wenigen hundert Metern Abstand in nahezu demselben Orbit fliegen und nach 2,5 Jahren soll die komplette Landoberfläche der Erde, das sind 150 Millionen Quadratkilometer, vollständig vermessen und digitalisiert sein. Damit die beiden Satelliten nicht beim Überqueren der Pole zusammenstoßen, weil sich ihre Flugbahnen überschneiden, werden sie sich in einer Helixbahn bewegen, in der sie sich gegenseitig umkreisen.
Gesteuert wird der Satellit von der DLR-Bodenstation in Weilheim, wobei sowohl der Kommandokanal als auch die Datenübertragung verschlüsselt werden, um sie vor unberechtigtem Zugriff zu schützen. Dies übrigens nicht wegen der erwünschten kommerziellen Nutzung, sondern wegen Einsprüchen der Militärs. Die gewonnenen Daten werden auf dem Satelliten in einem 256 Gigabit großen Speicher abgelegt und über die DLR-Datenempfangsstation in Neustrelitz abgerufen. Zusätzlich können Daten auch zu weiteren Direktempfangsstationen der kommerziellen Kunden gesendet werden. Vom Kommandozentrum der DLR in Oberpfaffenhofen wird die Mission überwacht.
Mit TerraSAR-X werden insbesondere die Landmassen der Erde in Augenschein genommen. Dazu gehört die Kartierung von Waldflächen, die Erstellung und regelmäßige Aktualisierung von Landnutzungskarten, die Erfassung von Feldfruchtarten auf landwirtschaftlich genutzten Flächen sowie die Erforschung und Überwachung geologisch aktiver Gebiete wie Vulkan- und Erdbebenregionen.
Dank exakter Informationen über die Kontur der Erde können Wissenschaftler beispielsweise vorhersagen, entlang welcher Wege das Wasser auf der Oberfläche unseres Planeten fließt. Durch „virtuelles Fluten“ der digitalen Landschaft am Computer lassen sich die Auswirkungen lang andauernder Regenfälle simulieren und Überschwemmungen beziehungsweise deren Auswirkungen auf die Umwelt vorhersagen. Mit Computermodellen von Flüssen und ihren Stromgebieten können auch Voraussagen über die Verfügbarkeit von Wasser getroffen werden, was die Lebenssituation in den wasserarmen Regionen der Welt verbessern kann. Auch die Wege driftender Eisberge oder Ölverschmutzungen durch Schiffe können genau verfolgt werden.
Daten für terrestrischen Funk und Flugzeuge
Die Kombination von genauen Höhendaten mit Informationen über den Bewuchs und vom Menschen erschaffene Oberflächenstrukturen wie Straßen und Gebäude hilft Konstruktionsfirmen wiederum, beispielsweise Stromleitungen, Öl-Pipelines, aber auch Eisenbahnlinien oder Brücken am Computer zu planen. Die digitale Karte unterstützt damit den Landvermesser vor Ort.
Mobilfunkunternehmen können mithilfe eines Geländemodells die Ausbreitung der Funkwellen simulieren und die optimale Position ihrer Antennenmasten bestimmen. Schon in der Planungsphase lassen sich „Funklöcher“ aufdecken und durch eine günstige Positionierung der Masten vermeiden. Störungen entstehen etwa durch Reflexionen der Radiowellen an Bauwerken oder Bergen. Sie verhindern den Empfang der Signale, die sich geradlinig ausbreiten.
Schon heute warnen Navigationssysteme den Piloten, wenn sein Flugzeug sich unbeabsichtigt dem Erdboden oder einem Hindernis nähert. Je präziser die Geländemodelle, die diesen Systemen zu Grunde liegen, desto früher und zuverlässiger ist eine Warnung möglich. Wissenschaftler des DLR arbeiten zurzeit an Systemen, die im Cockpit eine künstliche Außensicht schaffen. Damit sehen die Piloten auf ihren Bildschirmen auch bei Nacht oder in dichter Bewölkung jedes Detail der überflogenen Landschaft, die zuvor auf Basis von digitalen Höhenmodellen im Bordcomputer gespeichert wird.
