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Nach den Parlamentswahlen in Serbien kehrt der Kosovo-Konflikt zurück auf die Tagesordnung der Weltpolitik
Während in Belgrad nach dem zweischneidigen Ergebnis der Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag die Machtkämpfe um die Bildung einer neuen Regierung beginnen, wird der UN-Vermittler im Kosovo-Konflikt, Martti Ahtisaari, am kommenden Freitag in Wien seinen lang erwarteten Vorschlag zur Zukunft der umstrittenen Provinz vorlegen. Sicher scheint dabei vor allem eines: In den kommenden Wochen steht nicht nur im Kosovo selbst ein harter politischer Konflikt bevor, sondern auch auf internationaler Ebene. Während sich die US-Diplomatie mit Nachdruck auf Seiten der albanischen Unabhängigkeitsbewegung positioniert, verstärkt Russland die Rückendeckung Serbiens. In der Europäischen Union zeichnen sich in der Kosovo-Frage derweil ernste Meinungsunterschiede an.
Es stand eine gewisse Erleichterung in den Gesichtern der EU-Außenminister, die sich am vergangenen Montag in Brüssel mit dem Ausgang der Wahlen in Serbien beschäftigten. Er sehe „günstige Voraussetzungen“ für eine Regierungsbildung, die „Serbien auf den europäischen Weg führt“, erklärte Frank Walter Steinmeier bei der ersten Tagung unter deutschen Vorsitz. Der Bundesaußenminister kündigte dabei eine Reise nach Belgrad an und versprach den „demokratischen Kräften“ die „Hilfe“ der EU.
In Belgrad herrscht indes eine skeptischere Stimmung. Zwar haben die Parteien des „demokratischen Blockes“ zusammen knapp über 50 Prozent der Wählerstimmen erreicht. Die Demokratische Partei (DS) des Präsidenten Boris Tadic erzielte 22,9 Prozent, die Demokratische Partei Serbiens (DSS) des noch amtierenden Premiers Vojislav Kostunica erreichte 16,7 Prozent und die Wahlliste G17 6,8 Prozent. Zusätzlich konnte auch die Liberaldemokratische Partei (LDP) mit 5,3 Prozent knapp den Einzug ins Parlament schaffen.
Aber eine Regierungsbildung wird dennoch einen erheblichen Kraftakt erfordern. Denn einerseits wird die größte Fraktion in der Skupstina, dem serbischen Parlament, von der nationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) gestellt. Sie ist mit 28,7 Prozent der unbestrittene Wahlsieger. Und anderseits ist der viel beschworene „demokratische Block“ in Serbien in Wirklichkeit eine äußerst heterogene und widersprüchliche Ansammlung von politischen Kräften, die hauptsächlich durch eines vereint werden: ihre Feindschaft zu Slobodan Milosevic. Dieser wurde aber bereits im vergangenen Jahr beerdigt. Milosevics Parteigänger von der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) zogen mit 5,9 Prozent zwar ebenfalls wieder ins Parlament ein. Die Sozialisten taugen in Serbien aber niemand mehr als Schreckgespenst.
Schwierige Regierungsbildung in Belgrad
Erste Äußerungen von Spitzenpolitikern zeigen, wo die Probleme bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen liegen werden. Machtbewusst besteht Vojislav Kostunica darauf, auch in einer künftigen Regierung der Premierminister zu sein. Diese Forderung mag angesichts des mageren Ergebnisses seiner DSS zwar anmaßend erscheinen. Der noch amtierende Premier hat aber einen Joker in der Tasche. Denn ohne die Zustimmung seiner nationalkonservativen DSS kann rein arithmetisch keine Regierung des „demokratischen Lagers“ gebildet werden. Kostunica hat im Wahlkampf trotz beharrlicher Fragen vieler Journalisten immer offen gelassen, mit wem er nach den Wahlen koalieren wolle. Und auch noch am Montag nach der Wahl hat er eine - rechnerisch ebenfalls möglich - Koalition mit den Radikalen ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Zwar gehen in Belgrad alle politischen Beobachter davon aus, dass es am Ende unter massivem Druck aus der EU und aus den USA zu einer Koalition zwischen DSS, DS und G17 kommen wird. Die Position Kostunicas deutet aber harte Koalitionsverhandlungen an, die sich über mehrere Wochen hinziehen können. Nach der Verfassung muss die neue Regierung spätestens drei Monate nach der für Ende Februar geplanten konstituierenden Sitzung des Parlamentes geformt sein; ansonsten werden Neuwahlen ausgeschrieben. Kostunica wird also möglicherweise noch bis Ende Mai der amtierende Premierminister sein. Bei den Verhandlungen wird es dabei nicht nur um die Position des Premiers und die scharf umstrittene Verteilung von Machtpositionen in den Ministerressorts gehen, sondern auch um strategische politische Fragen.
