Ausgewiesen! Berlin, 28.10.1938
Seite 2: Heute ist Faschismus wieder eine Option der Märkte
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80 Jahre nach der deutschen Judendeportation ist eine Erinnerung besonders dringlich. Denn schon längst wird in vielen auch europäischen Ländern ausgetestet, wie stark man einzelne Menschengruppen stigmatisieren und dann zur Verfolgung freigeben kann. Heute sind es oft nicht in erster Linie die Mehrheit der Juden, das ist sicher ein Verdienst der Existenz des Staates Israel. Doch der Antisemitismus maskiert sich, gehetzt wird gegen Soros und gegen Jüdinnen und Juden, die sich nicht positiv auf Israel beziehen. Massiv stigmatisiert werden aber verschiedene andere Minderheiten, die von Land zu Land auch wechseln können. Seien es Roma, Migranten aus verschiedenen Ländern oder auch Obdachlose. Das Stadium ihrer Entrechtung ist oft schon weit fortgeschritten.
Massenausweisungen wie in Deutschland vor 80 Jahren sind durchaus in einigen Ländern denkbar. Und wie würde dann die vielgerühmte zivilisierte Welt reagieren? Einen Hinweis darauf gibt die politische Situation in Brasilien. Dort wurde die Wahl eines Faschisten, der bisher praktisch alle Feindbilder der Rechten bedient, nur beim Antisemitismus hält er sich bisher zurück, von sämtlichen Fraktionen des brasilianischen Bürgertums unterstützt. Auch er will die Roten entweder im Exil oder im Gefängnis sehen. Deswegen gingen nach seiner Wahl die Aktienkurse nach oben. Der Taz-Journalist Ingo Arzt versteht die Welt nicht mehr:
Jair Bolsonaro könnte aus Brasilien einen faschistischen Staat machen. Gleichzeitig gilt er als Traummann der Märkte. Das liegt daran, dass die sich bloß für die Bilanz interessieren. Muss man das hinnehmen?
Ingo Arzt, taz
Das kommt davon, wenn man sich von Marx verabschiedet hat. Daher sei hier ein vielstrapaziertes Zitat des Philosophen noch einmal mal im Wortlaut wiedergegeben ().
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Kapital, sagt der Quarterly Reviewer, flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.
Karl Marx
Daher haben die Märkte noch jeden rechten Putsch, wie den gegen Allende, ebenso bejubelt wie die Wahl von Trump. Die Märkte verhalten sich also auch im Fall Bolsonaro nur regelkonform. Widerstandspotentiale kann es nur aus der Bevölkerung geben, und dann vor allem derer, die wenig bis nichts zu verlieren haben. Gerade deshalb ist es wichtig, sich der Deportationen in Deutschland von vor 80 Jahren zu erinnern, an ihre Vollstrecker, an ihre Profitgierige und auch an die, die Widerstand geleistet haben wie Herschel Grünspan.