Nicht nur gucken, sondern auch beleuchten
Neu gegenüber bisherigen Wettersatelliten ist, dass es sich nicht um eine rein passive Beobachtung im optischen oder infraroten, sondern um eine aktive Abtastung im X-Band handelt: Mikrowellen mit drei Zentimetern Wellenlänge und einer Frequenz von knapp unter 10 GHz, ähnlich denen, wie sie von Fernsehsatelliten abgestrahlt werden, werden wie bei einem Radar abgestrahlt und ihre Reflektion wieder empfangen. Neben der Reflektion spielt hierbei – wie beim normalen Radar auch – die Dopplerverschiebung eine Rolle und es kann in drei Dimensionen aufgezeichnet werden: radartypisch wird auch die Entfernung des reflektierenden Objekts bestimmt. Raue Oberflächen erscheinen „hell“, während glatte Oberflächen „dunkel“ sind: sie reflektieren die stets schräg vom Satelliten eintreffenden Wellen ja nicht zurück, sondern spiegeln sie nach dem bekannten Grundsatz „Einfallswinkel ist gleich Ausfallswinkel“ auf die vom Satelliten abgewandte Seite.
Die exakte technische Bezeichnung lautet „Synthetic Apertur Radar“ (SAR), zusammen mit dem verwendeten Frequenzbereich (X-Band) ergibt dies den Namen des Satelliten. Der Vorteil von X-Band-Radar: Es ist unabhängig von der Beleuchtung durch die Sonne, sodass Messungen rund um die Uhr durchgeführt werden können, und weitgehend unabhängig von den Wetterverhältnissen, wie zum Beispiel der Wolkenbedeckung. Nur in totalen Wolkenbrüchen bleiben die X-Band-Wellen stecken, wie Satelliten-Fernsehzuschauer aus eigener Erfahrung wissen dürften und in der Praxis wird der Satellit Flugbahnen entlang der Tag-/Nachtgrenze nutzen, da so eine ständige Beleuchtung der Solarzellen sowie eine konstante Temperatur des Satelliten sichergestellt ist.
Die sogenannte „Along Track Interferometrie“ erlaubt unter anderem das Erkennen von bewegten Objekten, wie zum Beispiel von Autos oder Schiffen. Infolge der Dopplerverschiebung erscheinen diese je nach ihrer Geschwindigkeit und der Richtung ihrer Eigenbewegung nicht auf der Autobahn bzw. im Fluss, sondern seitlich verschoben. Diese Anwendung ist besonders interessant für die Verkehrsforschung, aber auch für die Untersuchung etwa von Meeresströmungen. Ebenso werden allerdings auch Höhenänderungen von Überflug zu Überflug erkennbar, auch wenn diese im Millimeterbereich bleiben, was Anwendungen in der Tektonik nützt, so der Erdbebenvorhersage, aber auch der Gefahr von Senkungen bewohnter Areals durch nahegelegene Entnahmen von Öl, Gas oder Grundwasser.
Wegen der Radarbestrahlung muss man sich übrigens keine Sorgen machen – diese erreicht nicht den gesundheitsgefährdenden Level terrestrischer Radars, denn bei einer Entfernung von über 500 Kilometern und einer auch im Spotlight-Modus maximal vier Sekunden andauernden „Mikrowellen-Beleuchtung“ wird bei einer Sendeleistung von 2000 Watt nur eine Belastung von zwei Sekunden Handy-Telefonieren in 140 Metern Entfernung erreicht, so Professor Dr. Richard Bamler, Direktor des DLR-Institus für Fernerkundung.
Wie funktioniert SAR?
