Belgien: Ein neuer Pegida-Ableger findet ein günstiges Klima
Nach der Vereitelung von mutmaßlich geplanten Anschlägen wird über islamistische Terrorzellen berichtet. Sie sind allesamt den Geheimdiensten bekannt. Für eine Ausweitung der allgemeinen Überwachung liefert dies keine Argumente
In Belgien formiert sich ein Pegida-Ableger. Er nennt sich Vlativa (Vlamingen tegen de islamisering van het Avondland): "Flamen gegen die Islamisierung des Abendlandes". Wie auch der dazu gehörige Wahlspruch - "Wij zijn het volk" - anzeigt, sind Anlehnungen an Pegida in Deutschland beabsichtigt. Man will sie unterstützen. Dies wird an vielen Stellen des Pegida-Vlaanderen-Facebookauftritts, bislang 6.500 Followers, deutlich. Für Montag nächster Woche ist die erste Demonstration in Antwerpen angekündigt. Angestrebt ist, die Bewegung auch auf den wallonischen, den französisch-sprachigen, Teil Belgiens auszudehnen.
Das politische Klima in Belgien, das eine Rechts-Mitte-Regierung hat, von denen einige Ansichten der Vlativa teilen dürften, könnte der Bewegung Zulauf bescheren. Nach dem Terroranschlag und der Geiselnahme in Paris folgte im Nachbarland ein Terror-Alarm. Sicherheitsdienste seien vor einem unmittelbar bevorstehenden größeren Anschlag gewarnt worden, hieß es am Donnerstagabend vergangener Woche. Bei einem Zugriff gegen verdächtige Dschihadheimkehrer, die überwacht wurden, habe es eine Schießerei gegeben, in deren Verlauf zwei Verdächtigen getötet wurden. Ein dritter habe überlebt.
Ob der Dritte bislang vernommen wurde und ob er etwas zur weiteren Aufklärung des spektakulären Zugriffs beigetragen hat, drang bisher nicht an die Öffentlichkeit. Die wurde völlig in den Bann quasi im Stundentakt aufeinander folgender Nachrichten gezogen, die von weiteren Festnahmen, von Durchsuchungen, von der Präsenz einer Terrorzelle in Belgien, die mit anderen Terrorzellen in Europa, möglicherweise auch in Nordafrika, sowie von Anschlagplänen gegen belgische Polizisten und jüdische Einrichtungen berichteten.
Rückendeckung für Befürworter des Ausbaus der Überwachung
Nach der Terrorschockwelle in Frankreich schlug der Terror-Seismograf in Belgien aus. Dessen Premierminister Charles Michel befahl, zum ersten Mal seit dreißig Jahren, den Einsatz der Armee im Inneren, 300 Soldaten sollen einen Monat lang die Bewachung von Bahnhöfen, Flughäfen und vor allem vor jüdischen Einrichtungen verstärken. Der Vorsitzende seines rechtspopulistischen Koalitionspartners N-VA, Bart De Wever, hatte schon Donnerstagabend nach der Schießerei in Verviers "nach dem Militär gerufen".
Auch in Deutschland kam es am darauf folgenden Freitag zu Hausdurchsuchungen. Unabhängig von dem belgischen Polizeizugriffen, aber in der Öffentlichkeit entstand doch ein "gefühlter Bedrohungszusammenhang". Die Befürworter des Ausbaus staatlicher Präventions-, Abhör- und Datenspeicherungsbefugnissen bekamen Rückendeckung durch die Nachricht von der Verhinderung eines größeren Anschlags in Belgien.
Zuvor hatten der Charlie-Hebdo-Anschlag in Frankreich und die damit verbundene Geiselnahme mit toten Geiseln in Frankreich gezeigt, dass die geheimdienstliche Überwachung und Datenvorratsdatenspeicherung die polizeilichen und geheimdienstlichen Ermittler nicht schlauer gemacht haben. Nun reden deutsche Politiker wieder sicherheitstechnisch vom "starken Staat", den man, wenn es um Unternehmer- und Wirtschaftsinteressen geht, scheut wie eine Bedrohung des Abendlandes.
