Barrett-Anhörung: Demokraten konzentrieren sich auf Obamacare

Donald Trump und Amy Coney Barrett bei der Nominierung der designierten Supreme-Court-Richterin. Foto: Weißes Haus.

Wird die neue Supreme-Court-Richterin bis zum 22. Oktober bestätigt, könnte sie bis zum 8. Dezember über Wahlbeschwerden mit entscheiden

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Gestern hat der von Lindsey Graham geleitete Rechtsausschuss des US-Senats mit der Anhörung der von Präsident Donald Trump nominierten neuen Supreme-Court-Richterin Amy Coney Barrett begonnen. Thom Tillis, ein positiv auf das Sars-CoV-2-Virus getesteter Senator, war dabei über eine Videoleitung zugeschaltet. Sein ebenfalls positiv getesteter Kollege Mike Lee war dagegen persönlich präsent, weil dessen Arzt zum Ergebnis gekommen war, dass von ihm keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht.

Barrett legte in ihrer Eingangsstellungnahme ihre rechtsphilosophischen Grundlagen dar, wonach die Judikative nicht über exzessive Interpretationen Legislative spielen darf, sondern sowohl die Verfassung als auch die Gesetze so lesen muss, "wie sie geschrieben sind". Das gelte auch dann, wenn ihr ein Ergebnis persönlich nicht gefällt. Richter seien dazu da, den Rechtsstaat zu garantieren, aber nicht, "um jedes Problem zu lösen oder jedes Unrecht in unserem öffentlichen Leben gut zu machen". Dafür gebe es die Parlamente und die gewählte Exekutive.

Affordable Care Act

Chris Coons, ein Senator der Demokraten, äußerte keine Zweifel an der Integrität der Kandidatin (die im Vorfeld auch von Juristen bestätigt wurde, welche den Demokraten zuneigen), meinte jedoch, Donald Trump habe Barrett "ausgewählt, weil Ihre Rechtsphilosophie zu den Ergebnissen führen wird, die der Präsident erzielen will".

Um diese Argumentation zu stützen, verweist die Minderheitspartei im Senat auf kritische Äußerungen Barretts über genehmigende Urteile zur Barack Obamas Gesundheitsreform, dem Affordable Care Act. Mit ihm steht der demokratischen Senatorin Dianne Feinstein "die Gesundheitsversorgung von Millionen Amerikanern auf dem Spiel". Die Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris (deren Ehemann als Jurist für den Pharmakonzern Merck arbeitete) bezeichnete Barretts Nominierung sogar als Versuch der Republikaner, "Millionen von Menschen ihre Gesundheitsversorgung wegzunehmen".

Vorerkrankungen

Amerikaner mit Vorerkrankungen, die dieser Vorwürfe ansprechen sollen, will Präsident Trump seinen eigenen Angaben nach aber auch nach einer höchstgerichtlichen Niederlage von "Obamacare" nicht schlechter stellen als vor der Reform. "I will ALWAYS PROTECT PEOPLE WITH PRE-EXISTING CONDITIONS, ALWAYS, ALWAYS,ALWAYS!!!" twitterte er im Juni in Großbuchstaben und mit drei Ausrufezeichen.

Drei Monate darauf erließ er ein Dekret, das seinem Gesundheitsminister Alex Azar zufolge "Amerikaner mit Vorerkrankungen ohne Rücksicht darauf schützt, ob sie betreffende Klauseln im Affordable Care Act für verfassungswidrig und ungültig erklärt werden". Das könnte im Rahmen einer Klage geschehen, mit der sich der Supreme Court ab dem 10. November beschäftigt.

Allerdings sind nicht alle amerikanischen Juristen davon überzeugt, dass der US-Präsident so einen Schutz per Dekret anordnen kann. Nicholas Bagley von University of Michigan etwa glaubt, dass das die Befugnisse der Exekutive übersteigt. Bei einem anderen Problem, das kranken und gesundeten Amerikanern zu schaffen macht, agiert Trump etwas zurückhaltender: Bei unerwartet hohen "Überraschungsrechnungen" für Gesundheitsdienstleistungen hat er dem Kongress eine Frist bis zum 1. Januar 2021 eingeräumt. Haben Senat und Repräsentantenhaus bis dahin nichts dagegen unternommen, will er ebenfalls ein Dekret erlassen.

Demokraten schafften qualifizierte Mehrheit 2013 selbst ab

Die Abstimmung des Senats über Amy Coney Barrett ist für den 22. Oktober geplant. Um die Richterin zu genehmigen, reicht eine absolute Mehrheit. Die ist nicht nur deshalb wahrscheinlich, weil Senator Ron Johnson angekündigt hat, im Falle einer Corona-Ansteckungsgefahr notfalls in einem "Mondanzug" teilzunehmen, sondern auch, weil die Republikaner über 53 der insgesamt 100 Sitze und über einen Vizepräsidenten verfügen, der bei Stimmengleichheit entscheidet. Früher waren für die Genehmigung solcher Posten 60 von 100 Stimmen nötig. 2013 kippten die Demokraten diese Voraussetzung bei der Wahl von Bundesrichtern. Eine Verfahrensverkürzung, die die Republikaner 2017 auf die Bestätigung von Supreme-Court-Richtern ausdehnten.

Außer erneut über Obamacare entscheidet der Supreme Court mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch bald über Fragen zur US-Präsidentschaftswahl. Das muss er bis zum 8. Dezember 2020, da an diesem Tag das Wahlkollegium feststehen muss, dessen Teilnehmer am 14. Dezember 2020 den Präsidenten und den Vizepräsidenten wählen. Anhaltspunkte für gerichtliche Anfechtungen dürften sich in diesem Wahljahr mehr als in anderen ergeben:

Die wegen der Corona-Pandemie propagierte Briefwahl ist in den USA - einem Land ohne Meldepflicht und ohne Personalausweise - nämlich fehleranfälliger als in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Das bestätigten unlängst auch die ARD-Tagesschau und der ARD-Washingtonkorrespondent Stefan Niemann, der trotz fehlender Wahlberechtigung drei Wahlzettel zugeschickt bekam: Einen für seine vor fünf Jahren verzogene Vormieterin, einen weiteren für seine in Puerto Rico lebende Vermieterin, und den dritten für deren verstorbenen Ehemann.

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