EU-Papier: Die Balkan-Route ausspielen
Die "Schlüsselelemente eines Umsiedlungsprogramms/humanitären Aufnahmeprogramms mit der Türkei" sollen den Zuzug der Flüchtlinge auf andere Bahnen lenken. Dazu gehören Flugtickets, Prüfungszentren und Rückführungen
Die Gründe für die gelinde gesagt "Zurückhaltung" der deutschen Regierung und der EU gegenüber der gefährlichen und brutalen Politik der türkischen Regierung in Syrien (Welt am Rande des Weltkrieges?), gegenüber den Kurden auf ihrem Territorium wie auch gegenüber missliebigen Kritikern (Davutoglus Zorn auf Journalisten), liegen offen zutage, wenn man sich ein EU-Arbeitspapier anschaut.
In dem Papier geht es um Planungen der EU, die dafür sorgen sollen, dass sich 2016 nicht wiederholt, was seit spätestens seit September 2015 zum dominierenden politischen Thema geworden ist, der zahlenmäßig enorme Zuzug von Flüchtlingen in EU-Länder über die Balkanroute. Das soll sich nicht wiederholen, so das Leitmotiv des Entwurfs, welcher der FAZ nach eigenen Angaben vorliegt.
Übertitelt ist der Entwurf mit der Bezeichnung "Schlüsselelemente eines Umsiedlungsprogramms / humanitären Aufnahmeprogramms mit der Türkei". Der Plan wird demnach "im Eiltempo" zwischen der Türkei, Deutschland und - nicht genannten - weiteren Staaten ausgearbeitet. Das heißt: Es gibt umstrittene Punkte, die konkret noch nicht festgelegt wurden. Eckpunkte der Grundkonzeption erzielen aber offenbar so viel Konsens erzielt, dass sie in einem Papier festgehalten werden, das nicht als Diskussionspapier bezeichnet wird.
Bei den Eckpunkten spielt die Türkei eine große Rolle. An ihrer Bereitschaft, Flüchtlinge zurückzunehmen, hängt der ganze Plan. Er sieht folgende große Linien vor: Flüchtlinge aus Syrien, und nur aus Syrien, könnten künftig von einem türkischen Flughafen aus direkt in ein europäisches Asylland fliegen. Damit würde ihnen - und den Transitländern - der mühsame und gefährliche Weg über die Balkan-Route erspart.
Um zu ermitteln, ob die Asylsuchenden dazu berechtigt sind, sieht der Plan die Einrichtung von "gemeinsame Bearbeitungszentren" in der Nähe von türkischen Flughäfen vor. Gemeinsam bedeutet, dass auch Behördenvertreter der aufnehmenden Staaten vor Ort sind und an der ersten Auswahl beteiligt sind.
"Kandidaten zur Umsiedlung" werden dann in europäische Prüfungszentren gebracht. Wo diese genau liegen sollen, geht aus dem Zeitungsbericht nicht hervor, dafür aber andere Vorgaben:
Dort analysieren die aufnehmenden Staaten die Dokumente der Kandidaten und nehmen eine Sicherheitsüberprüfung vor. Die endgültige Entscheidung legt bei den aufnehmenden Staaten, die auch die Kosten für den Flug der Syrer nach Europa bezahlen. Die Prüfungszentren sollen schnell arbeiten, jeder Fall soll innerhalb von wenigen Tagen geprüft werden, denn eine detaillierte Prüfung ist erst vorgesehen, wenn die Syrer in Europa sind.
Abgesehen davon, dass Standortfragen anscheinend noch offen sind und die Schaffung solcher Zentren nicht nur einen ziemlichen organisatorischen und personellen Aufwand benötigen, dazu Erfordernisse einer menschenwürdigen Unterbringung, da die Flüchtlinge offenbar dort oder in der Nähe das "Ja" abwarten müssen, tun hier auch noch weitere Komplikationen auf, grundlegend zum Beispiel: Wer sind die aufnehmenden Staaten? ( Frankreich: Valls stellt sich gegen Merkel)
Eine schwierige Stelle tut sich auch dort auf, wo es um die Umsetzung des türkisch-griechischen Rücknahmeabkommens geht, das ein Angelpunkt der Konzeption ist: Was passiert mit den Flüchtlingen, die es auf die griechischen Inseln geschafft haben?
Zwar gelte dieses Abkommen schon seit mehr als einem Jahrzehnt, informiert die Zeitung, und auf dieser Grundlage wäre die Türkei schon jetzt dazu verpflichtet, "jeden über ihre Grenzen nach Griechenland kommenden und dort als Asylbewerber abgelehnten Migranten zurückzunehmen". Aber es habe am Willen gefehlt, dieses Abkommen umzusetzen. Nicht nur bei der Türkei. Auch Griechenland habe Durchwinken favorisiert, da die Migranten ohnehin keinen Antrag auf Asyl bei den griechischen Behörden gestellt haben.
Lesbos und andere Inseln würden nach der neuen Konzeption zu Sackgassen. Würden die Rückführungen umgesetzt, seien harten Szenen zu erwarten, die aber ins Kalkül der Abschreckung passen, vermutet die Frankfurter Zeitung. Da sich "Bilder über die sozialen Medien verbreiten und sich herumspricht, dass Ankommende auf den Inseln festgehalten und wieder abgeschoben werden."
Zu den Gedankenspielen, die sich in dem "Umsiedlungsprogramm / humanitären Aufnahmeprogramm" finden, gehört auch ein Kontingentvorschlag. Die Faz zitiert, dass sich die Türkei, ab einem bestimmten - sehr nahen - Stichtag dazu verpflichten soll, "ein Jahr lang 650 syrische Flüchtlinge pro Tag aus der Türkei nach Europa zu fliegen, also knapp 240.000 insgesamt".
Dabei soll es nur um syrische Flüchtlinge gehen, nicht um Iraker, Afghanen oder andere, hält der Entwurf, in dem auch weitere Kriterien notiert werden, fest. Die infrage kommenden Flüchtlinge sollen von den türkischen Behörden "vor dem 29. November 2015 registriert" worden sein und sie sollen "keine Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in den aufnehmenden Ländern darstellen". Maßgeblich soll das Programm Familien zugutekommen.
Die erste Phase soll möglichst bald gestartet werden, berichtet die Zeitung, Geschwindigkeit sei wichtig, aber wer von den EU-Staaten mit von der Partie ist, ist noch nicht geklärt, wie viele andere Fragen auch.