Ein bekannter Drahtzieher und bekannte Dschihadistengruppen
Was bisher von größeren Medien über das belgischen Terror- oder Dschihadisten-Netzwerk bekannt wurde, ist etwas verwirrend und bietet Anlass für viele Spekulationen. So gab es eine Meldung, wonach im Zusammenhang mit den Anschlagplänen Verdächtige in Griechenland verhaftet wurden. Zunächst wurde aber behauptet, dass sie nicht im Zusammenhang mit den Anschlagsplänen im ostbelgischen Verviers stehen. Dann wurde dem widersprochen.
Als Drahtzieher wurde in mehreren Medienberichten der Name eines Dschihadisten namens Abdelhamid Abaaoud genannt, der in Syrien für den IS kämpfen soll und sich damit auch auf Videos, die in YouTube zu sehen waren, gebrüstet haben soll. Angeblich haben amerikanische und französische Geheimdienste sein Telefon in Griechenland geortet. Von dort aus soll er nach Informationen von Le Monde, die sich auf Geheimdienste beruft, "Zellen in Belgien" gesteuert haben.
Laut Nouvel Observateur hat Abdelhamid Abaaoud mehrere Anrufe mit einem Bruder von Radwan Haqawi oder Tareq Jadoun getätigt. Das sind die beiden mutmaßlichen Terrorplaner, welche die belgischen Sicherheitsbeamten am Donnerstagabend getötet hatten. Der belgische Generalstaatsanwalt bestätigte aber bislang nicht, dass Abdelhamid Abaaoud die Zelle "von Griechenland oder der Türkei aus befehligt oder finanziert" habe. Die Verbindung zu den Festnahmen in Athen sind auch noch nicht offiziell erklärt.
Dschihad-Logistik-Drehscheibe
Dafür wird in Medien auf ein größeres Dschihadisten-Netzwerk in Belgien verwiesen. Etwa auf die schon früher gerichtsmäßig bekannt gewordene Syrienkämpferschleusergruppe Sharia4Belgium, die al Qaida unterstützt haben soll. Inwieweit sich Verbindungen zwischen den Festnahmen und Mitgliedern dieser Gruppe ergeben, ist gegenwärtig auch noch nicht beantwortet. Aber Sharia4Belgium ist den Geheimdiensten gut bekannt.
Fürs Erste kann man festhalten, dass die Geheimdienste einen einigermaßen übersichtlichen Personenkreis Verdächtiger haben, wofür eine gerichtliche Erlaubnis zur Überwachung nicht schwierig zu erhalten ist. Es stünden einige Fälle unter Beobachtung der belgischen Staatsanwaltschaft, berichtet die belgische Zeitung La Libre.
Ohnehin zeigt sich, dass Geheimdienste, etwa der algerische, in dieser Beziehung seit längerem aktiv sind. So soll der DRS schon vor einiger Zeit auf Terrorzellen in Belgien aufmerksam gemacht haben. Allerdings deutet ein Bericht von Le Monde im Zusammenhang mit Sharia4Belgium ein Déjà-Vu an, das an die Unübersichtlichkeit und die Verwicklungen des Netzwerks des Sexualmörders Marc Dutroux erinnert. So wird in der Sache der Dschihadistenrekrutierer auch gegen Fahnder ermittelt.
Auch ein Bericht des Parisien fügt ein Steinchen zum Mosaikbild von Belgien als europäischen Dschihad-Logistik-Drehscheibe hinzu. Angeblich hat sich der französische Geisel-und Polizistenmörder Amedy Coulibaly seine Waffen in Belgien besorgt, im Tausch gegen ein Auto, für das er einen Bankkredit bekam.