"Barbarischer Akt": Todesstrafe für einen Dissidenten in Iran
Die Hinrichtung des Journalisten Ruhollah Sam. Wie steht es um die deutsche Iran-Politik?
Mit der Todesstrafe kann man nicht einverstanden sein, das ist eine Frage der Haltung. So sind die Protest-Reaktionen der deutschen und der französischen Regierungen wie auch der EU auf die Hinrichtung des iranischen Journalisten Ruhollah Sam angebracht und gerechtfertigt. Die Kritik aus Europa fiel verbal scharf aus ("barbarischer Akt", "schwerer Angriff auf die Meinungsfreiheit", "schockierend"). Iran reagierte verärgert, der deutsche Botschafter in Teheran wurde einbestellt.
Es blieb nicht dabei. Die Teilnahme am europäisch-iranische Business Forum wurde von Vertretern europäischer Länder abgesagt, um ein Zeichen zu setzen. Das Business-Forum wird als wichtiger Schritt gewertet, um die ökonomischen Beziehungen zwischen europäischen Ländern und Iran neu zu klären. In der Folge des Austritts der USA aus der Nuklearvereinbarung JCPOA war es zu gegenseitigen Vorwürfen gekommen. "Ihr sorgt nicht für eine Rücknahme bzw. Kompensation der US-Sanktionen und verstoßt damit gegen den JCPOA", hieß es aus Teheran. "Mit der wieder aufgenommenen Uran-Anreicherung verstößt Iran gegen die Bestimmungen des JCPOA", hieß es aus Paris und Berlin.
Nachdem nun JCOPA-Aussteiger Trump abgewählt ist, kam Hoffnung auf, dass sich das angespannte Verhältnis zwischen den USA und Iran verbessern könnte und daraus folgend hoffen auch die europäischen Länder auf neues Tauwetter. Der iranische Markt mit einer 80 Millionen starken Bevölkerung ist ein Versprechen auf gute Geschäfte. Allerdings mit einem Land, dessen Führung repressiv gegen Oppositionelle vorgeht. Bei den letzten Protesten kam es zu vielen Toten.
Was Berlin Entspannungspolitik nennt, wird als falsche Appeasement-Politik gegenüber einem "mörderischen Regime" kritisiert, so der Kern eines ganzen Registers an Vorwürfen gegenüber der Iran-Politik der Bundesregierung, das in Kommentaren und Berichten - und ungefiltert auf Twitter - ausgebreitet wird.
Der Fall Ruhollah Sam
Für diejenigen, die dem Machtapparat in Iran Repression mit einer stalinistischen Note vorwerfen, bietet der Fall Ruhollah Sam (englisch: Rouhollah Zam) einige Argumente. Angefangen von der Todesstrafe, die begleitet wurde von der TV-Inszenierung eines Geständnisses, dem Vorwurf gegenüber dem Dissidenten, sich konterrevolutionär verhalten (Press TV) zu haben und darüber hinaus Spionage für Geheimdienste der USA und Frankreichs betrieben zu haben, bis hin zur Falle, die ihm im Irak gestellt wurde und die zu seiner Ergreifung durch iranische Vertreter geführt haben.
Angeklagt und zum Tode verurteilt wurde er im Sommer dieses Jahres aufgrund von 17 Vorwürfen, angeführt von "Korruption auf der Erde" (efsâd-e fel-arz), einer Anklage, von der behauptet wird, dass sie in Iran öfter bei Personen erhoben wird, die verdächtigt werden, dass sie mit ausländischen Organisationen zusammenarbeiten und gegen nationale Sicherheitsinteressen verstoßen. Am Freitag wurde er hingerichtet.
Ruhollah Sam war seit vielen Jahren ein nicht nur unter Iranern bekannter Dissident des Herrschaftssystems, der im Web eine Gegenöffentlichkeit geschaffen hat, die erstens auf gut informierten Quellen basierte und zweitens mit der Protestbewegung sympathisierte. Offenbar war er schon bei der Wahl Ahmadinedschads aufseiten der Proteste. Die Amad News, 2015 von ihm gegründet, hatten auf Telegram angeblich etwa eine Million Abonnenten.
Jahrelang lebte Sam im Exil in Frankreich. Angeblich wurde ihm mitgeteilt, dass er im Irak mit Ayatollah Sistani zusammentreffen könnte, weshalb sich Ruhollah Sam 2019 auf den Weg in das Land machte, wo er mit der Präsenz iranischer Militärvertreter rechnen musste. Warum er dennoch den riskanten Trip wagte, bleibt ein Rätsel. Dort wurde er von Mitgliedern der Revolutionären Garden (IRGC) gekidnappt, wie diese slebst berichtet haben, und in den Iran verbracht.
