Ausstieg aus dem Kernkraft-Ausstieg?
Die Absichten der CDU, Kernkraft weiter zu nutzen, stoßen nicht überall auf Begeisterung
Das Wort vom Rückgängigmachen geht um. Der schrittweise Ausstieg aus der Atomkraft soll, glaubt man diversen Äußerungen schwarzgelber Politik, von einer schwarzgelben Regierung in einen Wiedereinstieg umgemünzt werden – wenn Schwarzgelb sein Versprechen, Deutschland dienen zu wollen, einlösen kann. Ob das nur Wahlkampf oder tatsächlicher, politischer Plan ist, lässt sich frühestens mit Gewissheit am frühherbstlichen Wahlabend sagen. Eher schon spricht manches dafür, dass es eigentlich darum geht, der Atomwirtschaft zu neuen Geschäften zu verhelfen.
In der Gegend um Freiburg dürfte das schwierig werden. Schließlich ist der Widerstand gegen Atomkraft seit dem Versuch, im Örtchen Wyhl ein AKW zu bauen, guter Brauch. Das geht bis in konservativste Kreise hinein, auch in Bezug auf das französische Kernkraftwerk Fessenheim, 20 Kilometer südlich von Breisach unmittelbar an der Grenze zu Deutschland gelegen. Der AKW-Widerstand hat sich gerade neu formiert: In Basel wurde an 17. Juni der Trinationale Atomschutzverband der Bevölkerung um das AKW Fessenheim gegründet, der nach Informationen der Organisatoren von den Kantonsregierungen Baselland und Basel-Stadt unterstützt wird.
Die mögliche, zukünftige K-Partei hierzulande kann, was Fessenheim angeht, möglicherweise in Erklärungsnot geraten. Der Ausstieg aus dem Ausstieg, wie er derzeit landauf, landab propagiert wird, hört sich nämlich regional ganz anders an: Peter Weiß (CDU), der für den betroffenen Wahlbezirk Emmendingen-Lahr im Bundestag sitzt, sagt, die Zukunft Fessenheims sei eine „Frage des Sicherheitsstandards.“ Wenn der nicht genüge, müsse das Kraftwerk abgeschaltet werden – in der Vergangenheit habe es darüber hinaus in Fragen der Informationspolitik des Kernkraftbetreibers Electricité de France Defizite gegeben.
Weiß ist in guter Gesellschaft. Axel Mayer, Geschäftsführer beim BUND in Freiburg und einer der wichtigsten Figuren des AKW-Widerstands in der Region, hat rund 30 Resolutionen diverser Kommunal- und Kreisparlamente im südlichen Baden gezählt, die die Abschaltung Fessenheims verlangt haben. Die EDF sieht das gelassen: „We have no comment, as everybody is free to express his opinion“, sagt die zuständige Pressefrau Stéphanie Lardeau, also: „Dazu haben wir keinen Kommentar, so wie jeder die Freiheit hat, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen“.
Mayer beschreibt die Gefährlichkeit des ältesten, französischen Doppel-Reaktors mit einem sehr drastischen Bild: Pro Megawatt Leistung würden dort in einem Jahr eine Hiroshima-Bombe kurze und mittlere Radioaktiviät erzeugt – was insgesamt 1.800 Hiroshima-Bomben entspricht. Zahlen, die man kaum wirklich nachvollziehen kann – die Gefährlichkeit des Reaktors illustrieren sie allemal.
Das „generelle Problem“ der Atomkraftnutzung sei, dass sich ihre Gefährlichkeit und die Fehlerhaftigkeit menschlichen Handelns nicht miteinander vertrügen, so Mayer. Neu ist das gewiss nicht, aber überall hin herumgesprochen hat es sich auch nicht. Nach einer Studie des Ökoinstituts wären bei einem Störfall in Fessenheim alle Siedlungen in bis zu 370 Kilometer Entfernung in Richtung Nordosten auf 50 Jahre unbewohnbar – wenn man dieselben Maßstäbe wie beim Reaktorunglück von Tschernobyl ansetzt. Hinzu kommt, dass die beiden Reaktoren von Fessenheim nur den Absturz einer Cessna aushalten würden. Mayer meint, folgte man der perversen Logik von Terroristen, sei es möglich, mit einem gezielten Absturz eines größeren Flugzeugs die verhasste US-Airbase in Frankfurt für 50 Jahre zwangsweise still zu legen.
Wem das nicht genügt, der sei daran erinnert, dass das AKW mitten in einer Erdbebenzone liegt. Das letzte, massive Erdbeben am 5. Dezember 2004 ist den Bewohnern der Gegend noch in sehr lebhafter Erinnerung. Axel Mayer weist darauf hin, dass das AKW Mülheim-Kärlich genau aus diesem Grund vom Netz genommen wurde – Fessenheim arbeitet weiter.
„Ganz zentral“ schließlich findet Axel Mayer einen weiteren Aspekt: Wer Atomkraftwerke betreibe, habe Atomwaffen. Man könne sie schlicht anderen Ländern nicht verbieten, „die Welt schafft sich ein ungeheures Zerstörungspotential“.
