Befreien sich die USA aus der Politik-Blockade?
Der Quertreiber Manchin von den Demokraten scheint nun doch 670 Milliarden Dollar für Klima und Soziales freizugeben. Es ist ein richtiger Schritt, aber kein Erfolg. Was wirklich dahinter steckt.
Es ist auf den ersten Blick eine überraschend gute Nachricht und wird als solche auch in deutschen Medien präsentiert: Die Blockade des Klima- und Sozialpakets der Biden-Regierung im US-Senat scheint überwunden. Denn der demokratische Senator und Kohlelobbyist Joe Manchin aus West Virginia, der bisher sein Veto einlegte, hat eingelenkt. Nach fast zwei Jahren quälender Verhandlungen macht das den Weg frei für ein Gesetzesvorhaben, das dringend benötigte Investitionen in die Infrastruktur und das Sozialsystem freisetzen soll.
Doch auf den zweiten Blick sieht die Sache ein wenig anders aus. Zuerst einmal ist unklar, ob der Gesetzentwurf überhaupt auf den Schreibtisch von US-Präsident Joe Biden gelangen wird. Die demokratische Senatorin Kyrsten Sinema vom Bundesstaat Arizona, die mit Manchin zusammen bisher blockiert hat, könnte weiter ihr Veto einlegen. Denn im Entwurf sollen einige Steuerschlupflöcher geschlossen werden, was Sinema bisher strikt abgelehnt hat.
Zudem könnte das Gesetz im Repräsentantenhaus stecken bleiben, da Demokraten aus New York und New Jersey erklärten, die Vereinbarung wegen aus ihrer Sicht nachteiliger Steuerregelungen nicht zu unterstützen.
Aber gehen wir einmal davon aus, dass diese Hürden genommen werden: Was ist mit dem Inhalt? Manchin und der Mehrheitsführer der Parlamentskammer Chuck Schumer (Demokraten) gaben nach der Einigung bekannt, dass 670 Milliarden US-Dollar in den nächsten zehn Jahren bereitgestellt werden sollen.
Die Investitionen werden vollständig durch die Schließung von Steuerschlupflöchern für wohlhabende Privatpersonen und Unternehmen finanziert,
heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung. Rund 370 Milliarden sollen für Energiesicherheit und Klimaschutz ausgegeben werden. Außerdem sollen durch Absprachen mit der Pharmaindustrie die Preise für Medikamente gesenkt werden.
Die neue, auf dem Tisch liegende Vereinbarung, der sogenannte Inflation Reduction Act of 2022, ist eine Schrumpfversion des eigentlichen Gesetzesvorhabens, dem Build Back Better Act. Dieses Gesetz wurde vom Repräsentantenhaus zwar verabschiedet, unterstützt von den meisten Demokraten und amerikanischen Wähler:innen, aber von Manchin gekippt. Ursprünglich sollten 3,5 Billionen Dollar aufgebracht werden, also insgesamt das Fünffache an Investitionen gegenüber dem jetzigen Plan.
Sicherlich ist es gut und richtig, staatliche Investitionen zu ermöglichen durch mehr Steuereinnahmen, erbracht aus einem Mindeststeuersatz für Unternehmen von 15 Prozent, der Regulierung von Medikamentenpreisen und der Schließung von Steuerschlupflöchern. Wobei die Steuern für Reiche nicht erhöht werden sollen.
Einige Klimaschützer:innen und Progressive in den USA äußern sich aber skeptisch über die Ausgaben und die Ausrichtung der Investitionen. So weist die Direktorin der Organisation Food & Water Action Wenonah Hauter darauf hin, dass Manchin betont habe, dass "es wirklich um alles geht, das heißt, dass dieses Gesetz nicht unseren reichlich vorhandenen fossilen Brennstoffe schadet".
Hauter sagt weiter, dass
Senator Manchin, nachdem er mehr als ein Jahr lang gezögert hat, nun eine Einigung ankündigt, die die Krise nicht lösen wird, sondern sie möglicherweise noch verschlimmert. Die wenigen Details, die heute Abend veröffentlicht wurden, deuten darauf hin, dass dieses Abkommen die fossilen Brennstoffe stützen und die verschiedenen falschen Klimalösungen fördern wird, die von der Industrie geliebt werden.
Auch die angekündigte Reform beim Genehmigungsverfahren für Energieinfrastrukturen, darunter Gaspipelines und fossile Exporte, gehe in die falsche Richtung.
Mehr Subventionen für schmutzigen Wasserstoff, Kohlenstoffabscheidung und Kernenergie sind keine Klimaschutzmaßnahmen, sondern das Gegenteil.