SAR geht auf das Jahr 1951 zurück. Damals erreichte der Ingenieur Carl Wiley bei Flugaufnahmen zum ersten Mal eine hohe Auflösung mit einem Radarsystem, wozu er eine Phasenkorrektur für aufeinanderfolgende Radarimpulse einführte, die gemäß dem Doppler-Effekt aus der relativen Bewegung zwischen Radarantenne und Aufnahmeobjekt abgeleitet war. Die Erdoberfläche wird mit kurzen, von einer Radarantenne abgestrahlten Impulsen „beleuchtet“. Der Radarimpuls wird von der Erdoberfläche reflektiert und das Radarecho wieder mit der Antenne empfangen und aufgezeichnet.
Um eine hohe räumliche Auflösung zu erzielen, wird ein technischer Trick angewendet: Der Satellit mit dem SAR-Instrument bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit über die Erdoberfläche. Während des Überflugs werden die Echos vieler abgestrahlter Radarimpulse aufsummiert. Dieses kommt infolge der Eigenbewegung in dieser Zeit fiktiv einer sehr großen Radarantenne gleich, in Abhängigkeit von der in dieser Zeit zurückgelegten Entfernung. So wird die räumliche Auflösung in Flugrichtung erhöht, und dies bezeichnet man als „synthetische Apertur“. So erreicht man beispielsweise mit der TerraSAR-X Antenne von fünf Metern Länge eine räumliche Auflösung von einem Meter, was sonst nur mit einer realen Antenne von zehn Kilometern Länge möglich wäre
Verschiedene Auflösungen
TerraSAR-X wird drei Aufnahmearten kennen. Der meistgenutzte wird der sogenannte Streifenmodus sein. In diesem Modus bewegt sich ein Träger mit einem SAR-System auf einer Flugbahn, wobei ein feststehender Radarstrahl ein Zielgebiet schräg nach unten beleuchtet.Es wird ein Streifen abgebildet, dessen Länge der überflogenen Strecke entspricht.
Die Radarimpulse werden dabei absichtlich nicht senkrecht nach unten, sondern schräg zur Erdoberfläche ausgestrahlt. Dadurch können weiter vom Radar entfernt liegende Punkte durch Laufzeitmessungen von nahen Punkten unterschieden werden, da das Radarsignal auf seinem Weg von der Antenne zum Zielpunkt und zurück für die größere Entfernung mehr Zeit benötigt. Die schräge Abbildungsgeometrie erlaubt die Umrechnung der gemessenen Laufzeit in eine Position am Boden. Typische Einfallswinkel liegen im Bereich zwischen 20 und 60 Grad.
Der ScanSAR-Modus erweitert das Blickfeld. Er kann die in SAR-Satelliten existierende Beschränkung der Streifenbreite durch alternierendes Abtasten mehrerer Teilstreifen überwinden. Dazu wird der Radarstrahl quer zur Flugrichtung gesteuert, wodurch eine größere Streifenbreite bei reduzierter Auflösung erreicht wird.
Der Spotlight-Modus ermöglicht dagegen eine besonders hohe geometrische Auflösung in Flugrichtung. Bei diesem Modus wird der Radarstrahl in Flugrichtung gezielt so gesteuert, dass er während der gesamten Datenaufzeichnung auf das gleiche Zielgebiet gerichtet ist wird und nicht wie beim normalen Streifenmodus das Durchziehen der Landschaft unter dem Satelliten passiv hingenommen wird. Dadurch erreicht man eine erhöhte Ziel-Beleuchtungszeit und somit eine hohe Auflösung in Flugrichtung. Normale SAR-Antennen können nicht so einfach neu ausgerichtet werden; dies ist ein Novum bei TerraSAR-X.
Geschichte der SAR-Satelliten
Der erste zivile SAR-Satellit, SEASAT, wurde 1978 von der NASA gestartet, funktionierte aber leider nur wenige Wochen. Spätere SAR-Missionen waren meist erfolgreicher, so in den 90er-Jahren die ERS-Missionen der Europäischen Weltraumorganisation ESA oder das ASAR auf dem europäischen ENVISAT, der 2002 gestartet wurde und bis mindestens 2007 in Betrieb bleiben soll.
