Außer Kontrolle
Das künftige "EU-Außenministerium" könnte ein schwer beeinflussbares und gefährliches Eigenleben entwickeln. Trotzdem gab das Europäische Parlament grünes Licht für die Megabehörde
Die zelebrierte Einigkeit und Freude täuschte. Am Donnerstag war wohl niemand so richtig glücklich im Europäischen Parlament. In ihrer "Straßburg-Woche" hatten die Abgeordneten am französischen Parlamentssitz die Pläne zum Aufbau eines "Europäischen Auswärtigen Dienstes" (EAD) durchgewinkt. Dass nicht wenige der Parlamentarier bei ihrem Votum Bauchschmerzen hatten, lag wohl vor allem daran, dass sie damit trotz kleiner Zugeständnisse durch die Regierungen praktisch ihre Kontrollrechte über die neue Megabehörde aufgegeben haben. Weniger störten sich die europäischen Volksvertreter am weitgehend offenen Mandat der Behörde und der Vermischung ziviler und militärischer Aspekte.
Bis zu 8.000 Beschäftigte soll der EAD haben, über dessen Strukturen und Kompetenzen die EU-Spitzendiplomaten und Regierungsvertreter monatelang hinter verschlossenen Türen berieten. Die Personalstärke wurde in den vergangenen Wochen oft dramatisiert. Allerdings werden im EAD künftig viele der bereits existierenden Einrichtungen und Strukturen, die bei Europäischer Kommission und EU-Ministerrat angesiedelt sind und weitgehend unabhängig voneinander agieren, zusammengeführt. So wandern beispielsweise die Generaldirektionen der EU-Kommission für Außenbeziehungen und für humanitäre Hilfe vollständig in den EAD, ebenso wie die EU-Vertretungen in mehr als 125 Ländern. Diese sollen in der Zukunft die Koordinierung zwischen den Vertretungen der einzelnen Mitgliedsstaaten übernehmen (bisher rotierte diese Aufgabe zwischen den Botschaften) und dafür noch ausgebaut werden. Effektiv wird mit etwa 3.000 zusätzlichen Stellen gerechnet.
Aber auch wenn nur wenige Abgeordnete den Sinn eines europäischen diplomatischen Dienstes bezweifeln, der wirksamer als Einzelstaaten internationale Prozesse beeinflussen kann, erscheint vielen Parlamentariern der Apparat immer noch zu gigantisch. Die derzeitigen "EU-Diplomaten" würden die anfallenden Aufgaben gut schaffen, meint etwa die Europaabgeordnete der Grünen und EAD-Berichterstatterin ihrer Fraktion Franziska Brantner. "Der Auswärtige Dienst der EU muss nicht aufgeblasen werden, nur um die Begehrlichkeiten von Rat und Mitgliedsstaaten, die auch Personal in den EAD entsenden dürfen, zu befriedigen." Ihr Kollege Helmut Scholz von der Linksfraktion sieht das ähnlich und befürchtet, der EAD könne zum Spielball der Mitgliedstaaten werden: Der Dienst müsse so gestaltet werden, "dass er sich nicht verselbstständigt. Er darf auch nicht so konzipiert werden, dass sich die Mitgliedstaaten den EAD untereinander nach Interessensphären aufteilen und die EU-Außenpolitik eine Summe der nationalen Partikularinteressen wird. EU-Außenpolitik muss die gemeinsamen Interessen der EU-Mitgliedstaaten widerspiegeln und verteidigen."
Die Verselbständigung des EAD ist eine durchaus reale Gefahr. Zwar legt der im Dezember vergangenen Jahres in Kraft getretene Lissabon-Vertrag die EU-Außenpolitik in die Hand des "Hohen Vertreters" für Außen- und Sicherheitspolitik, der zugleich Vizepräsident der Europäischen Kommission ist.
Laut Vertrag stützt er oder sie - das Amt hat gegenwärtig die britische Baroness Catherine Ashton inne - sich dabei auf den EAD, der "mit den diplomatischen Diensten der Mitgliedstaaten zusammenarbeitet und Beamte aus den einschlägigen Abteilungen des Generalsekretariats des Rates und der Kommission sowie abgeordnetes Personal der nationalen diplomatischen Dienste umfasst". Wie weit der Einfluss der "hohen Vertreterin" auf den Dienst geht, lässt diese Formulierung offen. Nach den Planungen steht dem Dienst zudem ein mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteter Generalsekretär nach französischem Regierungsmodell vor, für den auch noch ein Politiker aus Paris im Gespräch ist.
