Belgische Justiz tritt Spanien nun noch fester vors Schienbein
Die belgische Justiz lehnt erneut die Auslieferung eines politischen Flüchtlings in ein Spanien ab, das Politiker ohne jede juristische Grundlage inhaftiert. Ein Kommentar
Wieder einmal wird Spanien in Belgien bei seinem Ansinnen zurückgewiesen, politische Flüchtlinge auf dem zweifelhaften Weg über Europäische Haftbefehle ausgeliefert zu bekommen. Nun wird auch der ehemalige katalanische Minister Lluís Puig nicht an die spanische Justiz ausgeliefert. Und die Begründung des Gerichts vom Freitag hat es in sich. Es wurde sogar die Anwendung des Europäischen Haftbefehls für eine sogenannte "Katalogstraftat" abgelehnt, mit der eine Auslieferung eigentlich ohne Prüfung über die Bühne gehen sollte: "Die spanischen Behörden, die den Haftbefehl ausstellten, haben dazu keine Befugnis", erklärte die Staatsanwaltschaft in Brüssel zu der Entscheidung des zuständigen Gerichts.
Das Gericht folgte damit der Argumentation der Verteidigung, die sich auf die Vereinten Nationen beruft, wonach es "katalanische Gerichte sein müssen", die über derlei Vorgänge zu befinden haben - und kein Gerichtshof in Madrid. Sie hatten einen "Verstoß gegen Grundrechte durch den Obersten Gerichtshof" in Madrid angeprangert.
Damit stellt sich das unabhängige Gericht eines unabhängigen Landes praktisch auf die Seite derer, die wie die Verteidigung die Verfahren gegen Mitglieder der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung als politische Justiz bezeichnen. Denn auch im Fall Puig hatte sich der Oberste Gerichtshof zuständig erklärt und damit den Grundsatz des gesetzlich bestimmten Richters ausgehebelt, womit ein elementares Prinzip der Demokratie beseitigt wurde. Das hat die belgische Justiz erkannt und in ein Urteil gegossen. Denn alle wichtigen Verfahren - nicht nur gegen Katalanen, sondern auch gegen Basken - werden mit Tricks vor spanische Gerichtshöfe nach Madrid gezogen.
Im Fall der Katalanen begründet der Oberste Gerichtshof, er sei für die Aberkennung der Immunität von Parlamentariern zuständig. Doch im Fall Puig greift nicht einmal das, da er nie Parlamentarier war, wie seine Verteidiger den belgischen Richtern dargelegt haben. Trotz allem wurde auch das Verfahren gegen ihn an den politisierten Gerichtshof in Madrid gezogen. Dort ist dann der Vorsitzende Richter im Verfahren der Mann, der für die rechte Volkspartei (PP) nach deren eigenen Angaben sogar den gesamten Gerichtshof "durch die Hintertür" kontrollieren sollte. Für das spanische Vorgehen hat das Land erneut einen Tritt vor das Schienbein kassiert. Der fiel nun sogar noch fester als in früheren Verfahren aus, wie zum Beispiel im Fall des ehemaligen katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont und anderen Mitgliedern seiner Regierung.
Belgien steht mit seinen Entscheidungen in Europa nicht allein. Auch Deutschland verweigerte die Auslieferung von Puigdemont wegen der erfundenen Anklage einer "Rebellion" und "Aufruhr". Und so verhielten sich auch Großbritannien und die Schweiz angesichts der spanischen Auslieferungsanträge für weitere katalanische Exil-Politiker. Deutschland hätte Puigdemont sogar wegen der angeblichen "Veruntreuung" von Geldern ausgeliefert, weil es sich dabei um eine "Katalogstraftat" des Europäischen Haftbefehls gehört und inhaltlich eigentlich nicht geprüft werden darf. Doch dafür wollten ihn die Spanier nicht und zogen den Haftbefehl zurück.
Im Fall Puig beantragte Madrid allerdings seine Auslieferung nur dafür. Angeblich soll auch er Steuergelder für das "verbotene Referendum" veruntreut haben. Wohl gemerkt, es geht nicht darum, dass Geld in die eigene Tasche verschwunden ist, wie man es in Spanien von Korruptionsparteien wie der Volkspartei (PP) oder auch von den nun regierenden Sozialdemokraten kennt.
Dabei konnte auch die Verwendung von Steuergeldern für das Referendum im Schauprozess gegen Mitglieder der Puigdemont-Regierung am Obersten Gerichtshof nicht nachgewiesen werden, wie ihn auch hochrangige spanische Juristen bezeichnet haben. In diesem abstrus unfairen Verfahren wurden schließlich aber ehemalige Mitglieder der Regierung zu bis zu 13 Jahren Haft wegen eines angeblichen Aufruhrs und Veruntreuung oder Ungehorsam verurteilt, weil sie Urnen aufgestellt haben, um die Bevölkerung über die Unabhängigkeit abstimmen zu lassen. In jedem zivilisierten Land dürfen solche Abstimmungen wie in Großbritannien (zu Schottland) oder Kanada (zu Quebec) auf Basis des "demokratischen Prinzips" in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts gemäß der UN-Sozialcharta legal stattfinden, die auch Spanien ratifiziert hat.
Aber es geht noch besser. Die katalanische Parlamentspräsidentin Carme Forcadell wurde zu 11 Jahren Haft verknackt, nur weil sie ihre Arbeit getan und Debatten im Parlament zugelassen hat. Mit den Regierungsentscheidungen zum Referendum hatte sie nicht einmal etwas zu tun. Einen größeren Skandal kann es in einem Rechtsstaat eigentlich nicht geben.
