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Balkanstaaten riegeln ab

Das neue österreichische Grenzmanagement bei Spielfeld. Foto: Bundesheer/CC BY-SA 2.0

Montenegro und Bulgarien verstärken ihre Grenzen. Frontex-Chef spricht von einer 600-prozentigen Steigerung der irregulären Grenzüberschreitungen in Griechenland durch Flüchtlinge, die über die Türkei kommen

Die Staaten auf der Balkanroute riegeln ihre Grenzen stärker ab. Das trifft nicht nur auf Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien zu, die ihr neues rigideres Grenzmanagement mit Verweis auf die Tageskontingent-Politik Österreichs begründen, sondern auch auf Länder, die befürchten, Station von Ausweichrouten auf dem Balkan zu werden.

Montenegro will, wie Ministerpräsident Milo Djukanovic ankündigt [1], ebenfalls seine Grenzen abriegeln, nach dem Vorbild anderer europäischer Staaten. Bulgarien ist dabei, an der Grenze zur Türkei einen 130 km langen Stacheldrahtzaun zu errichten.

Das bulgarische Parlament beschloss [2] den Grenzschutz mit Soldaten zu verstärken. Im vergangenen Jahr erschoss [3] ein Grenzwächter einen afghanischen Flüchtling.

Auch Slowenien beordert [4] Soldaten an die Grenze zu Kroatien. Das Parlament bewilligte den Entschluss gestern Abend. Weitere Nachahmer-Effekte sind wahrscheinlich.

Wiens Zweifel am Türkei-Abkommen

Die österreichische Regierung hat für morgen eine Balkankonferenz angesetzt [5] - mit den Innen- und Außenministern von Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, dem Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien. Das Treffen erregt Kritik und Misstrauen in Griechenland und in der EU.

Die EU und Berlin schickten bereits zuvor Zeichen starker Ablehnung nach Wien (EU-Kommission lehnt ÖsterreichsTageskontingente ab [6], De Maizère droht [7]). Der neue Wiener Kurs, näher am Kurs der "Geschlossenen nationalen Gesellschaften" der Visegrád-Staaten [8] als an einer europäischen Lösung, wie er Merkel und Juncker vorschwebt, unterminiert die Anstrengungen der beiden genannten EU-Player. Faktisch bekommen die einzelstaatlichen Maßnahmen mehr Gewicht und vor allem Zugkraft - zu Lasten von Griechenland, das mit den abgelehnten Flüchtlingen zurechtkommen muss.

Nach Ansicht der österreichischen Regierungskoalition ist die "europäische Lösung" wenig verlässlich [9]. Hauptsächlich weil sie der Türkei eine zentrale "Schleusenwächter"-Rolle zuweist, aber auch weil überhaupt nicht sicher ist, dass sich die europäischen Staaten doch noch von einer Kontingent-Verteilung ("Umsiedlung" [10]) überzeugen lassen.

Für die Haltung Österreichs gibt es Argumente. Die EU macht sich bei der türkischen Lösung abhängig von regionalen Interessen, die Erdogan in der Region verfolgt, mit Einsatz brutaler, menschenverachtender Mitteln - und Zielen, die großes Konflikt- und Fluchtauslöser-Potential in sich tragen, wenn es um Kurden oder die Einrichtung von Schutzzonen in Syrien geht.

Dass sich Merkel für letzteres ausgesprochen hat, ist ein Hinweis darauf, dass Erdogan sich die Grenzwächter-Rolle sehr wohl politisch bezahlen lässt. Wenn es auch Merkel leichtfiel, diesen Loyalitätspreis zu bezahlen, da sie wegen der militärischen Entwicklungen in Syrien keinen Wirklichkeitstest befürchten muss. Allerdings könnten noch andere unangenehme Forderungen der AKP-Regierung kommen. Die EU macht sich mit dem Türkei-Deal erpressbar.

Wie viel kann die Türkei machen?

Es ist noch überhaupt nicht klar, wie sehr die Türkei zu einer "humanen Lösung" der Flüchtlingskrise beitragen, also für gute Bedingungen von Flüchtlingen in ihrem Land sorgen kann - an dieser Stelle ist anzuerkennen, dass sie die meisten Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat -, und wie sehr sie willens ist, abgewiesene Flüchtlingen zurückzunehmen und ihre Grenzen stärker zu kontrollieren.

Konkret: Der anhaltende Zuzug von Flüchtlingen auf griechische Inseln nährt bei manchen den Argwohn, dass die Türkei hier mit einer nachlässigen Grenzpolitik bereits Politik macht, Druck ausübt, um der EU zu verdeutlichen, wie wichtig ein Abkommen mit ihr ist. Eine andere Lesart wäre: Dass es kaum möglich ist, die türkischen Grenzen so zu kontrollieren, dass bedeutend weniger Flüchtlinge nach Griechenland kommen.

Frontex-Chef Fabrice Leggeri: Wird 2016 wie 2015?

