Aus dem Abwasser lassen sich soziodemografische Rückschlüsse ziehen
Reichere und ärmere Wohnviertel unterscheiden sich erheblich, wenn man wie jetzt australische Wissenschaftler das Abwasser untersucht und mit sozioökonomischen Daten verbindet
Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt zu. Das ist gut für die Reichen, für die Abgehängten nicht, deren Lebenserwartung deutlich hinter der der Reichen zurückbleibt. Sie führen also nicht nur ein kargeres Leben, sondern sterben auch noch früher. Glücklich, wer reich geboren wurde oder es schaffte, sich in die privilegierte Schicht heranzuarbeiten. Die ärmeren Schichten haben nicht nur ein geringeres Einkommen, mit dem sie kaum oder nicht um die Runden kommen, ihre dadurch bedingte Lebensweise drückt sich auch in ihren Hinterlassenschaften aus, also in ihrer Kacke.
Geld stinkt nicht, hieß es in der römischen Antike. Stimmt nicht, Reichtum stinkt anders als Armut. Das ist auch kaum verwunderlich, schließlich essen und trinken Reiche anderes als Arme, sie nehmen auch andere Medikamente ein als diejenigen, die am Existenzminimum entlangkreuchen. Bislang wurde mit der Abwasseruntersuchung gerne geschaut, wo die Menschen welche Drogen und Medikamente zu sich nehmen, die Abwasser-Epidemiologie setzt deutlich breiter an und entwickelt ein Instrument, um den Ernährungs- und Gesundheitszustand der Menschen aus einem bestimmten geografischen Gebiet zu analysieren.
In Australien haben Wissenschaftler an sieben aufeinanderfolgenden Tagen Proben von 22 Kläranlagen entnommen und nach 42 Biomarkern analysiert. Abwasser sei eine "Fundgrube für Chemikalien, die Bevölkerungsverhalten und Gesundheitszustand widerspiegeln". Die Ergebnisse wurden verglichen mit Ergebnissen der Volkszählung 2016, die Aufschluss gaben über die Mietpreise, Arbeitslosenquote oder Ausbildungsgrad in den untersuchten Gebieten, aber auch über die Medikamente und Drogen. Es zeigten sich, so schreiben sie in ihrer Studie, die in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen ist, soziodemografische Unterschiede zwischen reichen und armen Gebieten, die sich im Abwasser manifestierten.
Kaffee und Alkohol bei den Reicheren, Opioide und Antidepressiva bei den Ärmeren
Überraschend sind die Ergebnisse wohl nicht, sie bestätigen, wenn auch im Detail, was schon bekannt ist. In reicheren Gegenden, wo die Bewohner mehr Miete zahlen, es weniger Arbeitslose und als Menschen mit Behinderungen gibt, ernähren sich die Menschen besser oder gesünder und finden sich mehr B3- und B6-Vitamine sowie Vitamin E. Sie weisen auch mehr Biomarker für Zitrusfrüchte, Lignane oder Ballaststoffen auf, am höchsten in Gegenden mit gut ausgebildeten und leitenden Angestellten. Das heißt, die reicheren Menschen essen mehr Früchte, Gemüse und Getreide als die ärmeren.
Offenbar trinken die Wohlhabenderen und Gebildeteren mehr Kaffee. "Wir gehen davon aus", schreiben die Wissenschaftler, "dass der höhere Kaffeekonsum in sozioökonomisch besser gestellten Gruppen 1. eine größere finanzielle Freiheit, sich mit koffeinhaltigen Getränken wie Kaffee zu verwöhnen, und/oder 2. die kulturelle Institutionalisierung regelmäßigen Kaffeetrinkens bei den besser gestellten und/oder besser gebildeten Schichten widerspiegelt". Ähnlich scheint es mit Alkohol zu sein, der in den reicheren Schichten mehr getrunken wird.
In den sozioökonomisch schlechter gestellten Gebieten finden sich im Abwasser deutlich höhere Mengen an verschreibungspflichtigen Medikamenten zur Behandlung von Deepressionen (Citalopram, Amitriptylin, Desvenlafaxin), gegen Bluthochdruck (Betablocker Atenolol) und vor allem gegen chronische Schmerzen (Opioide wie Methadon, Codein, Tramadol oder Oxycodon).
Für die Wissenschaftler sind Antidepressiva ein Hinweis für höheren psychologischen Stress. Sie konnten sogar demografischen Gruppen unterschiedliche Antidepressiva zuordnen. Menschen, die Citalopram nehmen, leben eher allein und sind oft getrennt oder geschieden. Amitriptylin wird eher Menschen verschrieben, die keinen Hochschulabschluss haben, und Desvenlafaxin erhalten eher ungelernte Arbeiter.
Die Abwasser-Epidemiologie ist auf jeden Fall auch ein neues Überwachungsmittel, das nicht nur den Konsum von Drogen und Medikamenten feststellen kann, wie die Studie der australischen Wissenschaftler zeigt. "Unsere Studie zeigt", schreiben die Autoren, "dass Chemikalien im Abwasser die sozialen, demografischen und ökonomischen Eigenschaften der entsprechenden Bevölkerung widerspiegeln, und sie beleuchtet den potenziellen Wert von Abwasser für die Untersuchung der soziodemografischen Determinanten der Gesundheit der Bevölkerung."
Anders gesagt, man kann aus dem Abwasser nicht nur den sozialen Status der Bewohner erkennen, sondern auch direkt davon ableiten, wie gesund sich die Menschen ernähren und welche Drogen und Medikamente sie zu sich nehmen, was die Frage entstehen lässt, ob geringes Einkommen und geringe Bildung zu einer ungesünderen Ernährung und erhöhtem Medikamentenkonsum führt oder ob umgekehrt das Aufwachsen in einem Umfeld mit schlechter Ernährung und Gesundheit die Wahrscheinlichkeit erhöht, wenig zu verdienen und keine höhere Bildung zu erhalten. Und werden sich möglicherweise Krankenkassen der Abwasser-Analyse bedienen, um die Beiträge der Ernährung und dem Gesundheitszustand anzupassen?
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