Die unabhängige Justiz Spaniens
Doch Spanien und seine "unabhängige Justiz" sind fähig, auch da noch einen drauf zu setzen. Man verweigert Oriol Junqueras die Immunität, die er schon vor fast acht Monaten vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zugestanden bekam. Wegen seiner Immunität hätte der Prozess gegen ihn nicht einmal geführt werden dürfen.
Doch statt im Europaparlament sitzt der Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) nicht im Parlament, sondern im Knast. Und das passiert unter einer sogenannten "Linksregierung", die sich als die "progressivste Regierung der Geschichte" verkaufen will. Sie hat gerade über ihr Ministerium für Staatsanwaltschaft auch noch dafür gesorgt, dass den verurteilten Katalanen der kürzlich gewährte beschränkte Freigang wieder gestrichen wurde.
Dass man in Belgien immer deutlicher beginnt, gegenüber Spanien Klartext zu sprechen, hat sicher auch damit zu tun, dass es nun sogar in Spanien gerichtsfest ist, dass an den Gerichtshöfen bis zum Verfassungsgericht Unrechtsurteile gefällt werden. In Fällen wegen Amtsverbot für Basken war das schon bekannt, wie im Fall des baskischen Parlamentspräsidenten Juan Mari Atutxa. Nun musste gerade, allerdings erst fast zwei Jahre nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt hatte, dass fünf Basken auf Basis spanischer Schauprozesse mehr als sechs Jahre inhaftiert waren, das Unrechtsurteil gegen sie auch in Spanien zurückgenommen werden. Und wer musste sein Urteil zähneknirschend kippen: der schon gut bekannte und politisierte Oberste Gerichtshof!
Nicht zuletzt ist da auch der Fall des Rap-Sängers Valtonyc, der ebenfalls im belgischen Exil weilt und von dort aus nicht nach Spanien ausgeliefert wird. Auch hier hatte die spanische Justiz mit Tricks gearbeitet, um seine Auslieferung zu erzwingen. Doch erneut scheiterte Spanien an der belgischen Justiz und am EuGH.
Das ist auch in Belgien nicht unbekannt geblieben, stellt sich der Fall Valtonyc nach der Flucht des ehemaligen Königs vor Korruptionsermittlungen nun zudem in einem völlig neuen Licht dar. Denn der Rapper aus Mallorca wurde unter anderem wegen Majestätsbeleidigung zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er die Korruption im Königshaus besungen hat.
Flucht des Ex-Königs mit der Hilfe der sozialdemokratischen Regierung
Geflohen, das ist derweil geklärt, ist Juan Carlos nach Abu Dhabi. Das ist konsequent, denn aus Ländern im öligen Wüstensand soll er besonders viel Schmiergeld erhalten haben. Allein die Schweiz ermittelt wegen der Zahlung von 100 Millionen Dollar aus Saudi-Arabien gegen ihn. Auch in diesem Zusammenhang sieht die sozialdemokratische Regierung nicht progressiv, sondern ziemlich spezialdemokratisch aus. So hatten die Sozialdemokraten verhindert, dass die Skandale des Monarchen in einer Untersuchungskommission im Parlament beleuchtet werden.
Mittlerweile ist klar, dass sie sogar in die Fluchtpläne des Königs eingebunden waren. Die Vize-Ministerpräsidentin Carme Calvo, die mit dem Königshaus die Verhandlungen geführt hat, will deshalb auch nicht von "Flucht" sprechen, denn offiziell sei ja noch kein Verfahren eröffnet worden. Man kann aber davon ausgehen, dass Juan Carlos nicht vor der spanischen Justiz geflüchtet ist. Von der hat er wohl kaum etwas zu befürchten. Aber man hat seinen heimlichen Abgang mit ihm, dem Königshaus und der Regierung ausgedealt. Klar ist, dass ein Land gewählt wurde, das ihn sicher nicht an die Schweiz ausliefern wird.
Denn die Justiz der Eidgenossen könnte mit ihren Ermittlungen dafür sorgen, dass Juan Carlos noch zur Verantwortung gezogen wird. Und wenn sich der Ex-König von Diktator Francos Gnaden nicht mehr in Spanien aufhält, muss sich auch die sozialdemokratische Regierung nicht mit möglichen Auslieferungsgesuchen aus der Schweiz beschäftigen. Schaut man sich die Vorgänge zur Flucht des Monarchen und der Entscheidung in Belgien gemeinsam an, stößt man auf Realsatire der spanischen Regierung.
Denn die Ex-König-Fluchthelferin Calvo hat sich nun beschwert, dass die belgische Justiz auch den früheren katalanischen Minister Puig nicht an Spanien ausliefert, um auch ihn mit fadenscheinigen Vorwürfen im Gefängnis verschwinden zu lassen. Dass ein mutmaßlicher Korrupter mit all seinen Millionen unter Mitwirkung der Regierung das Land verlassen kann, ist für sie und ihre Regierung aber kein Problem. Calvo bezieht sich ausgerechnet auf den Schauprozess gegen die Katalanen am Obersten Gerichtshof, um vom eigenen Land als einer "vollumfänglichsten Demokratie" zu sprechen. Zwischen den Zeilen droht sie sogar mit Repressalien gegenüber Belgien.
Es kommt damit vollumfänglich ein spanisches Sprichwort zur Geltung: "Sag mir, mit was du prahlst, und ich sage dir, was dir fehlt." Denn ein Land, das immer wieder wegen Folter und Misshandlungen verurteilt wird, das nach dem Urteil der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen politische Gefangene hat und sie deswegen seit mehr als einem Jahr deren sofortige Freilassung fordert, ein Land, das sogar Politiker mit Immunität einsperrt und in unfairen Verfahren Politiker zu langen Haftstrafen über eine nicht zuständige und politisierte Justiz verurteilt, ist alles, aber keine reife und schon gar keine vollumfängliche Demokratie."