Kontrovers dürften dabei vor allem die Beziehungen zur Europäischen Union diskutiert werden. Zwar ist unter den voraussichtlichen künftigen Regierungspartnern unstrittig, dass Serbien eine Mitgliedschaft in der EU anstrebt. Im Gegensatz zu den wirtschaftsliberalen prowestlichen Parteien DS und G17, die einen unkritischen EU-Kurs fahren, insistiert Kostunica dabei aber wesentlich stärker auf das, was er als die „nationalen Interessen“ Serbiens bezeichnet. Kostunica hat in seiner bisherigen Regierungszeit jede Form von Ultimaten aus Brüssel stets kategorisch abgelehnt. Dies macht sich vor allem an seiner Beziehung zum Jugoslawientribunal in Den Haag fest, die von Brüssel zum Dreh- und Angelpunkt bei der weiteren EU-Annährung Serbiens erklärt wird. Während Kostunica immer wieder seine Kritik an der Anklagepolitik des Tribunals formulierte, warf Chefanklägerin Carla Del Ponte dem noch amtierenden Premier wiederholt verbittert „mangelnde Kooperation“ bei der Verhaftung der noch untergetauchten Angeklagten wie General Ratko Mladic und Radovan Karadzic vor.
Heiße Phase der Kosovo-Verhandlungen
Verkompliziert wird die Regierungsbildung in Belgrad vor allem auch durch die Einleitung der heißen Phase der Verhandlungen um den zukünftigen Status der Provinz Kosovo im Verlauf der nächsten Tage. Nachdem im Herbst die Gespräche zwischen Belgrad und Pristina gescheitert sind, will der UN-Vermittler Martti Ahtisaari am kommenden Freitag bei einem Treffen der „Balkan Kontaktgruppe“ – einem Gremium in dem die USA, Russland und die EU vertreten sind – in Wien seinen lange erwarteten Vorschlag unterbreiten. Anschließend soll der Plan am 2. Februar auch der Regierung in Belgrad und der albanischen provisorischen Selbstverwaltung in Pristina unterbreitet werden. Vor allem die USA drängen darauf, den Vorschlag dann bereits im März im UN-Sicherheitsrat abzustimmen, wenn Großbritannien dort den Vorsitz führt.
Die Unwägbarkeiten und Gefahren bei diesem Vorgehen sind allerdings nicht zu unterschätzen. Nachdem sie fast ein Jahr lang vergeblich unter seiner Vermittlung verhandelt haben, gilt es als unwahrscheinlich, dass sich Belgrad und Pristina in letzter Minute auf den Ahtisaari-Vorschlag einigen werden. Wie Diplomaten ventilieren, wird der ehemalige finnische Ministerpräsident voraussichtlich eine Form der „bedingten“ oder „überwachten“ Unabhängigkeit für das Kosovo vorschlagen. Kosovo, das seit den Balkankriegen 1912 zum modernen serbischen Staatsterritorium zählt und im Mittelalter die Heimstatt der serbischen orthodoxen Kirche war, würde damit staatsrechtlich aus Serbien herausgetrennt.
Gleichzeitig würden die etwas über zwei Millionen, hauptsächlich albanische Einwohner zählende Provinz aber keine vollständige Souveränität erhalten, sondern in eine Art Protektorat der Europäischen Union umgewandelt. Die nach den ethnischen Säuberungen im Gefolge der NATO-Intervention von 1999 noch etwa 100.000 in Enklaven lebenden verbliebenen Kosovo-Serben dürften im Rahmen eines Dezentralisierungsprozesses einen hohen Grad an Selbstverwaltungsrechten und eventuell auch das Recht auf eine doppelte Staatsbürgerschaft zugesprochen bekommen.