Frontex-Chef Fabrice Leggeri gab bei einer Pressekonferenz [11] heute zwei Grundsätze zu bedenken: Dass die Migrationsströme hoch bleiben, weil die Gründe zur Flucht weiter bestehen, und dass Zäune nur neue Routen schaffen [12].

Zwar, so führte Leggeri aus, verzeichnet [13] Frontex im Januar nach Angaben von Leggeri einen Rückgang um 36% bis 40 % bei den irregulären Grenzüberschreitungen nach Griechenland gegenüber Dezember 2015. Aber beim Vergleich mit dem Januar 2015 stelle man einen Anstieg von 600 Prozent fest, so Leggeri gegenüber den Medien [14].

140.000 irreguläre Grenzüberschreitungen habe Frontex im Januar verzeichnet, 82.000 davon in Griechenland von Flüchtlingen, die übers Meer kommen. 40 Prozent würden aus Syrien kommen, das Hauptherkunftsland auf dieser Route. Daneben kämen viele aus Afghanistian, Irak, Pakistan und Iran.

Auch bei der anderen Fluchtroute, die von Afrika nach Italien verläuft, habe man zwar einen witterungsbedingten Rückgang festgestellt - und eine sehr viel geringere Zahl von irregulären Grenzübergängen, nämlich 6.000, aber ebenfalls einen Anstieg (55 % mehr [15]) im Vergleich zum Vorjahreswert. Die meisten Flüchtlinge auf dieser Route kämen nun aus Westafrika, nicht mehr so sehr vom Horn. Viele aus dem Senegal und Gambia.

Die irregulären Grenzüberschreitungen seien nicht mit der Anzahl der Flüchtlinge gleichzusetzen, da manche doppelt registriert würden. Wie viele Flüchtlinge dieses Jahr nach Europa kommen könnten, vermochte auch der Frontexchef nicht vorherzusagen, so beantwortete er seine einleitende Frage, ob sich 2016 wiederholen würde, was 2015 zu beobachten war, mehr oder weniger damit, dass die Zahlen für den Januar 2016 sehr viel höher lagen als vor einem Jahr.

Griechenland: Die fortdauernde Krise

Solange sich die vorgelagerten Nicht-EU-Länder wie Mazedonien und Serbien weigern, afghanische Flüchtlinge über ihre Grenzen zu lassen, bekommt es Griechenland mit einem Problem zu tun, bei dem auch Frontex vermutlich nur bedingt helfen können wird. Obwohl es den griechischen Grenzbeamten und den Polizisten gelang, den Sitzstreik der festsitzenden, zum größten Teil afghanischen Flüchtlinge auf den Gleise am Grenzübergang Idomeni aufzulösen, zeigen die Zahlen, dass die Krise nicht ausgestanden ist.

Laut Angaben [16] griechischer Medien wurden 700 Flüchtlinge mit Bussen nach Athen gebracht, zuvor war allerdings von 5.000 bis 6.000 Flüchtlingen die Rede, die sich in Idomeni aufhalten. Dortige Unterbringungsmöglichkeiten sollen höchsten Platz für 2.000 bieten. Weitere Flüchtlinge aus Piräus werden erwartet.

Ins benachbarte Mazedonien schickt Kroatien Flüchtlinge aus Afghanistan zurück [17].


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.balkaninsight.com/en/page/all-balkans-home
[2] http://www.balkaninsight.com/en/article/bulgarian-army-to-guard-the-border-against-migrants-02-18-2016
[3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtling-erschossen-an-der-grenze-zwischen-bulgarien-und-tuerkei-a-1058058.html
[4] http://derstandard.at/2000031615652/FluechtlingeSlowenien-schickt-Armee-an-die-Grenze
[5] http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/4931723/Einseitig_Athen-protestiert-gegen-Wiener-Westbalkankonferenz
[6] https://www.heise.de/tp/features/EU-Kommission-lehnt-OesterreichsTageskontingente-ab-3378400.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Mazedonien-Kein-Weiterkommen-fuer-Afghanen-3378475.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Visegrad-Staaten-plaedieren-fuer-eine-zweite-Aussengrenze-3378321.html
[9] https://www.heise.de/tp/features/Oesterreich-will-Grenzkontrollen-an-12-weiteren-Uebergangen-verschaerfen-3378362.html
[10] https://www.heise.de/tp/features/EU-Papier-Die-Balkan-Route-ausspielen-3378311.html
[11] https://twitter.com/phoenix_de/status/702116997321125890
[12] https://twitter.com/huettemann/status/702056075466563584
[13] http://frontex.europa.eu/news/number-of-migrants-arriving-in-greece-down-40-in-january-x3gZWu
[14] https://twitter.com/phoenix_de/status/702116997321125890
[15] http://frontex.europa.eu/news/number-of-migrants-arriving-in-greece-down-40-in-january-x3gZWu
[16] http://www.tovima.gr/en/article/?aid=778978
[17] https://twitter.com/BalkanNewsbeat/status/702099550236864512