Baltikum: Verunsicherung durch Donald Trump
Trump hatte die Beistandspflicht in Frage gestellt, Russland lädt zu einem Gespräch über die Sicherheit in der Ostseeregion ein
Raimonds Bergmanis, ein ehemaliger Strongman und aktuell Verteidigungsminister Lettlands, kehrte letzte Woche mit beruhigenden Nachrichten von seiner USA-Reise zurück. Der Artikel 5 des NATO-Vertrags werde nicht angetastet, die Bündnisgarantie bestehe. Der Angstmacher heißt Donalds Tramps (so die lettische Schreibweise). In einem Interview mit der New York Times stellte er die Beistandspflicht der USA unter eine Bedingung - die Länder müssten ihren Verpflichtungen nachgekommen sein.
Der Beitritt in das Atlantik-Bündnis vor zwölf Jahren gilt für das Gros der Balten als die Sicherheitsgarantie vor einem Einmarsch des östlichen Nachbarn.
In vielen baltischen Zeitungskommentaren wurde der Vorstoß Trumps zwar als "Wahlkampfgetöse" abgetan; Politiker versuchten souverän zu wirken, doch soll die Drohung Emotionen und Panik unter vielen Balten ausgelöst haben. Politikwissenschaftler wiesen darauf hin, dass der Kandidat der Republikaner den Wunsch der Amerikaner ausdrücke, sich aus der Weltpolitik wieder zurück zu ziehen.
Estland ist allerdings von den Vorwürfen Trumps nicht betroffen. Staatsoberhaupt Tomas Hendrik Ilves betonte, dass sein Land die vorgegebenen zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Verteidigung aufwendet. Lettland (1,14 Prozent) und Litauen (1,04 Prozent) liegen jedoch deutlich darunter. Hier war man kleinlauter.
Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite und ihr lettischer Kollege Raimondis Vejonis gelobten, weiterhin auf die USA zu vertrauen. Beide Länder wollen die zwei Prozent 2018 schaffen. In Litauen hat man bereits im Frühjahr die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, in den Schulen sind Luftschutzübungen Pflicht.
Offener äußerten sich andere. "Seine populistischen Ansagen können teilweise wahr gemacht werden", sagte Maris Gailis, vormaliger Premier Lettlands und heutiger Geschäftsmann im IT-Bereich. Für liberal denkende Menschen brächen in Europa schwere Zeiten an.
In einer lettischen Umfrage im Juni wünschten sich gerade mal 14 Prozent den polterfreudigen Kandidaten als amerikanischen Präsidenten. Denn schon zuvor hatte sich Trump abfällig über die NATO geäußert.
"Russland wird nach einem Sieg Trumps die Grenzen des außenpolitisch unerfahrenen Präsidenten austesten"
Der Bund der Letten in Amerika (ALA) hat festgestellt, dass innerhalb des Wahlkampfs immer mehr namhafte US-Politiker dazu übergehen würden, den Bündnisfall in Frage zu stellen. ALA verweist darauf, dass beim einzigen Bündnisfall, der NATO-Intervention in Afghanistan nach dem Terrorangriff auf das Welthandelszentrum 2011, Lettland Truppen bereit gestellt habe.
Neben Trump machte sich dessen Berater Newt Gingrich im Baltikum besonders unbeliebt, da er Estland als "Vorstadt von St. Petersburg" bezeichnet hatte. Dies gilt auch deshalb als erschreckend, da Gingrich lange als Befürworter der NATO-Erweiterung gewirkt hatte.
Ein Sieg Trumps ist möglich - so denkt der Direktor von Estlands "Internationalem Zentrums für Verteidigung und Sicherheit" (ICDS), Jüri Luik. "Russland wird dann sehr bald die Grenzen des außenpolitisch unerfahrenen Präsidenten austesten", fürchtet der Leiter des prowestlichen Instituts. Der Kreml könne den Politiker mit einer "brutalen Taktik" überfordern, die er bei seinen Immobiliengeschäften nicht gewohnt sei.
Als einer der wenigen hält es der estnische nationalkonservative Oppositionspolitiker Mart Helme, der Ende der 90er Jahre als Botschafter in Moskau wirkte, mit Trump - er sei ehrlicher. Denn sowohl unter Clinton wie unter Trump könne es passieren, dass die Amerikaner "nicht kommen", wenn es ihren Interessen zuwider laufe.
In den russischen Minderheiten der beiden Länder, in den Medien und Parteien, hielt man sich jedoch bezüglich der Trump-Äußerung zurück.
Skepsis gegenüber einer Einladung Russlands
Russland hat nun im Gegenzug diese Woche die baltischen Staaten, Polen sowie die neutralen Länder Finnland und Schweden zu Gesprächen im September über eine Kooperation zur Sicherheit des Ostseegebiets in Moskau eingeladen. Ob der Kreml durch Trumps Auftreten dazu ermutigt wurde, bleibt offen.
Estland lehnt dies ab, da das Land sich nicht außerhalb des NATO-Rahmens mit Russland über Sicherheitsthemen unterhalten will. In Lettlands Außenministerium zögert man die Antwort hinaus. Litauens Außenminister Linas Linkevičius zeigte sich skeptisch, will das Angebot prüfen lassen.
Auch Schweden zögert, Finnland verneint eine Einladung bekommen zu haben , aus Polen gibt es kein Statement zu einer möglichen Reise nach Moskau. Die allgemeine Verunsicherung, die geschwächte EU (Brexit) und eine veränderte NATO-Politik könne die Partei "Zentrum der Harmonie" in den Parlamentswahlen 2018 zu einem Erfolg verhelfen, so die auflagenstarke Zeitung Delfi in Lettland. Bislang war keine Partei bereit, mit der sozialdemokratischen Partei eine Koalition einzugehen. Es ist die Stimme der russischstämmigen Wähler; die es aber geschafft hat, auch ethnische Letten mit einzubeziehen.
Ihr Parteichef Nils Uschakovs, derzeit Bürgermeister von Riga und öfter Gast in Moskau, könnte dann als Premier die NATO-Truppen zum Verlassen des Landes auffordern.