Bedingungslose Bürgerversicherung

Seite 2: Abschaffung der Krankenkassenbeiträge zugunsten einer Steuerfinanzierung

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Die Lohn- und Einkommensteuer ist bereits nach Leistungsfähigkeit gestaffelt (was natürlich weiterentwickelt werden kann), für sie gibt es ein funktionierendes Inkasso, das einen riesigen Apparat der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und enorme Verwaltung bei den Arbeitgebern überflüssig machen würde, wenn man die heutigen Sozialabgaben einfach in einen Anteil der Steuer umwandeln würde. Arbeitnehmer bekämen exakt das gleiche Nettogehalt wie heute (ihr Bruttogehalt würde formal steigen, weil die derzeitigen Arbeitgeberanteile zu den Sozialversicherungen aufgeschlagen werden müssten), die Kosten bei den Arbeitgebern blieben ebenfalls gleich. Nur wer bisher privat versichert ist, müsste etwas mehr zahlen - das ist ja genau das Sinnvolle an der Idee einer Bürgerversicherung, die sich aber dazu der alten, maroden Bürokratie bedienen will.

Der Haupteinwand gegen alle Ideen, Gemeinschaftsaufgaben direkt aus der Steuer zu bezahlen anstatt über komplizierte eigene Strukturen, ist stets, "der Staat" könne nicht gut wirtschaften. Mal abgesehen von der Frage, warum die Finanzverwaltung das schlechter machen sollte als die derzeit 108 Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (immerhin kostet die Verwaltung der GKV 154 Euro pro Mitglied und Jahr, insgesamt 11 Milliarden Euro): Einzelne Aufgaben können ggf. auch von der freien Wirtschaft übernommen werden, wenn sie diese günstig und kompetent erledigt.

Das reale Problem hingegen sind die Eigeninteressen derer, die vom momentanen System leben. So verdienen allein 165.000 Mitbürger ihr Geld in Verwaltung und Versicherung der Gesundheitswirtschaft. Gestaltet man diese durch eine Steuerfinanzierung einfacher, werden dort wohl weit weniger Arbeitsplätze benötigt.

Mit der Abschaffung eigener Krankenkassenbeiträge zugunsten einer Steuerfinanzierung könnte noch ein weiterer enormer Fortschritt verbunden sein. Denn wenn man medizinische Versorgung für so notwendig wie Straßen, Schulen oder die Feuerwehr hält, braucht es keinen Versicherungsnachweis mehr, um behandelt zu werden. Jeder bekäme das medizinisch Notwendige, einfach weil es eben notwendig ist. Es müssten auch keine Krankheitsdaten mehr erfasst werden für die Abrechnung, jede Behandlung könnte anonym erfolgen, denn bezahlt wird sie ja aus der Steuer, nicht mehr von einer speziellen Kasse, die ihre Zuständigkeit prüft und oft genug negiert.

Die heutige Bürokratie ist uns so vertraut, dass sich kaum noch jemand wundert, wenn es heißt, dieses und jenes ginge aus versicherungstechnischen Gründen nicht. Zwei Beispiele: Schüler - auch volljährige - dürfen ihr Schulgelände zwischen Anfang und Ende des täglichen Unterrichts nicht verlassen. Nicht etwa, weil es außerhalb so gefährlich wäre - denn in dieser gefährlichen Welt sind die Schüler ja vor und nach dem Unterricht auch unterwegs. Nein, es ist wegen der Versicherung, die nicht greift, wenn der Schüler jenseits des Schulzauns steht. Ein Unfall auf dem Weg von der Arbeit nach Hause wird anders abgerechnet, wenn man noch einen kleinen Abstecher zum Supermarkt macht. So etwas würde sich niemand ausdenken, der ein Finanzierungssystem neu erfinden sollte.

Derzeit regeln die Lobbyisten vieles unter sich

Die Ärzte fürchten mit Blick auf eine Bürgerversicherung ganz unverhohlen um Einnahmen. Privatpatienten bringen eben mehr als Kassenkunden - derzeit. Was uns gute Ärzte und Therapeuten wert sind, sollte demokratisch verhandelt werden (derzeit regeln die Lobbyisten vieles unter sich). In einem neuen, steuerfinanzierten System müsste vermutlich nicht mehr jede Leistung abgerechnet werden, vieles könnte einfacher, vor allem aber anders geregelt werden - solche Details sind allerdings nebensächlich im Vergleich zum großen Ganzen. Zunächst geht es um einen Systemwechsel an sich. Doch der steht nicht auf der Tagesordnung. In Umfragen spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung für eine Bürgerversicherung aus - ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem wird allerdings auch gar nicht als Alternative angeboten.

SPD, CDU und CSU waren nicht gewillt, binnen zwei Tagen zur Frage eines steuerfinanzierten Gesundheitssystems Stellung zu nehmen. Und der Verband der privaten Krankenversicherung regte sich zwar vernehmbar über die journalistische Anfrage auf, äußerte sich inhaltlich aber ebenfalls nicht. Die Bürger sind bei der Debatte um eine Bürgerversicherung offenbar nicht sehr wichtig.