Außenpolitische Fata Morgana in Brüssel
Beim Treffen der EU-Außenminister zur Ukraine-Russland-Krise hat sich Griechenland wider Erwarten nicht quer gestellt. Allerdings hat sich die Spaltung zwischen Falken und Tauben verschärft
Das Feindbild war perfekt: Eine linksradikale Regierung, die sich der heiligen EU in Brüssel verweigert und zugleich einen Pakt mit dem Teufel in Moskau schmiedet. So oder so ähnlich stellten deutsche Medien die Lage vor dem Treffen der Außenminister in Brüssel dar.
Während die griechischen Zeitungen die ersten Entscheidungen des neuen Premierministers Alexis Tsipras und seiner Regierung kommentierten und sich Franzosen und Briten schon wieder anderen internationalen Themen zuwandten, musste es in Deutschland die Angst vor einer griechisch-russisch-orthodoxen Achse Athen-Moskau sein.
Der Grund: Tsipras hatte sich Anfang dieser Woche brüsk von einer gemeinsamen EU-Erklärung zu Sanktionen gegen Russland distanziert. Er sei nicht konsultiert worden, beschwerte sich Tsipras in einem Telefonat mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini.
Sein Ärger galt allerdings vor allem dem neuen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, der für einen harten Kurs gegen Moskau plädiert. Der Pole Tusk war es wohl auch, der darauf bestand, alle 28 EU-Länder müssten Russland neue Sanktionen androhen - und Tsipras einfach links liegen ließ.
Doch so viel Differenzierung war schon zu viel für einige deutsche Medien und Politiker. Vor allem der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, ein Vertrauter von Kanzlerin Angela Merkel, heizte die Stimmung an. "Wer grundsätzlich nicht mitmacht, muss auch wissen, dass er kein Erpressungspotenzial hat", warnte Brok - ein Seitenhieb auf die Abkehr Griechenlands vom Sparkurs, den man Tsipras in Berlin besonders übel nimmt.
Doch die neue "Achse des Bösen" erwies sich schnell als Fata Morgana. Schon vor Beginn des Außenminister-Treffens war die Luft raus. Der Streit drehe sich gar nicht um die Sanktionen, sondern nur um das Verfahren, schrieb der neue Finanzministers Yanis Varoufakis in seinem Blog. Die EU habe die neue Regierung in Athen gar nicht um ihre Meinung gefragt, deshalb habe man protestiert.
Auch der neue griechische Außenminister Nikos Kotzias ruderte zurück. "Griechenland arbeitet für eine Wiederherstellung von Frieden und Stabilität in der Ukraine", betonte er schon bei seiner Ankunft in Brüssel. "Gleichzeitig arbeiten wir daran, einen Riss zwischen der EU und Russland zu verhindern." Keine Konfrontation, alle Optionen offen halten - das war die griechische Linie.
Damit steht die neue Links-Rechts-Regierung in Athen nicht allein, im Gegenteil. Auch andere EU-Regierungen wie Österreich, Italien oder die Slowakei zögern. "Sanktionen und die Verschärfung von Sanktionen sind nur, im besten Fall, Notfalllösungen, die aber niemals einen Friedensplan ersetzen können", sagte der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann bei einem Besuch in der Slowakei.
Frankreichs Staatschef Francois Hollande hatte sich zuletzt sogar für eine Lockerung der Strafmaßnahmen gegen Russland ausgesprochen. Und die EU-Außenvertreterin Mogherini hat sogar schon Optionen für den Ausstieg vorbereitet. Doch nach der jüngsten Eskalation in der Ost-Ukraine vollzog die Italienerin, die wegen ihrer "weichen" Haltung unter besonderer Beobachtung steht, eine Kehrtwende; bei einem Kurztrip nach Washington war sie für härtere Strafen bis hin zu Wirtschaftssanktionen.
Dieses Hin und Her in der Ukraine-Frage ist nicht neu. Von Anfang an hatten die 28 größte Mühe, gegenüber Russland Einheit zu zeigen. Am Anfang, auch das ist schon vergessen, stand vor allem Deutschland auf der Bremse. Als es dann im Herbst erstmals um Wirtschaftssanktionen ging, spielte Merkel plötzlich die Zuchtmeisterin.
Viele EU-Staaten zögerten damals, weil gerade erst der Waffenstillstand in der Ostukraine in Kraft getreten war. Der damalige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy setzte die EU-Strafen sogar ein paar Tage aus. Doch mit einem Machtwort und mithilfe von Uwe Corsepius, ihrem früheren Europaberater und heutigem Generalsekretär des Rats in Brüssel, drückte Merkel die Sanktionen durch.
Geschlossenheit wurde durch den Minimalkonsens gewahrt, aber eine Strategie fehlt
Wenn es nach Van Rompuys Nachfolger Tusk und anderen Hardlinern gegangen wäre, hätten sie nun auf neue Wirtschaftssektoren ausgeweitet werden sollen. "Weitere restriktive Maßnahmen" sollten die EU-Außenminister beschließen, hieß es in einem Beschlussentwurf. Dies müsse die Antwort auf die jüngsten Offensive der pro-russischen Separatisten in der Ostukraine und einen tödlichen Raketenangriff auf die Stadt Mariupol sein.
Doch dafür war keine Mehrheit zu finden. Und zwar nicht nur wegen Griechenland. "Wir sind nicht die bösen Buben, wir schwimmen im Mainstream", freute sich der neue griechische Außenminister Kotzias. Und dieser Mainstream sieht genauso aus, wie er schon vor dem Machtwechsel in Athen ausgesehen hat: Es ist ein Minimalkonsens. Die Liste der Reiseverbote und Kontensperrungen wird ausgeweitet, bestehende Strafen werden verlängert.
Damit wurde zwar Geschlossenheit gewahrt, doch eine Strategie ist das nicht. Aber die hatte von diesem hektisch einberufenen und schlecht vorbereiteten Treffen ohnehin niemand erwartet. Überhaupt kann man sich fragen, ob die EU-Außenminister sich nicht lieber mit anderen Themen beschäftig hätten, etwa dem Vormarsch des "Islamischen Staats" in Libyen.
Das Land, das die EU mit Militärgewalt von seinem Alleinherrscher befreit hatte, ist in Anarchie und Chaos versunken. Bei einem Terror-Angriff auf ein Luxushotel in Tripolis waren am Dienstag zehn Menschen getötet worden, darunter ein ehemaliger US-Marine. Die amerikanischen Medien berichteten groß darüber, in Brüssel war es kein Thema.