Bergkarabach wählt, Aserbaidschan droht

Nachdem ein hoher Ölpreis die Kassen Aserbaidschans füllte, ist die Kriegsgefahr im Kaukasus gestiegen

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Letzte Woche wurde im De-Fakto-Staat Bergkarabach der ehemalige Geheimagent Bako Sachakjan mit einer fast georgischen Mehrheit von 83 % der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Vor der Wahl hatte Aserbaidschans Präsident Ilcham Alijew gegenüber der Nachrichtenagentur RIA-Novosti gedroht, Armenien solle sich ais dem Territorium "zurückziehen" damit ein neuer Waffengang vermieden werde. Aserbaidschan, so Alijew, sei mittlerweile militärisch gesehen "der stärkste Staat in der Region", und seine Nachbarn müssten sich "dessen bewusst werden".

Tatsächlich rüstete Alijews Republik im letzten Jahr für 650 Millionen US-Dollar, während Armenien weniger als ein Viertel dieses Betrages aufbrachte. 2007 soll das aserbaidschanische Militärbudget sogar höher liegen als die kompletten armenischen Staatsausgaben. Trotz zwölf Prozent Wirtschaftswachstum (auf allerdings sehr niedrigem Niveau) kann Armenien nicht mit dem ölreichen Aserbaidschan konkurrieren. Das hat etwa neun Millionen Einwohner, Armenien nur zweieinhalb bis drei. Da helfen auch die Überweisungen der etwa vier bis zehn Millionen Auslandsarmenier nur bedingt. Allerdings verweist die Schutzmacht Bergkarabachs auf den Motivationsvorteil, dass die Soldaten dort ihr eigenes Siedlungsgebiet quasi an der eigenen Haustür verteidigen - und nicht etwa am Hindukusch.

Der Konflikt begann Ende der 1980er, als es nach Unabhängigkeitsforderungen der armenischen Mehrheit in Bergkarabach zu Pogromen in Sumgait kam, in deren Folge viele Armenier aus Aserbaidschan flüchten. Am 2. September 1991 erklärte sich das autonome Gebiet für unabhängig, worauf aserbaidschanische Truppen einmarschierten und von armenischen Kräften zurückgeschlagen wurden. Diese besetzten aus militärischen Gründen auch einen Korridor zwischen Armenien und Bergkarabach, der jedoch nicht nur aus den zwei 1929 an Aserbaidschan abgetretenen, sondern gleich aus sieben überwiegend von Aseris besiedelten Landkreise bestand.

Insgesamt wurden während der Auseinandersetzungen etwa 530.000 Aserbaidschaner aus von Armeniern kontrollierten Gebieten und 250.000 Armenier aus Aserbaidschan vertrieben. 1994 wurde ein Waffenstillstand geschlossen. Seitdem geht der Krieg nur noch im Internet weiter.

Die Frage der völkerrechtlichen Gültigkeit der Abspaltung ist weniger eindeutig als sie auf den ersten Blick scheint: Das am 3. April 1990 erlassene Sowjetgesetz "Über das Verfahren der Entscheidung von Fragen, die mit dem Austritt einer Unionsrepublik verbunden sind" enthielt eine Schutzklausel für autonome Gebiete, die im Falle eines Austritts der Republik aus der Sowjetunion per Volksabstimmung über ihren Status entscheiden sollten - was in Bergkarabach 1991 geschah.

Ob Alijews Säbelgerassel tatsächlich der Vorbote einer Wiederaufnahme des Krieges ist, bleibt abzuwarten: Unter anderem ist fraglich, inwieweit sowohl Aserbaidschan als auch Armenien ein tatsächliches Interesse an der Beendigung eines Zustands haben, mit dem sich bei innenpolitischen Problemen und Demokratiedefiziten perfekt ablenken lässt.

