Bayonettas Inferno

Segas "Bayonetta" für XBox 360 und PS3

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„Bayonetta” ist ein spektakuläres Actionspiel, das die aktuellen Konsolen von Microsoft und Sony voll ausreizt. Die Protagonistin beweist, dass Hexen Meisterinnen der Verführung und Zerstörung sind.

Sie ist das Gegenteil der klassischen europäischen Märchenhexe mit krummem Rücken und warziger Hakennase: Bayonetta ist jung, agil und hat mehr Sexappeal als Lara Croft. Äußerlich sind die 500 Jahre Gefangenschaft im Grab am Boden eines Sees spurlos an ihr vorüber gegangen, aber die Welt um sie herum hat sich in der Zeit massiv verändert.

Die Spielwelt orientiert sich an Dantes Göttlicher Komödie und besteht aus Inferno, Purgatorio und Paradiso. Dabei verzichtet das Setting aber auf ein klassisches Gut-Böse-Schema: Das Gleichgewicht zwischen den Mächten des Lichts und der Dunkelheit sind die Basis für Stabilität der Welt.

Eben diese Balance scheint erschüttert und Bayonetta versucht sie als Kämpferin der Schattenwelt wieder herzustellen. Leider hat sie nur wenige Erinnerungen an die Zeit vor ihrer Gefangenschaft und muss zudem lernen, was sich in den letzten 500 Jahren ereignet hat.

Der Spieler wird ebenso unwissend ins Geschehen geschickt wie die Protagonistin: Der Vorspann zeigt eine Rückblende auf einen Kampf von Bayonetta zusammen mit einer anderen Umbra Witch namens Jeanne gegen himmlische Heerscharen. Das eigentliche Geschehen startet schließlich mit einer amüsanten Friedhofsszene, in der die beiden Nebendarsteller Rodin und Enzo eingeführt werden und Bayonetta ihr Kostüm anlegt. Was nach einem hautengen Lederanzug ausschaut, besteht in Wirklichkeit aus ihren eigenen Haaren. Zwischen den Grabsteinen darf sich der Spieler gegen einfache Engel aufwärmen.

Enzo, ein schmieriger kleiner Tunichtgut, der im Kino wohl von Danny DeVito gespielt würde, hat immerhin den Tipp, dass Bayonetta sich in Vigrid umschauen solle, einer abgeschiedenen europäischen Stadt. Der Name ist eine Anspielung auf die Ebene Vigrid aus der nordischen Edda. Dort sollen sich laut der Mythologie die Mächte der Götter und der Unterwelt zur großen Schlacht treffen, die dem Untergang der Welt und deren Wiedergeburt voran geht.

Dass mythische Geschichten mit ihren großen Schlachten für Hack-And-Slash-Titel taugen, hat unter anderem bereits Sony für God of War erkannt. Die Serie, deren ersten beiden Teile als PS3-Portierung derzeit nur als Import verfügbar sind und deren dritter Teil im Frühling auf die PS3 kommt, spielt in der griechischen Sagenwelt. Und THQ nutzt ein biblisches Endzeitszenario für sein aktuelles Darksiders, in dem der Spieler in die Rolle eines apokalyptischen Reiters schlüpft.

Auch wenn sich der Plot Bayonettas massiv bei den unterschiedlichen Mythologien bedient, entfaltet sich die Geschichte einfacher. An manchen Stellen ist sie etwas zu dünn gestrickt, dafür aber durchaus amüsant und stets selbstironisch. „Bayonetta“ ist kein episches Adventure, sondern ein Action-Spiel.

Die Purgatorio-Ebene des Spielgeschehens, in der die Mächte von Licht und Dunkelheit kämpfen, existiert quasi parallel zur Menschenwelt, wobei die Erdenbewohner weder die Hexe noch die Engel tatsächlich sehen. Die Menschen sind im Spiel als wässrige Schemen erkennbar und reagieren auf gewisse Aktionen, scheinen gelegentlich Bayonettas Präsenz zu spüren. Zerbricht ein Gegenstand in der Purgatory-Ebene, geht er auch in der Parallelwelt entzwei.

Recht bald stellen sich der Umbra Witch die ersten Engel entgegen, denen im Verlauf der gut zehn Stunden Spielzeit unzähligen himmlische Streitmächte folgen. Den Einstieg ins Kampfgeschehen machen die Entwickler dem Spieler einfach: Trotz eines schon anfangs recht großen Kontingents an Kombinationsmöglichkeiten, benötigt er zunächst nur zwei Tasten für die Angriffe und vor allem die Schultertaste zum Ausweichen.

