Auslaufmodell grüne Gentechnik?
Verbesserte Methoden in der klassischen Züchtung bescheren Forschern und Agro-Multis überraschende Erfolge. Monsanto nutzt diese auf seine ganz eigene Weise
Die grüne Gentechnik ist in der Praxis weit hinter den einst hochgesteckten Erwartungen zurück geblieben. Das erkennen immer mehr Forscher, aber auch Agro-Konzerne, die sich jetzt verstärkt wieder der klassischen Züchtung zuwenden. Smart Breeding heißt die neue Zauberformel. Dabei versucht man von der Natur selbst zu lernen, kreuzt klug und verzichtet auf gentechnische Manipulation. Erfolge gibt es bereits bei Tomaten, Reis und Soja. Selbst Monsanto, der Marktführer bei Gentech-Pflanzen, hat die neue Methode für sich entdeckt und kreierte eine vielversprechende, gesündere Sojasorte, kreuzte diese dann aber gleich wieder mit patentierter, herbizidtoleranter Gentech-Soja. Pervers, finden Gentech-Kritiker, die der neuen Präzisionszüchtung ohne Genmanipulation ansonsten aber einiges abgewinnen können.
Wer sich intensiver mit der grünen Gentechnik beschäftigt, dem wird auffallen, dass die gentechnische Manipulation von Pflanzen eine äußerst aufwändige Angelegenheit ist und nach 25 Jahren Forschung in der Praxis bisher nicht wirklich Überzeugendes hervorgebracht hat. Die heute kommerzialisierten Gentech-Sorten bringen nur bedingt Vorteile für die industrialisierte, auf Monokulturen ausgerichtete Landwirtschaft. Die Liste der potentiellen Risiken ist lang, der Nutzen gering und oft nur von kurzer Dauer. Wer sich dann noch die Mühe macht, nach Alternativen Ausschau zu halten, wird rasch fündig. Veränderte landwirtschaftliche Praktiken bringen ebenso anschauliche Erfolge wie die Nutzung der vorhandenen natürlichen Ressourcen für die Züchtung.
Ein Paradebeispiel für die Möglichkeiten der klassischen Pflanzenzüchtung war die Arbeit an einem pilzresistenten Weizen in der Schweiz. Gentechnik-Ingenieure an der ETH Zürich stellten nach langen Forschungsarbeiten 2005 einen Stinkbrand-resistenten Gentech-Weizen vor, der im Freilandversuch eine um zehn Prozent höhere Resistenz aufwies. Gleichzeitig hatte aber auch ein Schweizer Biozüchter den Kampf gegen den Stinkbrand aufgenommen – mit einem kleinen, engagierten Team und vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln. Durch die Einkreuzung einer alten Weizensorte gelang dem Biozüchter Peter Kunz eine nahezu 100-prozentige Stinkbrand-Resistenz. In den vergangenen Jahren gab es dann auch immer wieder verhaltene Ansagen der Agro-Industrie, sich wieder verstärkt der klassischen Züchtung zuwenden zu wollen. In einem Interview gestand etwa der Syngenta-Forschungsleiter einmal ein, dass man in die grüne Gentechnik „viel investiert“ hätte, die Erfolge aber mäßig gewesen wären. Und jetzt hat sogar Monsanto die klassische Züchtung wieder entdeckt.
Genauer gesagt, gewinnt das sogenannte Smart Breeding zunehmend an Beduetung. Dabei wird Gentechnik beziehungsweise Molekularbiologie nur zur Begleitforschung eingesetzt, auf gentechnische Manipulationen des Pflanzengenoms aber verzichtet. Der österreichische Gentechnikexperte und Risikoforscher Werner Müller kann diesen Techniken einiges abgewinnen. Im Telepolis-Gespräch erklärt er:
Die sogenannte „Marker gestützte Selektion“ ist eine alte Technik, die vor Jahren parallel zur Gentechnik entwickelt wurde. Sie erlebt derzeit einen Aufschwung, zumal die Gentech-Methoden nicht sehr elegant sind. Denn dabei wird meist mit einer „Genkanone“ synthetische DNA – also ein im Labor erzeugtes Gen-Konstrukt – ins Genom geschossen. Da kommen viele schwache Pflanzen heraus, die dann wieder mühsam zu ertragsstarken Gentech-Pflanzen rückgekreuzt werden müssen. Der Vorteil des Marker gestützten breeding ist, dass keine transgenen Pflanzen entstehen und außerdem sehr früh ausgemacht werden kann, ob Nachkommen das erwünschte Gen haben. Das beschleunigt die Selektion. Das Verfahren erleichtert auch das Einkreuzen von Merkmalen aus Wildpflanzen.
Gentechnik als Begleitforschung
Bei den neuen Verfahren werden Genmarker, kurze DNA-Schnipsel, eingesetzt, mit deren Hilfe sich rasch zeigt, ob eine bestimmte Pflanze die gewünschten Gene hat oder nicht. Das ist der entscheidende Vorteil gegenüber der klassischen Methode, bei der Züchter nach der Kreuzung aus vielen Tausenden Pflanzen jene aufspüren müssen, die genau das erwünschte Merkmal geerbt haben. Die Zeitersparnis ist enorm. Dauert die klassische Züchtung von Kultursorten zehn Jahre oder mehr, so kann man mit der Begleitforschung nach Expertenmeinung fünf Jahre einsparen. Die Entwicklung gentechnischer Pflanzen dauert im übrigen etwa so lange wie klassische Verfahren, die erforderlichen Risikoprüfungen können die Marktreife zusätzlich verzögern.
