Aus die Maus?
Ein bislang unbekannter Faktor könnte zahlreiche Laborstudien verwässern, wenn nicht sogar verfälschen: der Geruch der Forscher
Mäuse und Ratten müssen für vieles herhalten. Unzählige wissenschaftliche Studien berufen sich auf die Nagetiere, um dieses und jenes zu belegen: Mal sollen Tests an Labormäusen angeblich belegen, dass Kaffee gegen Alzheimer hilft, mal sollen sie zeigen, dass dieses oder jenes Mittel gegen Krebs hilft. Oft genug haben diese Studien erheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen, beispielsweise bei der Zulassung von Medikamenten.
Doch viele dieser (oft teuren und langwierigen) Studien könnten verwässert, ja schlimmstenfalls verfälscht sein. Denn abseits der Frage, ob sich die Testergebnisse mit Mäusen und Ratten lückenlos auf den Menschen übertragen lassen, kommt nun ein weiteres Problem hinzu, wie eine Studie zeigt, die jüngst im renommierten Fachmagazin "Nature Methods" veröffentlicht wurde.
Sobald sich Forscher in der Nähe von Mäusen oder Ratten aufhalten, geraten die Nagetiere in massiven Stress. Genauer: Ist ein Mann in der Nähe, sehen die Nagetiere ihr Leben und Territorium bedroht. Bei Frauen hingegen erhöhte sich der Stresspegel der Nagetiere nicht.
"Die Leute haben dem bislang keinerlei Beachtung geschenkt in der gesamten Geschichte der Forschung an Tieren. Ich denke, dass das eine sehr große Anzahl von Studien, in welchem Ausmaß auch immer, völlig durcheinander gewürfelt hat", sagt der Schmerzforscher Jeffrey S. Mogil von der McGill University im kanadischen Montreal, der leitende Autor der Studie.
Doch was ist der Auslöser für den Stress? Mogil und seine Kollegen vermuten, dass die Mäuse und Ratten durch Pheromone der männlichen Menschen gestresst werden. Kommt ein Mann in die Nähe, erhöht sich die Körpertemperatur der Mäuse und Ratten signifikant, zudem schütten sie das Stresshormon Corticosteron aus.
Bei der Anwesenheit von Männern haben die Mäuse und Ratten das gleiche Stressniveau, als müssten sie sich für drei Minuten über Wasser halten oder als seien sie für eine Viertelstunde in ein enges Rohr eingesperrt. Aufgrund der ausgeschütteten Stresshormone haben die Mäuse und Ratten ein signifikant verringertes Schmerzempfinden - dadurch werden insbesondere solche Studien unbrauchbar, die sich mit Stress, Schmerzen und Hormonen befassen.
Interessanterweise werden die Nagetiere auch durch die Pheromone anderer männlicher Säugetiere gestresst - in der Studie reagierten sie nicht nur auf männliche Menschen, sondern auch auf Hunde, Katzen und Schweine. Bei den weiblichen Pendants blieben die Mäuse und Ratten ruhig.
Das Forschungsteam konnte seine These mit einem weiteren Test reproduzieren und damit untermauern: Sie nahmen T-Shirts, die zuvor jeweils von Männer und Frauen getragen worden waren und legten die T-Shirts anschließend zu den Nagetieren - auch hier zeigten die Tiere die genannten Reaktionen.
Mogil und sein Team weisen darauf hin, dass sich Mäuse und Ratten an den Geruch von Männern gewöhnen können (Entwarnung also auch für all jene Männer, die sich Mäuse oder Ratten als Haustiere halten). Doch in den Laboren kommen häufig "neue" Mäuse und Ratten zum Einsatz, nachdem die anderen getötet wurden. Zudem gönnen die Forscher den Nagetieren meistens keine Eingewöhnungszeit, um sich mit dem Geruch der Menschen vertraut zu machen.
"Unsere Ergebnisse weisen stark darauf hin, dass die Standardverfahren in Laboren dem Geschlecht der Forscher Rechnung tragen sollten, sobald sie ein Phänomen untersuchen, das mit Stress zusammenhängt", schlussfolgern die Autoren. Wie viele Studien durch den entdeckten Stresseffekt bereits verwässert oder verfälscht wurden, ist unbekannt.
Patrick Spät lebt als freier Journalist und Buchautor in Berlin.