Baerbock am Golf: Wir müssen über Waffenexporte sprechen
Wirtschaftskooperation braucht Werte, sagt die Außenministerin in Saudi-Arabien. Gleichzeitig werden an die Autokratie wieder deutsche Waffen geliefert. Scheinheiligkeit 2.0. Ein Kommentar.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist auf einer Auslandsreise in Saudi-Arabien. Morgen wird sie weiterreisen in die Monarchie Katar. Es geht natürlich um Wirtschaft und Geopolitik.
Baerbock betonte bei einem Besuch in Dschidda, dass wirtschaftliche Kooperation aber nicht "losgelöst von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Freiheitsrechten betrachtet werden" könnte. Und sie fügte nach einem Treffen mit dem saudi-arabischen Außenminister Prinz Faisal bin Farhan hinzu, dass es "zwei Seiten einer Medaille" seien. Die Beziehungen müssten aufbauen auf "verlässlichen gemeinsamen Regeln".
Nun, das sind Weisheiten, gelassen ausgesprochen. Wir hören sie immer wieder. Aber es sind Lippenbekenntnisse ohne Substanz, wenn hinter der Fassade von netten Worten Werte mit Füßen getreten werden und bedingungslos kooperiert wird.
Natürlich wissen wir, dass Saudi-Arabien ein fürchterliches Regime ist, dass sich nicht um Menschenrechte kümmert. Der gerade veröffentlichte Amnesty International Report zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe führt die Ölmonarchie ganz oben auf der Liste an. In Saudi-Arabien verdreifachte sich die Zahl von 65 für 2021 auf 196 im Jahr 2022. An nur einem einzigen Tag wurden dort 81 Menschen exekutiert.
Der Golfstaat ist zudem das repressivste islamistische Land der Welt, inklusive wahhabitischem Staatsislam und erzkonservativen Religionsgelehrten – auch wenn im Zuge von mutigen Protesten Frauen jüngst ein paar Rechte erkämpfen konnten.
Sie dürfen jetzt ohne Erlaubnis ihres männlichen Vormunds einen Pass beantragen und ins Ausland reisen. Es gibt auch kein Fahrverbot mehr für sie. Doch weiter sitzen Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen, im Gefängnis, während Feminismus mit Terrorismus gleichgesetzt wird.
Und trotz des vom saudischen Regime angeführten Jemen-Kriegs und der damit ausgelösten humanitären Katastrophe, der Saudi-Connection bei den Terroranschlägen von 9/11, der Unterstützung für den IS und und der Ermordung des Washington-Post-Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Generalkonsulat in Istanbul haben die USA, aber auch Deutschland, nach einer kurzen Abkühlungsphase die Beziehung zum saudischen Königshaus wieder normalisiert.
Der bekannt gewordene Faustgruß des US-Präsidenten Joe Biden auf offener Bühne mit dem Kronprinzen Mohammed bin Salman sendete das eindeutige Signal: Die Vereinigten Staaten halten an der strategischen Beziehung zu Saudi-Arabien fest. Die Bundesregierung folgte.
Nach einer Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz im Oktober letzten Jahres an den Golf wurden die militärischen Schleusen wieder geöffnet. Die Ampelregierung genehmigt nach der Export-Pause nun wieder Waffenlieferungen an Saudi-Arabien sowie auch andere Golfmonarchien und Ägypten.
Im Gegenzug hat Deutschland ein wenig Erdgas und Diesel aus dem Golf erhalten – und eine Perspektive auf weitere fossile Brennstoffe und Wasserstoff.
Berlin kann an alte Export-Traditionen anknüpfen. In den ersten drei Jahren, in denen Saudi-Arabien und seine Verbündeten im Jemen Krieg führten, hat allein die deutsche Bundesregierung, von den USA ganz zu schweigen, Ausfuhrgenehmigungen für Waffen an die Staaten der Golfallianz (darunter neben Saudi-Arabien unter anderem Katar, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuweit und Marokko) von über 4,6 Milliarden Euro genehmigt.
Dazu kommen nicht genehmigungspflichtige militärische Joint Ventures deutscher Unternehmen im Ausland und deutsche Bankenfinanzierungen für Rüstungskonzerne, die an die kriegsführende Golfallianz Waffen liefern.
Niemand hat die Absicht, Autokratien mit Waffen zu versorgen
Aber Saudi-Arabien ist beileibe nicht der einzige Fall, bei dem Werte gepredigt und Waffen geliefert werden. Die im letzten Jahr gestartete Datenbank "ExxitArms" der Organisationen Facing Finance und urgewalt zeigt die Dimension des Problems.
Danach wurden zwischen 2015 und 2020 aus Deutschland Waffen an 16 verschiedene Kriegsparteien geliefert, insbesondere an Indonesien, Ägypten, Indien, Irak und die Vereinigten Arabischen Emirate. Insgesamt 41 in Deutschland ansässige Firmen (26 Mutterunternehmen und 15 Tochterunternehmen) sind derzeit in der Datenbank erfasst.
Und die USA sind nicht besser, im Gegenteil. Eine Analyse, die von Stephan Semler vom Security Policy Reform Institute durchgeführt und im US-Magazin The Intercept veröffentlicht wurde, zeigt das unmissverständlich.
Danach sind die USA nicht nur der größte Waffenexporteur seit dem Ende des Kalten Kriegs, sondern auch das Land, das repressive Regime auf der ganzen Welt mit Panzern, Raketen, Kampfjets und Militärtechnologie versorgt.
Von den 84 Ländern, die im Jahr 2022 im Rahmen des "Regimes of the World"-Systems als Autokratien eingestuft werden, haben die Vereinigten Staaten an mindestens 48 oder 57 Prozent von ihnen Waffen verkauft.
Dabei sind in dem System nicht einmal alle Staaten aufgenommen, die mit Waffen Menschenrechtsverletzungen begehen. So zählt dazu nicht Israel – es wird als liberale Demokratie aufgeführt –, obwohl Menschenrechtsgruppen das Land verurteilen wegen seines dezidierten antidemokratischen Apartheid-Staats.
Semler stellt fest: "Die Ergebnisse der Analyse stehen im Widerspruch zu Bidens präferierter Darstellung der internationalen Politik als ‚Kampf zwischen Demokratien und Autokratien‘".
Sicherlich muss man auch mit Autokraten reden. China hat gerade gezeigt, wie man das im Fall Saudi-Arabien und Iran macht, um u.a. eine Möglichkeit zu eröffnen, den Krieg im Jemen zu deeskalieren oder gar zu beenden.
Aber Waffen liefern? Welchen Sinn hat das, außer, man will damit Geld verdienen, egal, was das für den Schutz von Menschenrechten bedeutet.
Solange die deutsche Regierung meint, die eigene Rüstungsindustrie mit Exporten an Regime und Kriegsparteien zu befördern, solange ist die Rede von Humanität ein Feigenblatt für Interessenpolitik im Dienst von Unternehmen.
Es ist ein Armutszeugnis, dass die Medien hierzulande den Widerspruch erneut nicht zum zentralen Thema ihrer Berichterstattung machen. Stattdessen geben sie die Talkingpoints des Außenministeriums wieder.
Die Schlagzeile bei Tagesschau.de heute: "Baerbock für engere Wirtschaftsbeziehungen". Kein Wort zu den Waffenexporten.