Ein solcher Vorschlag wurde bisher von der serbischen Regierung und Öffentlichkeit kategorisch abgelehnt. Alle politischen Kräfte mit Ausnahme der LDP haben sich dagegen mit der Unterstützung einer neuen Verfassung im Oktober 2006 darauf festgelegt, Kosovo als Provinz mit „hohen Autonomierechten“ in Serbien zu halten (Neue Verfassung, neue Konflikte). Auch eine neue Regierung unter der Führung der DS wird sich an diesen Konsens halten müssen. Dafür garantieren der entscheidende Einfluss von Kostunicas DSS und die Mobilisierungsfähigkeit der Radikalen. Und dafür wird nicht zuletzt auch die politische Führung der Kosovo-Serben sorgen. Der Serbische Nationalrat (SNV) in Nord-Mitrovica hat wiederholt unmissverständlich klar gemacht, dass er unter keinen Umständen eine wie auch immer geartete Unabhängigkeit Kosovos akzeptieren wird. Die Repräsentanten der Kosovo-Serben fordern vielmehr die „schnelle Rückkehr der serbischen Streitkräfte“ in die Provinz.
Aber auch für die albanische Seite wird der Ahtisaari-Plan eine schwer zu schluckende Kröte sein. Jahrlang wurde die kosovo-albanische Bevölkerung von ihren politischen Führern in einem opferreichen Kampf auf die Unabhängigkeit eingeschworen. Die volle Souveränität wird dabei nicht nur als die Durchsetzung eines „nationalen Selbstbestimmungsrechtes“ betrachtet, sondern nicht zuletzt auch als Voraussetzung für eine Verbesserung der miserablen sozialen Lage. Die Aufrichtung eines neuen Protektorats wird nach den enttäuschenden Erfahrungen mit der als ineffizient und autoritär wahr genommenen UN-Übergangsverwaltung UNMIK dagegen auf wenig Gegenliebe stoßen. Besonders der Dezentralisierungsvorschlag stößt auf scharfen Widerstand in weiten Teil der albanischen Bevölkerung. In den Verhandlungen zwischen Pristina und Belgrad war er neben der letztlich entscheidenden Statusfrage der zweite wichtige Streitpunkt. Vor allem die agile und dynamische Bewegung Vetevendosije (Selbstbestimmung) um den charismatischen ehemaligen Studentenführer Albin Kurti macht gegen die von Ahtisaari geplante Gemeindereform mobil. Sie sieht darin einen Versuch Kosovo letztlich zu spalten.
Nicht zu unterschätzen ist das Gewaltpotential, das in den kommenden Auseinandersetzungen mobilisiert werden kann. UNMIK-Chef Joachim Rücker, der ehemalige Bürgermeister von Sindelfingen, wird zwar nicht müde zu betonen, Kosovo befinde sich auf dem Weg zu einer „funktionierenden Demokratie“. Seriöse Menschenrechtsorganisationen dagegen betonen den hohen Grad an Gefährdung der nicht-albanischen ethnischen Minderheiten durch Gewalt. Die renommierte Minority Rights Group aus London erklärte kürzlich:
Nirgendwo in Europa gibt es ein solches Niveau der Angst für so viele Minderheiten, verfolgt oder attackiert zu werden.
Kaum beachtet von den internationalen Medien tauchten in den vergangenen Monaten immer wieder deutliche Hinweise auf die Existenz mobilisierbarer gut bewaffneter Netzwerke albanischer Extremisten auf. Erst im Dezember erhob beispielsweise die Sonderstaatsanwältin für Organisierte Kriminalität in Montenegro, Stojanka Radovic, Anklage gegen 18 Albaner, die im vergangenen September Angriffe auf Polizeistationen im Grenzgebiet zwischen Montenegro, Albanien und Kosovo geplant hatten. Die Gruppe verfügte dabei über ein reichhaltiges Waffenarsenal und war logistisch mit ehemaligen UCK-Kämpfern aus dem Kosovo und der albanischen Diaspora in den USA vernetzt.