Wichtiger als die Kenntnis aller Combos ist für gelungene Kämpfe das optimale Timing des Ausweichmanövers: Duckt sich Bayonetta erst im letzten Moment vor einem Angriff, setzt die sogenannte Witch Time ein, die mit der Bullet Time aus den "Max-Payne"-Spielen vergleichbar ist: Das Geschehen um die Hexe verlangsamt sich, sodass sie gezielte Angriffe ausführen kann. Der Vorteil hält zwar nur kurz an, kann aber unbegrenzt wiederholt werden: Mit dem nächsten knappen Ausweichen, startet die Witch Time erneut.

Im normalen Kampfgeschehen bringt das Manöver einen klaren Vorteil, für Bosse und stärkere Gegner ist die Witch Time Schlüssel zum Sieg. Teils ist sie die einzige oder zumindest einfachste Möglichkeit, die Schwachpunkte dieser Gegner anzugreifen. Zudem bringt sie ein geradezu tänzerisches Element in die Kampfchoreographie.

Elegante Performance spielt durchaus eine Rolle, wenn auch nicht direkt für das Vorankommen innerhalb der Story. Der Spieler erhält für jeden Kampf eine Medaillen-Bewertung von „Stone“ bis „Pure Platinum“ aufgrund der verstrichenen Zeit, der verwendeten Combos und dem erlittenen Schaden – vergleichbar mit dem Style-Ranking aus Capcoms Devil May Cry, dessen Schöpfer die leitenden Entwickler von „Bayonetta“ sind. Die Gesamtleistung eines Levels belohnt das Spiel mit einer virtuellen Statue, deren Edelmetallgehalt sich aus den einzelnen Medaillen und den eventuell verlorenen Leben berechnet.

Neben dem Ausweichmanöver hat Bayonetta auch offensiv einiges zu bieten: Sie trägt ihre Waffen ebenso in den Händen wie an den Füßen und kann insgesamt durchaus vier Pistolen tragen. Ein Controller-Button steuert die Handwaffen, der zweite die an den Füßen. Über eine Schultertaste wechselt der Spieler zwischen zwei Waffen-Sets – auch innerhalb einer Combo. Wie bei den meisten Hack-And-Slash-Spielen gibt es zahlreiche Angriffskombinationen, deren Abfolge starke Spezialattacken auslösen.

Dabei kommen auch wieder die Haare der Hexe zum Einsatz, die bei besonderen Angriffen dämonische Formen annehmen oder beispielsweise zu Riesen-Stilettos werden. Als makabre Variante der Finishing Moves gibt es zudem die sogenannten Torture Attacks, in denen mittelalterliche Folter- und Exekutionswerkzeuge wie die Eiserne Jungfrau für ein besonders blutiges Finale zum Einsatz kommen.

Aber auch die normalen Kämpfe sind blutig genug – und das wo übertrieben wie in Filmen von Robert Rodriguez. In Deutschland bekam das Spiel die durchaus vertretbare USK- 18-Einstufung, ist dafür aber ungekürzt. Ebenfalls von Platinum Games stammt der Wii-Titel Mad World, der optisch an Frank Millers „Sin City“ erinnert, die Comic-Vorlage zu Rodriguez gleichnamigem Kinofilm. Das Spiel wurde in Deutschland nicht veröffentlicht, weil Publisher Sega im Vorfeld mit einer Ablehnung durch die USK rechnete.

Im Spielverlauf kann Bayonetta neue Angriff-Combos lernen und zusätzliche Waffen erstehen. Dazu besucht sie Rodin in seiner Bar mit dem schönen Namen „Gates of Hell“. Als Währung dienen Halos, die Heiligenscheine der himmlischen Kreaturen. Gelegentlich kommt beim Einsammeln der goldenen Ringe, welche die besiegten Engel hinterlassen, ein gewisses "Sonic"-Gefühl auf – der blaue Igel stammt wie Bayonetta von Sega. Für neue Waffen benötigt Rodin Bauanleitungen, die kurioserweise in goldenen Schallplatten verborgen sind, die in den Level verstreut und teilweise in mehrere Teile zerbrochen sind. Außer Pistolen darf Bayonetta auch Nahkampfwaffen wie eine Katana, eine Peitsche und soagar Schlittschuhe einsetzen.

Auch die beste Kämpferin muss gelegentlich Kraft auftanken: Statt Tränken setzt die Hexe Lollies ein, um ihre Lebensenergie oder Magie zu regenerieren beziehungsweise kurzfristig ihren Angriff oder die Verteidigung zu stärken. Als nettes Gimmick darf der Spieler die Lutscher selbst erstellen: Die Zutaten findet er in Gegenständen oder durch das Besiegen von Gegnern. Mit Hilfe des Rezeptbuchs kombiniert er die Ingredienzien und kann so selbst entscheiden, ob er beispielsweise lieber mehrere leichte oder weniger starke Heil-Lolliipops „braut“.