Zudem wird die Hälfte der Einkünfte, insgesamt 300 Milliarden Dollar, in die Reduzierung des staatlichen Defizits gesteckt, eine Top-Priorität von Manchin. Ein großer Teil stellt also gar keine Investitionen dar, die Jobs schaffen und die vielfältigen Krisen in den USA adressieren.
Niedrige Messlatte: Heftpflaster statt Klima- und Sozialwende
Rechnet man die 670 Milliarden Dollar aufs Jahr um, sind es lediglich 67 Milliarden, wovon 30 Milliarden wie gesagt gar nicht investiert werden. Gemessen an einem der mächtigsten Wirtschaftsräume der Welt mit 330 Millionen Einwohner:innen sind solche Summen letztlich Peanuts. Verglichen mit dem fast 800 Milliarden Dollar Militärbudget des Pentagon (Tendenz steigend) ist es kaum der Rede wert.
Trotzdem wird seit fast einem Jahr um jede Milliarde gerungen und jeder sinnvollen Investition eine zerstörerische gegenübergestellt, um Lobbys zu befriedigen. Am Ende ist die Erwartungshaltung derart heruntergeschraubt worden, dass fast jedes Ergebnis als Erfolg durchgeht. Es zeigt, wie sehr das politische System in den USA aufgehört hat, in nennenswerter Weise rational zu funktionieren – nämlich orientiert an den Interessen und Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung und der Umwelt.
Um ein Beispiel zu geben für die niedrige Messlatte, die an Erfolg angelegt wird: Selbst wenn man optimistisch davon ausgeht, dass von den 37 Milliarden Dollar pro Jahr für Energiesicherheit und Klima 20 Milliarden in Erneuerbare Energien und andere Emissionseinsparmaßnahmen gehen (in Form von Steuererleichterungen für Isolierungen, Solaranlagen oder E-Autos), sind das lediglich zehn Prozent vom Notwendigen. So hat der führende Klimaökonom Robert Pollin ("Green Growth Plans") in seinen Berechnungen herausgearbeitet, dass die US-Regierung jährlich rund 200 Milliarden Dollar in Klimaschutz investieren müsste, um das Land gemäß des Zwei-Grad-Ziels zu dekarbonisieren.
Die USA sind also weiter auf einem Klimacrashkurs mit dem Planeten. Sie werden mit den anvisierten Milliarden nicht einmal ihr offizielles, viel zu geringes Ziel erreichen können, bis 2030 die Treibhausgase um 50 Prozent zu reduzieren.
Sicherlich werden die Demokraten und einige progressive Bewegungen in den USA versuchen, den Gesetzesentwurf als Erfolg zu präsentieren. Sie brauchen für die Kongress-Zwischenwahlen im November etwas, was die Wähler:innen zum Urnengang bewegen kann. Denn auch wenn sich die Umfragewerte in den letzten Wochen für die demokratischen Bewerber:innen etwas verbessert haben, droht für die Demokraten weiter der Verlust der Mehrheit im Kongress, insbesondere in der unteren Kammer, dem Repräsentantenhaus.
Da niemand mehr mit einer Einigung gerechnet hat, nehmen viele Klimaschützer:innen die Nachricht positiv auf. So sagt Margie Alt, Direktorin der Climate Action Campaign, in einer Erklärung:
Mit mehr als 85 Millionen Amerikanern, für die derzeit eine Hitzewarnung gilt, stehen wir vor einem Klimanotstand, und wir müssen ihn auf eine Art und Weise angehen, die Gerechtigkeit fördert und Arbeitsplätze schafft. Ich gratuliere Senator Schumer, Präsident Biden und dem gesamten Demokratischen Senatsausschuss für die Einigung auf ein Gesetz, das in den Klimaschutz investiert und die Energiekosten für die Amerikaner senken soll.
Selbst wenn das vorliegende Investitionsgesetz ein erster Schritt aus der totalen Politik-Blockade in den USA sein kann und vielen Hoffnung insbesondere in Richtung auf die Klimakonferenz in Ägypten Ende des Jahres gibt, ist Vorsicht geboten. Denn wie Wenonah Hauter zu Recht warnt:
Dieser von Senator Manchin erzwungene Deal ist das, was man erwarten kann, wenn ein Kongress derart gespalten ist und Freunde und Profiteure der fossilen Brennstoffindustrie die eigentliche Kontrolle über die Klimapolitik haben. Es zeigt, dass wir mehr Klimaunterstützer wählen müssen, damit Maßnahmen verabschiedet werden können, die tatsächlich notwendig sind, um die Krise zu bewältigen, der wir gegenüberstehen. Bis dahin sollten wir keine Abmachungen akzeptieren, die die Öl- und Gasindustrie zu unserem Schaden stärken.