Kosovo als Streitfall zwischen USA, Russland und Europäischer Union
Mit der Eröffnung der heißen Phase der Statusverhandlungen kehrt das Kosovo-Problem auch wieder auf die Tagesordnung der weltpolitischen Auseinandersetzungen zurück. Während die US-Diplomatie und der größte Teil der EU-Staaten lange Zeit davon ausgingen, sie müssten nur den Widerstand der serbischen Regierung brechen, um eine angestrebte Unabhängigkeit Kosovos durchzusetzen, hat sich in den vergangenen Monaten das Blatt gewendet.
Im Zuge der Herausbildung eines neuen Großmachtverständnisses in Russland hat Vladimir Putin den Kosovo-Konflikt zur Chefsache erklärt. Er fordert dabei in erster Linie eine verhandelte Lösung, der auch Serbien zustimmen kann. Am Rande des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Russland am vergangenen Wochenende erklärte Putin:
Wenn wir die territoriale Integrität ignorieren, dann werden auch andere Völker sagen, dass sie dasselbe machen. Das ist nicht nur in der post-sowjetischen Welt so, sondern auch in anderen Ländern, einschließlich der EU.
Für den Fall, dass Serbien eine Lösung aufgezwungen werden soll, hat Außenminister Sergej Lavrov Russlands Veto im UN-Sicherheitsrat angekündigt. Spätestens falls es dazu käme, würde der Kosovo-Konflikt die weltpolitischen Beziehungen wieder stark belasten. Es ist daher davon auszugehen, dass in den kommenden Wochen die diplomatischen Anstrengungen verstärkt werden, um doch noch eine ausgehandelte Lösung zu finden.
In Washington werden allerdings auch Töne laut, die anderes befürchten lassen. Dabei sind es die neu gestärkten Demokraten, die am energischsten für ein schnelles Vorgehen in der Kosovo-Frage trommeln. Der einflussreiche neue Vorsitzende des Komitees für Außenpolitische Beziehungen des US-Senats, Joseph Biden, schrieb Anfang Januar in einem angriffslustigen Meinungsartikel in der Financial Times:
Extremists in Belgrade and Moscow are - for very different reasons - hoping to use Russia's United Nations Security Council veto to quash Kosovo's bid for independence. If they succeed, the Balkans will emerge as another source of bad news in a world already crowded with crises.
In einem bemerkenswerten Argument gibt er als einen Grund für die US-amerikanische Eile bei der Unabhängigkeit Kosovos an:
The people of Kosovo - already the most pro-American in the Islamic world - will provide a much-needed example of a successful US-Muslim partnership.
Belgrad und Moskau sind mit ihrer Position allerdings längst nicht mehr so alleine, wie es noch vor wenigen Monaten schien. Eine Reihe von EU-Ländern – darunter einige in denen ebenfalls Konflikte um das „Selbstbestimmungsrecht“ bestimmter nationaler Minderheiten virulent sind – mahnen mittlerweile zur Vorsicht beim weiteren Vorgehen in der Kosovo-Frage. Nachdem bereits seit einiger Zeit Rumänien, die Slowakei, Italien und Griechenland vor einer Lösung warnen, die Belgrad aufgezwungen werden soll, hat nach einem Bericht der spanischen Zeitung El Pais am Anfang der Woche nun auch der spanische Außenminister Alberto Navarro ausdrücklich seine Unterstützung für die serbische Position erklärt. Das „Aufzwingen des Rechtes auf Selbstbestimmung einer Region in einem souveränen Staat“ erschiene ihm „keine Lösung für den Balkan“, wird Navarro zitiert.
Auch wenn es noch ungewiss ist, wie sich die der Unabhängigkeit Kosovos skeptisch oder ablehnend gegenüber stehenden EU-Ländern im Zweifelsfall einer harten diplomatischen Konfrontation verhalten werden, zeigen sich doch erste unerwartete Erfolge der serbischen Regierung. Während der Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Strasbourg wurde auf Drängen der serbischen Vertreter mit Unterstützung von Abgeordneten aus Rumänien und Griechenland das Wort „Unabhängigkeit“ aus einem Resolutionsentwurf zur Zukunft Kosovos gestrichen.