Auch in Deutschland weiß man um die Möglichkeiten des Smart Breeding. Ein deutsch-israelisches Forscherteam hat sich etwa über die Tomate hergemacht. Die Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Pflanzenphysiologie in Golm und ihre israelischen Kollegen von der Hebrew Universität zu Jerusalem untersuchten Tomatenlinien, die aus einer Kreuzung zwischen Kultur- und Wildtomaten entstanden sind. Ihr Ziel war es, die biochemische Zusammensetzung der Früchte zu identifizieren und herauszufinden, durch welche Faktoren diese gesteuert wird. Dafür nutzte das Forscherteam eine Analysemethode, die am Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie entwickelt worden war:
Mit dieser Technik - einer Kombination aus Massenspektroskopie und Gaschromatographie - lässt sich die Zusammensetzung biologischer Proben analysieren. Dadurch können Aminosäuren, organische Säuren, Zucker und Vitamine einer Frucht schnell und zeitgleich untersucht werden.
Dabei wurde entdeckt, dass die Kreuzung von Kultur- und Wildtomaten über 880 Veränderungen in den Inhaltsstoffen hervorgebracht hatte. Die Einbindung natürlicher Ressourcen hatte damit auch der genetischen Verarmung der Kulturtomaten entgegen gewirkt.
Die neuen Erkenntnisse machte sich ein beteiligter israelischer Forscher zunutze und kreierte eine Tomate mit sehr hohem Zuckergehalt. Sie wird inzwischen in den USA weitläufig angebaut und findet in der Ketchup-Industrie reißenden Absatz. Auch bei der Entwicklung einer Reissorte, die unempfindlich gegenüber Überschwemmungen ist, konnte man mit Smart Breeding erste Erfolge verbuchen. Sollte sich die neue Sorte bewähren, könnte damit vielen Kleinbauern in Asien geholfen werden. Denn Überschwemmungen sind ihr Hauptproblem, das nach Expertenschätzungen jährliche Verluste bis zu 1 Milliarde US-Dollar verursacht.
Auch der Gentech-Multi Monsanto entdeckte inzwischen Smart Breeding für sich. 2004 kündigte der Konzern die Entwicklung einer Sojasorte an, die einen wesentlich niedrigeren Gehalt an Linolensäure aufweist und ohne Gentechnik gezogen worden war. Vistive-Soja bringt für die verarbeitende Industrie viele Vorteile und könnte zur Reduktion gesundheitsschädlicher Transfette in zahlreichen Produkten beitragen. Die Monsanto-Entwicklung wurde medial viel beachtet, insbesondere auch deshalb, weil sie konventionell gezüchtet worden war.
Doch die gute Soja-Sorte hat einen kaum beachteten Haken. Denn Monsanto kreuzt die Sorte inzwischen mit der hauseigenen herbizidtoleranten Gentech-Linie Round up Ready Soja. Daraus ergibt sich die paradoxe Situation, dass man zwar eine Sojasorte gezüchtet hat, aus der tatsächlich „gesündere“ Lebensmittel hergestellt werden könnten, potentielle Gesundheits-Risiken aufgrund der gentechnischen Manipulation aber nicht abschließend ausgeschlossen werden können. Ein Problem ist das vor allem bei Produkten, bei denen der Rohstoff kaum Verarbeitungsprozesse durchläuft. Generell sind die meisten eingebrachten synthetischen Gene auch hitzestabil. Bei Soja-Öl ist das Fremdgen bisher nicht nachweisbar, der Rohstoff bleibt aber eine gentechnisch veränderte Sorte.
Zudem gibt es viele andere Gründe, warum Verbraucher gentechnisch veränderte Pflanzen (GVP) ablehnen. So ist der exzessive Anbau von Round up Ready-Soja etwa in Argentinien inzwischen zu einer regelrechten Plage geworden und der großflächige Einsatz des Totalherbizids Glyphosat (Round up) aufgrund negativer Umweltauswirkungen schwer umstritten. Abgesehen davon setzt sich die Patentproblematik von Gentech-Sorten fort. Denn auch Vistive unterliegt nicht einfach dem Sortenschutz, sondern ist patentgeschützt.
Der österreichische Risikoforscher Werner Müller glaubt nicht, dass die grüne Gentechnik aufgrund der Möglichkeiten der Smart Breeding-Methode gänzlich von der Industrie aufgegeben wird:
Man wird sicher genau beobachten müssen, ob Agro-Konzerne weiter auf patentierbare Pflanzen setzen. Abgesehen davon: Bei den herbizidtoleranten Sorten – also jenen die unempfindlich gegenüber bestimmten Spritzmitteln sind – wird die Industrie wohl auch weiterhin mit gentechnischer Manipulation arbeiten. Möglicherweise trifft das auch auf die insektenresistenten Gentech-Linien zu, weil man artfremde Gene nicht anders einbauen kann.
Immerhin aber zeigt sich mit der Präzisionszucht ohne Gentechnik, dass die Möglichkeiten, die uns die Natur selbst bietet, enorm sind. In die so genannte „zweiten Generation“ von GVPs, also solche, die einen direkten Nutzen für den Verbraucher bringen sollten, hatten die Gen-Ingenieure große Hoffnungen gesetzt und sind bis dato nur kaum weiter gekommen. Gerade hier hat Smart Breeding unter intelligenter Ausnutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse eindeutig die Nase vorn. Sollte die Industrie, aber auch die Forschungspolitik konsequent darauf setzen, bräuchten sie sich zumindest um die Akzeptanz durch den Verbraucher nicht mehr zu sorgen.
In der Telepolis-Buchreihe ist von Brigitte Zarzer erschienen: Einfach GEN:ial. Die grüne Gentechnik.