Weitgehend im Unklaren ist allerdings die Zukunft des umstrittenen Gebiets, das nur zwischen 140- und 150.000 Einwohner zählt - weit weniger als während des Krieges vertrieben wurden. Der armenische Präsident Robert Kotscharjan, der selbst aus Karabach stammt, vermied bisher den Begriff des Anschlusses und sprach stattdessen von einer "asymmetrischen Konföderation" als Modell für Armenien und Bergkarabach.

Die EU, die NATO und der Genozid

Anders als im Fall des Kosovo-Gebiets will man aber bei EU und NATO nichts von einer Anerkennung der Unabhängigkeit Bergkarabachs wissen. Hintergrund ist zum Teil die Haltung des NATO-Mitglieds und EU-Beitrittskandidaten Türkei, die sich zum einen als Schutzmacht Aserbaidschans begreift und zum anderen einen ungelösten historischen Konflikt mit dem armenischen Volk mit sich herumschleppt.

Außerhalb der Türkei ist mittlerweile relativ unstrittig, dass während des Ersten Weltkrieges eine enorm große Zahl von Armeniern und Assyrern bei Deportationen ums Leben kam - sowohl durch direkte Gewaltausübung als auch durch Hunger, Durst und Erschöpfung. Allerdings verweisen Kritiker des Völkermord-Begriffs wie Guenter Lewy darauf, dass das Osmanische Reich nicht einmal logistisch dazu in der Lage war, seine eigenen Soldaten zu versorgen, so dass diese ebenfalls in großer Zahl verhungerten. Zweifelhaft ist auch, inwieweit die Tötungen tatsächlich von der Führung des Osmanischen Reiches geplant und inwieweit sie die Eigeninitiative der kurdischen Agas waren, die sich auf diese Weise Land, Eigentum und Frauen aneigneten.

Als am 28. Mai 1918 die "Demokratische Republik Armenien" ausgerufenen wurde, die sich flugs der Entente anschloss, da war das ihr im Vertrag von Sèvres zugebilligte Gebiet in jedem Fall schon so weitgehend "gesäubert", dass kaum mehr Armenier dort lebten. Entsprechend schwach war der Widerstand, den der junge Staat trotz der Hilfe britischer Truppen Atatürks Konsolidierungsfeldzug entgegensetzen konnte. Schließlich teilten sich im Vertrag von Kars die Türkei und die Sowjetunion das Territorium.

Letztere integrierte das verbliebene armenische Siedlungsgebiet als eigene Republik. 1929 schlug Stalin den Osten dieser armenischen Sowjetrepublik dem benachbarten und damals ebenfalls zur Sowjetunion gehörigen Aserbaidschan zu. Der Korridor um Kelbajar und Lachin wurde direkt integriert, der Rest, das heutige Bergkarabach, wurde autonome SSR ohne territoriale Verbindung zur Armenischen SSR.

Feinde und Verbündete

Die Türkei und Aserbaidschan blockieren seit dem Krieg um Bergkarabach die armenischen Grenzen. Armenien versucht der Einkreisung durch den "Pakt für kollektive Sicherheit" mit Russland und durch gute Beziehungen zum südlichen Nachbarn Iran zu begegnen. Dabei ist die Haltung Russlands alles andere als eindeutig: Verwunderung löste etwa Wladimir Putins Offerte aus, dass Bush sein geplantes Raketenabwehrsystem ausgerechnet in Aserbaidschan stationieren solle.

Allerdings ist das Angebot bei genauerem Hinsehen weniger abstrus als es scheint: Das Siedlungsgebiet der Aseris, schiitischer Türken, ist etwa zur Hälfte Teil des Iran. Und die Exklave Nachitschewan ist - wenn man so will - nicht nur durch armenisches, sondern viel mehr noch durch iranisches Gebiet vom Mutterland getrennt. Entsprechend gespannte Beziehungen hegt Aserbaidschan, das überdies wie seine Schutzmacht Türkei in die NATO möchte, zur islamischen Republik. Nicht berücksichtigt ist bei dieser Rechnung allerdings die Gefahr eines Umsturzes in der ehemaligen Sowjetrepublik, in der es durchaus auch erstarkende islamistische Kräfte gibt.