Christian Küppers vom Öko-Institut in Darmstadt sitzt in der deutsch-französischen Kommission, die sich mit den Atomkraftwerken befasst. Der Physiker erläutert: „Man kann alte Anlagen grundsätzlich nicht auf heutigen Stand bringen“. Der Wunsch, Fessenheim abzuschalten, sei „durchaus nachvollziehbar“, selbst wann man wenig gegen Kernkraft habe, meint Küppers.
Rückkehr zur Kernkraft „völlig unnötig“
Küppers, der sich im Hinblick auf Fessenheim auf diplomatische Äußerungen zu beschränken sucht, wäre die Rückkehr zur Kernkraft „völlig unnötig“ und „mit Risiken behaftet“. Für den Klimaschutz sei sie „nicht erforderlich“. Der Wissenschaftler meint, das Interesse an der Atomkraft komme weniger aus der Politik sondern mehr von den Herstellern: „Siemens hat seit 25 Jahren kein Kernkraftwerk verkauft“.
Das sieht Axel Mayer ähnlich. Nach seinen Worten hat der breite Widerstand in der Region immerhin bewirkt, dass der neue, europäische Druckwasserreaktor EPR zuerst an die Atlantikküste und nicht in Fessenheim gebaut wird. Dieser Reaktortyp soll alle französischen Reaktoren ersetzen. „Wenn es nach uns geht, kommt er überhaupt nicht“, sagt Mayer. Die EDF bestätigt Mayers Darstellung: Vergangenes Jahr sei entschieden worden, einen Pilotreaktor in Flamanville zu bauen. Teilweise solle nukleares Material („nuclear installed base“) in Fessenheim ab 2015 ersetzt werden, dafür gebe es aber noch keinen detaillierten Fahrplan, so die EDF.
Das Thema wäre einigermaßen überschaubar, ginge es nur um Fessenheim. Im nur wenig entfernten Benken aber, das auf der Schweizer Seite in unmittelbarer Nähe des Rheinfalls liegt, will die Schweizerische Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (NAGRA) ein Lager für hochradioaktive Abfälle aus den fünf schweizer Atomkraftwerken bauen. Mayer befürchtet, dass auch die schwach- und mittelaktiven Abfälle nach Benken kommen, weil es gegen ein zweites Lager in der französischsprachigen Schweiz, wo diese Abfälle eigentlich ihren Platz finden sollen, massiven Widerstand gibt.
Widerstand gegen Endlager ist schwierig
Das größte Problem für die Anti-Atomkraftbewegung ist aber, dass sie auch bei einem Ausstieg aus der Atomenergie ein Endlager letztlich nicht verhindern darf, weil die Kernkraftabfälle trotzdem sicher verwahrt werden müssen.
Und die EDF? Gibt sie Prognosen ab, wie lange Fessenheim noch arbeiten soll? Stéphanie Lardeau macht deutlich, dass man angesichts 25-jähriger Erfahrung mit Atomkraftwerken von 40 Jahren Betriebszeit ausgehe. In Betrieb gegangen ist das AKW Fessenheim im Jahr 1977. In den USA hätten die Behörden eine Lebenszeit von 60 Jahren bei vergleichbaren Reaktoren akzeptiert. In diesem Jahr werde die Sicherheitsbehörde das Programm für die dritte Zehn-Jahres-Inspektion unter Dach und Fach bringen, so die EDF gegenüber Telepolis.
Die Atomindustrie insgesamt blickt offensichtlich durchaus optimistisch in die Zukunft. Christian Wilson, Sprecher der deutschen Framatome ANP, sieht im internationalen Umfeld sehr viel Bewegung in Sachen Kernenergie. Statistiken wiesen eine stetige Zunahme des Atomstroms in den letzten Jahren aus, „das wird sich sicherlich fortsetzen“. Zudem sei die dritte Generation der Atomkraftwerke „neu zu bewerten“: Bei einer Kernschmelze ließen sich die Folgen nur auf die Anlage beschränken, „das wurde simuliert“. Von den weltweit 441 Atomkraftwerken stammen laut Wilson fast 100 Reaktoren aus seinem Haus bzw. den Vorgängerunternehmen. Auch die Endlagerung ist Wilson zufolge technisch gelöst. Wilson ist dafür, Gorleben zu Ende zu erkunden und dann dort endzulagern.
Ein Problem bleibt: Keine Firma der Welt kann die Physik außer Kraft setzen. Halbwertszeiten radioaktiver Elemente lassen sich nicht wegdiskutieren. Das gilt auch für die Gefahren der Kernenergie. Die Strategie der EDF, sich vor Protest einfach wegzuducken, ist nicht überzeugend und die Absicht der regierungswilligen Opposition, wieder auf Kernkraft zu setzen, angesichts der Fessenheim-Probleme nicht eben ermutigend. Regenerative Energien könnten durchaus eine vernünftige Alternative sein.