Unklar ist, wie es um sein Verhältnis zu den US- oder französischen Geheimdiensten genau bestellt war. Da gesagt wird, dass der Mann aus einer Familie mit guten Verbindungen entstammte, und er an seltene Informationen kam, kann man von einem Interesse westlicher Geheimdienste an seiner Person ausgehen. Ob und wie er mit ihnen zusammengearbeitet hat, ist offen.
Politische Agenden
Ein Teil der vielen Reaktionen auf die Hinrichtung des Dissidenten zieht einen nicht wirklich gut begründeten Vergleich mit dem Mord an den saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Es geht in der Hauptsache um den Vorwurf, dass man hier mit zweierlei Maß messe. Man sieht eine Kampagne gegen Iran am Laufen. Im Fall Khashoggi seien die Geschäftsbeziehungen mit Saudi-Arabien nicht wesentlich verändert worden, das Königreich habe zwar einen PR-Schaden erlitten, aber keinen politischen, währenddessen der Fall des hingerichteten Journalisten Ruhollah Sam politisch zum "Iran-Bashing" genutzt werde und dies zuzeiten, in denen die USA und Israel im Konflikt mit Iran auf harten Kurs gehen.
Westliche Länder würden, wenn es um repressive Systeme im Nahen Osten geht, immer den jeweils opportunen Maßstab anlegen, so ein vielfach geäußerter Vorwurf, der ebenfalls den geopolitischen Rahmen aufzieht. Der Vorwurf wird vom iranischen Außenministerium am Beispiel Frankreich aufgenommen, das die Hinrichtung Ruhollah Sams deutlich verurteilte, wo man aber vergangene Woche, vor der großen Öffentlichkeit verborgen, quasi im Hinterhof der Regierung, dem ägyptischen Staatschef al-Sisi den roten Teppich ausrollte, um ihn danach mit einem dicken Orden zu schmücken.
Geht es um Hinrichtungen, Verhaftungen und mehreren Zehntausend eingesperrten politische Häftlinge, so bietet der ägyptische Präsident ein Musterbeispiel für Repression, die geflissentlich von westlichen Staatsführungen übersehen und ignoriert wird. Mit seinem Kampf gegen die Muslimbrüder steht al-Sisy geopolitisch gerade auf der "guten Seite", zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und denen, die mit Ägypten und den Golfstaaten gute Geschäfte machen wie z.B. Frankreich. Und die Touristen freuten sich vor Ausbruch der Corona-Epidemie auch über ein wieder sicheres Urlaubsland.
Einmischung von Außen
Wie es Informationen nahelegen, die aktuell bei Moon of Alabama im Fall der Proteste im Libanon dargelegt werden, gibt es ein Interesse westlicher Länder daran, Proteste mit gezielten Kampagnen zu unterstützen, insbesondere wenn es darum geht, wie im Fall Libanon, Iran zu schwächen.
Allerdings sind damit längst nicht alle Gründe für Proteste hinreichend erklärt. Wie man gerade im Libanon beobachten kann, hat die Jugend sehr viele Gründe, sich gegen die herrschende Elite dort zu wenden. Wann ist eine Einmischung von Außen in den letzten Jahrzehnten gut verlaufen? Die zerstörerische Gewalt einer solchen Intervention ist in Syrien zu sehen, wo man die Opposition zu Baschar al-Assad vor nun bald einem Jahrzehnt bewaffnete und damit darauf setzte, dass die Proteste entgleisen.
Die Publizisten Navid Kermani und der Grünen-Politiker Omid Nouripour fordern laut taz eine Verknüpfung der Menschenrechtsfrage mit dem Atomabkommen. Dann müsste man in der Konsequenz gleichfalls bei Waffengeschäften mit Ägypten oder mit dem neuen Nahost-Friedenspartner Israels, den Vereinigten Arabischen Emiraten, auf der Einhaltung von Menschenrechten insistieren. Dafür spricht im Prinzip alles, praktisch dagegen die dominierenden Interessen.
Aber trotz aller geopolitischer Games sollte der Blick nicht verstellt werden: Brutale Gewalt, wie der staatliche Mord an einem Kritiker, ist gezielte Tötung aus dem Geist repressiver Machtpolitik - und Abschreckung, worauf der Nahost-Experte Ali Fathollah-Nejad aufmerksam macht:
"Seine Hinrichtung muss auch als Abschreckung gegen iranische Dissidenten im Exil gesehen werden, mit denen Zam in Kontakt stand und deren Kontaktdaten nach seiner Verhaftung durch den IRGC kompromittiert wurden, was viele iranische Dissidenten in einem Zustand der Angst vor möglichen zukünftigen Repressalien seitens Teheran gegen einen von ihnen zurückließ."
Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet, appellierte an die iranischen Behörden, "ihre alarmierende und zunehmende Anwendung der Todesstrafe und vager Anklagen wegen nationaler Sicherheit zur Unterdrückung unabhängiger Stimmen und abweichender Meinungen einzustellen".