Das war denn selbst Europas Schattenaußenminister, dem CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok, zuviel. "Die Außenbeauftrage ist auf Reisen und der Generalsekretär macht Politik", monierte Brok als parlamentarischer Berichterstatter zum EAD. Von nahezu allen Fraktionen wird das dahinter liegende Problem wahrgenommen: Zwar könne der Generalsekretär wesentlich die Außenpolitik der EU mitbestimmen, ist aber bei einem weitgehend eigenständigen Dienst weder der Kontrolle durch die EU-Kommission noch als Beamter der Rechenschaftspflicht gegenüber den Europaabgeordneten unterworfen.
Ein vor zwei Wochen in Madrid zwischen Ashton, Vertretern der Regierungen und des Europaparlaments getroffener Kompromiss sollte diese Bedenken ausräumen. Allerdings blieb den Abgeordneten nur die Möglichkeit, über Budgetfragen Einfluss auf den Dienst zu nehmen. " Wir können mit dem Kompromiss sichergehen, das der neue Dienst dem Europäischen Parlament politisch rechenschaftspflichtig ist", redete sich der italienische Sozialist Roberto Gualtieri die Brosamen schön. (http://www.europarl.europa.eu/news/public/story_page/030-76948-176-06-26-903-20100625STO76828-2010-25-06-2010/default_de.htm) Dass die Abgeordneten fraktionsübergreifend Ashton und dem EAD die – unverbindliche – Zusage abrangen, das außenpolitische Wirken an der UN-Charta, dem Menschen- und Völkerrecht zu orientieren, spricht nicht gerade für Vertrauen in die Britin und die neuen Strukturen.
Aufgabenbereich umfasst militärische und zivile Krisenbewältigung
Zumal Ashtons wohl allzu schnelles Nachgeben auf die französischen Forderungen – die EU-Außenpolitik gilt in Paris seit jeher als Instrument zur Umsetzung eigener Interessen – nur ein Kritikpunkt der Parlamentarier ist. So will sich die "Hohe Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik" ebenfalls den Zugriff auf die Entwicklungspolitik und den zugehörigen 8-Milliarden-Euro-Etat sichern. Viele Abgeordnete haben jedoch nicht vergessen, dass Ashton als frühere EU-Handelskommissarin insbesondere gegenüber den Entwicklungsländern einen aggressiven Kurs gefahren hatte. Einverleiben will sich die Baroness ebenso die Nachbarschaftspolitik gegenüber osteuropäischen Staaten. Für beide Bereiche gibt es in der EU-Kommission Verantwortliche, die nach Ashtons Vorstellungen aber nur Hilfsfunktionen ausüben sollen – nach ihren Worten "eine perfekte Synergie".
Dass das Mandat des EAD weitgehend offen gehalten wurde, keine klare Abgrenzung insbesondere zur Verteidigungspolitik der EU erfolgte und militärische Elemente in den EAD sogar eingebunden werden sollen, scheint die Mehrheit im Europaabgeordneten und die Regierungen dagegen weniger zu stören – es ist offensichtlich gewünscht. "Im EAD wird de facto ein Außenministerium mit einem Verteidigungsministerium zusammengelegt", kritisiert der Linken-Abgeordnete Scholz. "In demokratischen Systemen gibt es zu Recht eine strikte Trennung beider." Und Brantner meint: "Grüne möchten die Ziele des EAD strikt an solchen Vorgaben wie der UN-Charta, dem internationalen Recht und den Menschenrechten festmachen."
Die großen Fraktionen kümmerten diese Vorbehalte und Forderungen bei ihrer Zustimmung zum EAD-Bericht allerdings wenig. So sprachen sie sich ausdrücklich dafür aus, dass sowohl "militärische wie zivile Krisenbewältigung in die Kompetenz der EU-Außenministerin fallen sollen. Eine Verknüpfung beider Aspekte wird ebenso wenig abgelehnt wie beispielsweise die "gemeinsame nachrichtendienstliche Auswertung durch die Akteure innerhalb des EAD. Damit liegen sie auf der Linie der Regierungen, die zu diesen Fragen schweigen. Und auch der deutsche Außenminister beschäftigt sich lieber mit speziellen, für ihn aber vermutlich wichtigen Aspekten der EU-Diplomatie: Im EAD sollten möglichst viele Beschäftigte der deutschen Sprache mächtig sein, forderte Guido Westerwelle.