Basteln, daddeln, konservieren
Retro-Games-Szene: Heute und morgen findet die Classic Computing in Moers statt
Wenn der Lötkolben neben der Pizzaschachtel und sich in Nähe eines Joysticks befindet, dann kann es nicht mehr lang dauern, bis sich nostalgische Gefühle breit machen. Ein Blick auf einen Teil der Retro-Games-Szene.
Wenn sich am Wochenende zum achten Mal ein Teil der deutschsprachigen Retro-Games-Szene auf der Classic Computing, einer Ausstellung zahlreicher Heimcomputer zusammenfindet, dann darf wieder gefachsimpelt und gelötet werden, was das Zeug hält. Denn dann geht es wie jedes Jahr in einer Ecke auf der Veranstaltung darum, wie man einen auf dem Schrottplatz gefundenen C64 wieder auf Vordermann bringt oder es wird eruiert, woran es liegt, dass der Amiga 500 nicht erwartungsgemäß startet. Und natürlich darf ausgiebig gedaddelt werden – vor allem die Perlen der Computer- und Videospielhistorie.
Einer der Anwesenden ist Peter Sieg, der soeben im Skriptorium Verlag einen Ratgeber für Bastler und all jene, die es werden wollen, veröffentlicht hat, und zwar unter dem angemessenen Titel „Commodore-Hardware-Retrocomputing“. Die Tipps, die er dem Leser darin gibt, hätte er vor drei Jahren selbst gebrauchen können, denn als er sich einen alten PET 2001, den ersten Commodore-Heimcomputer aus dem Jahr 1977, bei ebay ersteigert hatte, war das Gerät nicht mehr funktionsfähig: „Da war nur Schnee auf'm Bildschirm“, sagt Sieg.
Seitdem beschäftigt sich der mittlerweile 44-Jährige mit Reparaturen, sodass er nun auf die Frage, was denn am meisten beim C64 kaputt sei, sofort zu erklären weiß, dass „häufig der PLA Chip defekt“ sei, also der Halbleiterschaltkreis, der die Adress-Decodierung, die Ein- und Ausgangssignale steuert. Das Problem: „Der Chip ist sehr empfindlich, weil er heiß wird. Nach einer Spanne von 20 Jahren sind meist Hopfen und Malz verloren“, erklärt Sieg. Und was tut man dagegen? „Wenn der C64 schon gesockelt ist, einfach einen Ersatz-Chip ausprobieren. Ansonsten muss man schauen, ob alle internen Schaltkreise korrekt in den Fassungen sitzen.“
Nur, wie kommt man überhaupt dazu, sich all das nötige Know-how anzueignen? Zu diesem Zweck gründeten am 22. November 2003 neun Leute den Verein zum Erhalt klassischer Computer, dem Veranstalter der Classic Computing. Denn die ersten massentauglichen Computer sollen nie in Vergessenheit geraten, weiterhin einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Das hat den großen Vorteil, dass nicht alle bei Null anfangen müssen, sondern auf die Erfahrungswerte anderer zurückgreifen können. „Außerdem“, so Sieg, „gibt es im Internet Schaltpläne für so ziemlich jedes Gerät. Und diese sind auch noch gut lesbar, also nicht mit Bauteilen überfrachtet. Sobald die Technik jedoch kleiner wird, wird es umständlicher. Grundsätzlich ist es aber nie unmöglich, eine Kiste wieder auf Vordermann zu bringen.“
Für Stefan Both, den Ersten Vorsitzenden des Vereins zum Erhalt klassischer Computer, dürfte der Einstieg leichter gewesen sein. Er ist gelernter Elektriker, wohingegen Sieg eher Autodidakt ist, da er hauptberuflich im Chemiebereich tätig ist. Both hat außerdem viele Jahre allein in seinem Arbeitszimmer gewerkelt. Erst 2006 wurde er auf den Verein aufmerksam. „Lange habe ich jemanden gesucht, mit dem ich mich austauschen kann, jetzt sind es gleich um die hundert Leute“, sagt Both stolz. Angesichts der Menge an Geräten, die er dieses Wochenende zur Veranstaltung in Moers schleppt, scheint das auch notwendig: Both allein steuert 35 Computer bei. Als wäre das nichts, meint er lakonisch, es seien „halt ein paar mehr geworden“…
Andererseits ist sich Both darüber bewusst, dass er ohne Hilfe Gleichgesinnter aufgeschmissen wäre: „Je mehr Geräte, desto wichtiger ist es, genau diejenigen Leute an der Hand zu haben, die sich mit einem speziellen Rechner auskennen. Sonst hat man keine Chance, einen Fehler zu finden. Oder man sucht nach Schaltplänen oder sonst irgendwas. Da ist so ein Verein für prädestiniert.“ Also treffen sich die Geeks, die Computerfreaks, auch regelmäßig? Von wegen! Man ist ja nicht mehr 16,19 oder so, sondern eher schon so um die 38, 39, in einem Alter, in dem es tagtäglich zur Arbeit geht und die Kinder Aufmerksamkeit brauchen. Zeit fürs Hobby bleibt da höchstens mal am späten Abend.
Umso besser, dass es das Internet zum Austausch untereinander gibt. Brennt einem etwas unter den Nägeln, schreibt man einfach eine Mail oder postet etwas ins Forum. Brauchbare Antworten à la „Ruf mich mal gegen 22 Uhr an“ bekommt der Hilfesuchende dann rasch zurück. Aber vor 15 Jahren, als Both schon im Internet war und noch niemand an Firmen wie AOL oder Google gedacht hat, da war der Computerfreak allein auf weiter Flur. Heute ist schon das kaum noch vorstellbar, und schon allein deswegen erscheint es mehr als sinnvoll, an die alten Zeiten zu erinnern. Vielleicht ist man dann auch dankbarer gegenüber der heutigen Technik – zumal viele der alten Computer genau genommen die Grundlage dessen sind.
Darüber hinaus ist der Verein zum Erhalt klassischer Computer seit dem 14. Juni 2006 gemeinnützig. Somit hat sich der Zirkel der Förderung von Bildung und Kultur verschrieben, bietet also unlängst auch Programmierkurse und Vorträge aller Art an. Ein ganz wesentlicher Aspekt, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, stellt die Archivierung und Sicherung alter Datenträger dar: „Je neuer die Zeit, desto weniger Papiere und desto mehr Datenträger, aber meist ohne den Rechner – und dann wird’s schwierig“. Denn allein bei den CP/M-Rechnern, auch wenn sie sich untereinander verstanden haben, gibt es über 300 Diskettenformate“, erklärt Both. Einfach ausprobieren hilft da wohl nichts. Doch zum Glück gibt es ja den Verein. Dem könnte möglicherweise bald mehr Beachtung geschenkt werden. Am 18. November findet in Koblenz ein Seminar statt, das Archivaren Wege aufzeigen soll, mit welchen Mitteln digitale Daten für die Zukunft gesichert werden können. Der Veranstalter, das Projekt nestor Kompetenznetzwerk Langzeitarchivierung, plant sogar einen bundesweiten Standard.