Ausdehnung der EU-Gasrichtlinie mit Ausnahmen
EU-Kommission verkündet Nord-Stream-2-Kompromiss
Die EU-Kommission hat auf ihrer Website bekannt gegeben, dass sich ihre Unterhändler mit denen des Europaparlaments und der EU-Mitgliedsländer auf einen Kompromiss im Streit um die Gaspipeline Nord Stream 2 geeinigt haben. Dieser Kompromiss kombiniert eine Ausdehnung der EU-Gasrichtlinie (die unter anderem eine Trennung von Besitz und Betrieb und eine Zugangsgewährung für Konkurrenten vorschreibt) auf Leitungen aus Drittstaaten mit Ausnahmen von dieser Richtlinie, über die vor allem das Land bestimmen können soll, in dem eine Pipeline EU-Gebiet erreicht.
EU-Energiekommissar Miguel Arias Cañete lobte den Kompromiss als "großen Fortschritt hin zu einem integrierten Gas-Binnenmarkt, der auf Solidarität und Vertrauen beruht und die Europäische Kommission voll einbezieht". Letztere soll "Vereinbarungen zwischen Regierungen […] vorab prüfen" und Ausnahmen "entscheidend mitbestimmen". Außerdem schließe die EU mit einer geänderten Gasrichtlinie "Schlupflöcher in ihrem juristischen Regelwerk", erhöhe die Konkurrenz zwischen Gaslieferanten und verbessere Transparenz und Energiesicherheit.
Gegenleistung Uploadfilter?
Dass es einen Kompromiss im Nord-Stream-2-Streit geben könnte, zeichnete sich bereits am Freitag ab, als die französische Regierung durchblicken ließ, dass sie ihre vorher explizit hervorgekehrte Gegnerschaft zur Gaspipeline lockern wird (vgl. Nord Stream 2: Macron geht auf Abstand zu Merkel). Über die Ursachen für diesen plötzlichen Sinneswandel und über mögliche deutsche Gegenleistungen an den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron wird nicht nur in Sozialen Medien viel spekuliert. Auffällig ist in jedem Fall die zeitliche Nähe zur koalitionsvertragswidrigen Zustimmung der deutschen Bundesregierung zur Uploadfilterpflicht in der neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie (vgl. EU-Urheberrechtsreform: Weg ist frei für Upload-Filter und Leistungsschutzrecht).
Neben den Regierungen Frankreichs, Dänemarks, Polens, Ungarns, Rumäniens, Litauens, Lettlands, Estlands, der Slowakei und der USA hatten sich in der Vergangenheit vor allem Politiker der Grünen gegen die Gaspipeline ausgesprochen. Die Grünen-Bundestagsfraktion verurteilte sie in einem Positionspapier als "unnötige und klimaschädliche Infrastruktur" (vgl. Grüne schärfen ihr Profil als Verbotspartei). Wahrscheinlich auch deshalb merkt der russische Botschafter Sergej Netschajew in einem aktuellen Interview der Neuen Osnabrücker Zeitung an, dass russische Gaslieferungen für Deutschlands noch wichtiger werden, wenn die dortigen Politiker nach den Kern- auch die Kohlekraftwerke schließen wollen.
Russischer Botschafter hält amerikanische Warnungen für unaufrichtig
Die unter anderem von seinem Amtskollegen Richard Grenell ausgesprochenen amerikanischen Warnungen vor Abhängigkeit und Erpressbarkeit hält Netschajew für unaufrichtig. Seinen Worten nach ist es "schwer zu glauben, dass ein Land, das die Regeln freien und fairen Handels ruiniert, seine Konkurrenten mit Einfuhrzöllen belegt, die Parole 'Amerika First' auf seine Fahnen schreibt und größten europäischen Konzernen offen mit rechtswidrigen Sanktionen droht, sich nun wirklich um europäische Interessen sorgt". Das eigentliche Motiv hinter den Warnungen ist seiner Meinung nach der Wille, amerikanisches Flüssigerdgas zu verkaufen, das sich "in einem fairen Wettbewerb nicht behaupten" könne.
Tatsächlich ist amerikanisches Flüssigerdgas sowohl wegen seiner relativ aufwendigen Förderung aus Schiefer als auch wegen des Seetransports mit Kühlung und Kompression deutlich teurer als über Pipelines geliefertes Erdgas. Deshalb sind die insgesamt 26 europäischen Flüssigerdgas-Terminals aktuell mit nur 55 von 235 verfügbaren Milliarden Kubikmetern ausgelastet.
Selbst dieser Auslastungsgrad kommt nur dadurch zustande, dass beispielsweise in Litauen die Regierung den staatlichen Energieversorger anwies, einen Liefervertrag zu schließen und auch andere Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtete, diesem Mindestmengen abzunehmen. Trotzdem soll noch in diesem Jahr mit dem Bau eines weiteren europäischen Flüssigerdgas-Terminals begonnen werden. Standort ist das schleswig-holsteinische Brunsbüttel (vgl. Flüssigerdgas: Erzwingen die USA den Abschied von der Marktwirtschaft?).
Sorgt der gestern Nacht gefundene Kompromiss dafür, dass Nord Stream 2 planmäßig weitergebaut wird, könnte die 1.200 Kilometer lange Pipeline ab Ende 2019 jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas liefern, mit dem unter anderem Kraftwerke betrieben werden, die einspringen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Anders als Kohle- und Kernkraftwerke können moderne Gaskraftwerke sehr schnell aus dem Stand hochgefahren werden, rentieren sich aber nicht, wenn sie nur zeitweise laufen. Eine Lösung für dieses Unwirtschaftlichkeitsproblem bei der Reservevorhaltung ist bislang noch nicht gefunden.
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