Spätestens seit der ESA-Mission ERS-1 ist die Erdbeobachtung mit Radarsensoren auch eine Kernkompetenz der deutschen Weltraumwissenschaft. ERS-1 hatte sich bei der Erdbeobachtung noch auf eine einzige Wellenlänge beschränkt. In Kooperation mit Italien und den USA wurde das Radarsystem dann so weiterentwickelt, dass eine Beobachtung der Ozeane und Landmassen gleichzeitig mit mehreren Wellenlängen möglich wurde, was sinnbildlich dem Übergang von der Schwarzweiß- zur Farbfotografie entspricht.
Während die Radarimpulse des amerikanischen Systems SIR-C („Shuttle Imaging Radar-C“) im L-Band (24,2 Zentimeter Wellenlänge) und C-Band (5,7 Zentimeter) beispielsweise in den Waldboden eindringen können und Feuchtigkeitsmessungen ermöglichen, können mithilfe des im X-Band (3,1 Zentimeter) arbeitenden deutsch-italienischen X-SAR („X-Band Synthetik Apertur Radar“) Baumkronen sondiert werden, um etwa ihren Verdunstungsgrad zu messen. Damit konnte das Gerät, das von den Firmen Dornier System und Alenia Spazio gebaut wurde, im Rahmen des internationalen Programms „Mission zum Planeten Erde“ besonders zur Untersuchung der Vegetation und ihrer Veränderungen eingesetzt werden.
Tests im Space-Shuttle
Getestet wurden die nun in TerraSAR-X verbauten Instrumente erstmals auf einer zehntägigen Shuttle-Mission im April 1994 (SIR-C/X-SAR; STS-59), als aus der Ladebucht des Raumtransporters die zwölf Meter lange und rund vier Meter breite Radarantenne auf die Erdoberfläche gerichtet wurde. Forschungsgebiete waren hierbei der globale Kohlenstoffzyklus, also die Veränderung der Vegetationsdecke, der Wasser-Zyklus, die ozeanische Zirkulation und schließlich der Austauschprozess zwischen Ozeanen und Atmosphäre. Für die wissenschaftlich-technische Erprobung stellte die NASA den Mitflug auf dem Space Shuttle und die Mitbenutzung ihrer Radareinrichtung kostenlos zur Verfügung. Ein zweiter Flug fand im Oktober desselben Jahres statt (STS-68), sodass vergleichende Messungen zu unterschiedlichen Jahreszeiten durchgeführt werden konnten.
Fortgesetzt und wesentlich erweitert wurde die Radarbeobachtung der Erde im Februar 2000 mit der „Shuttle Radar Topography Mission“ (SRTM; STS-99), bei der ein digitales, dreidimensionales Höhenmodell der Erde zwischen dem 60. nördlichen und südlichen Breitengrad mit hoher Auflösung erstellt wurde. Bis zum Start des Space Shuttles Endeavour gab der beste globale Datensatz nur alle 1.000 Meter einen auf 100 Höhenmeter genauen Punkt an. Die SRTM-Sensoren sollten dies auf 30 Meter bei einer Genauigkeit von sechs Höhenmetern verbessern.
Hierfür wurde die Erdoberfläche erstmals gleichzeitig aus zwei unterschiedlichen Perspektiven durch das deutsch-amerikanische Radar-System ins Visier genommen: zum einen aus der Ladebucht des Raumtransporters, zum anderen durch eine zusätzliche, am Ende eines 60 Meter langen Mastes angebrachte Radar-Antenne. Aufgabe der sechs an Bord befindlichen Astronauten, unter ihnen der Deutsche Dr. Gerhard Thiele, war hierbei die präzise Ausrichtung der Radarsensoren sowie die Überwachung der Datenaufzeichnung mit einem Umfang von gut zwölf Terabyte.