Parallel zur im Verlauf verbesserten Ausrüstung werden selbstredend auch die Gegner stärker. Die Entwickler schaffen durchweg eine angenehme Steigerung von Möglichkeiten und Schwierigkeitsgrad. Die Steuerung bleibt dabei durchgängig intuitiv und verzichtet auf komplexe Verrenkungen am Gamepad – der Spieler entdeckt seine Lieblingskombos und lernt das passende Ausweichmanöver zum jeweiligen Gegner. Die Bosskämpfe, die oft mehrere Phasen haben, sind ausnahmslos imposant und interessant. Als Belohnung nach den oft langen Duellen darf Bayonetta den Boss mit einer speziellen Climax Attack zur Hölle schicken.

Neben den zahllosen normalen und regelmäßigen Bosskämpfen gibt es einzelne Passagen, die das Standardgemtzel ein wenig auflockern. So muss sich die Hexe beispielsweise auf einem Motorrad durch den Verkehr schlängeln und dabei Engelangriffe abwehren. Diese Szenen sind nur kurze Ablenkungen vom eigentlichen Geschehen. Im Kern ist „Bayonetta“ ein reines Hack-And-Slash-Spiel. Rätselelemente wie in den „God-of-War“-Titeln ode „Darksiders“ gibt es praktisch nicht. Die gelegentlichen Quick-Time-Events sind so rar, dass sie durchaus immer wieder überraschen und dadurch zum virtuellen Ableben führen können.

Grafisch sind neben der Protagonistin selbst auch die Gegner und die Umgebung beeindruckend. Leider ist Segas Portierung der XBox-360-Version auf die getestete PS3-Variante nur mäßig geglückt, wodurch ein Übermaß an Gegnern oder optischen Effekten das Spiel deutlich verlangsamt. Dadurch wird die Steuerung zwar wenig beeinträchtigt, wohl aber der ansonsten flüssige Spielverlauf. Gerade er ist es, der die Eleganz ausmacht und auf den das gesamte Kampfsystem baut.

Auch sind die Ladezeiten bei der PS3 extrem lang. Zwischen den einzelnen Levels stört das weniger, aber dass das System beim Finden eines neuen Gegenstands oder beim Druck auf die Pausentaste erst einmal ein paar Sekunden lädt, ist ein unverzeihliches Manko. Die Wartezeit zwischen den Levels verkürzt ein Übungsmodus : Der Spieler kann beim Laden die bereits erlernten Combos ausprobieren und in einer Liste schauen, welche er wie oft bereits eingesetzt hat.

Der Soundtrack ist eine interessante Mischung aus Chormusik und poppigen Tönen. Als wiederkehrendes Hauptthema dient der Fünfzigerjahre-Bart-Howard-Song „Fly Me to the Moon“, der sowohl als Pop-Cover als auch instrumental partiell in diversen Passagen verwendet wird. Die Diskrepanz zwischen der Blutorgie und den seichten Pop-Klängen ist durchaus originell und stilvoll.

Stil ist überhaupt das durchgängig starke Element von „Bayonetta“ von der Kampfchoreographie über die Gegner bis hin zur Protagonistin selbst. Die Hexe besitzt einen virtuellen Sexappeal, der andere Videospielfiguren erblassen lässt. Die Mischung aus Eleganz, Domina-Look und Lollipop-Appeal mit der Lehrerinnenbrille als Sahnehäubchen ist beinahe etwas zu viel des erotischen Repertoires. Dabei setzt Platinum Games wie bei den Blutorgien offensichtlich die Übertreibung bewusst als Stilmittel ein. Die Story kann auf Dauer nicht halten, was der Anfang verspricht, hat aber immer wieder amüsante Szenen. Positiv ausgedrückt, lenkt die Geschichte wenig vom eigentlichen Action-Spektakel ab.

Spielerisch bietet Bayonetta genau das, was man von einem guten Hack-And-Slash erwartet: Eine eingängige Steuerung, die geschickte Kombinationen und gutes Timing belohnt und dabei gleichzeitig nie zu komplex wird. Zahlreiche versteckte Gegenstände, die Jagd nach den besten Bewertungen und zwei höhere Schwierigkeitsgrade als die drei anfangs verfügbaren motivieren auch über die normale Spielzeit hinaus. Auf der PS3 beeinträchtigen leider die technische Probleme immer wieder das Vergnügen.