Berlin: Freie Bahn für Kapitalinteressen

Berlin ist angeschlagen und dürfte in den nächsten Jahren noch mehr gebeutelt werden. Streetart-Symbolbild: growmatic auf Pixabay (Public Domain)

SPD votiert knapp, CDU einstimmig für Koalitionsvertrag. Jetzt kann nur noch die außerparlamentarische Opposition gegensteuern – und Die Linke von der KPÖ in Salzburg lernen.

Dass die Delegierten der Berliner CDU am Montag einstimmig für diesen Koalitionsvertrag votiert haben, nachdem sich beim Mitgliederentscheid der SPD nur 54,3 Prozent dafür erwärmen konnten, zeigt deutlich, wer hier den besseren Deal gemacht hat. Anders als die SPD ist die CDU dabei mit sich im Reinen.

Die Mimik, mit der die scheidende Regierende Bürgermeisterin Berlins, Franziska Giffey, für die SPD das knappe Abstimmungsergebnis bekannt gab, spricht Bände: Sieger sehen anders aus. 54,3 Prozent der knapp 12.000 SPD-Mitglieder folgten dem Kurs der Rechtssozialdemokratin Giffey, mehr als 45 Prozent stimmten dagegen.

Die Nein-Stimmen kommen sicherlich aus unterschiedlichen Milieus, mit verschiedenen Beweggründen – keinesfalls können sie durchweg als linke Abrechnung mit einer Spielart der besonders rechten SPD verstanden werden, die Giffey vertrat. Es ist aber auch mehr als vermessen, dass Giffey von einer sehr klaren Richtungsentscheidung sprach.

SPD laut Jusos "extrem gespalten"

Schon der Parteinachwuchs sieht das deutlich anders. Die Berliner Jusos betonten am Sonntag, dass es sich um eine knappe Mehrheit handle. "Wir respektieren dieses Votum und werden kritisch-solidarisch die zu bildende Regierung begleiten", twitterten sie. Das Ergebnis zeig deutlich, "dass die Partei in der Frage der Koalition mit der CDU extrem gespalten ist".

Der Publizist Ingo Arend kannte das Ergebnis der Mitgliederbefragung noch nicht, als er seinen taz-Kommentar schrieb und sich damit auseinandersetzte, wie die Giffey-SPD in den letzten zwei Jahren ein Bürgervotum zum Rückkauf von privatisierten Wohnungen, das unter den etwas irreführenden Titel Deutsche Wohnen und Co. enteignen Zustimmungswerte erbrachte, von denen Parteien nur träumen können, ins Leere laufen ließ.

Dabei skizziert Arend hervorragend die von der Politik in Berlin geschaffenen Bedingungen, die dazu führten, dass der Volksentscheid mit einem so hohen Ergebnis angenommen wurde.

Berlin hat seit den 2000er-Jahren einen ebenso rabiaten wie konzertierten Angriff des internationalen Investmentkapitals auf einen, infolge von 40 Mauerjahren relativ günstigen Wohnungsmarkt erlebt. Die Äxte, mit der die anonymen Pensionsfonds, Anlagefonds und Briefkastenfirmen, die dieses lukrative Terrain planmäßig aufrollten und dessen Nutznießer bis heute erschlagen, heißen Mietsteigerung und Umwandlung. (...)

Es ist diese kaum verhüllte Gier, die zum Volksentscheid am 26. September 2021 geführt hat. Dabei hatten sich bekanntlich 59,1 Prozent der Abstimmenden dafür ausgesprochen, profitorientierte Wohnungsunternehmen wie die Deutsche Wohnen oder Vonovia in Gemeineigentum zu überführen.


Ingo Arend, taz

Es ist eben die deutsche Sozialdemokratie

Der Publizist beschreibt dann, wie Giffey und Co. alles taten, um die Umsetzung des Bürgervotums, das Kapitalinteressen zumindest in Ansätzen ankratzte, zu verhindern. Giffey verstieg sich dann sogar zu der Behauptung, sie könne die Umsetzung des Volksentscheids nicht mit ihren Gewissen vereinbaren. Besser kann man gar nicht dokumentieren, wie eng diese SPD-Führung mit den Kapitalinteressen verbunden sind.

Dafür wird man dann mit dem Posten der Wirtschaftssenatorin belohnt. Es ist korrekt, wenn Arend von einem klaren Fall von Klassenverrat spricht. Aber so kann man die Politik der SPD mindestens seit 110 Jahren gut zusammenfassen. Da passt das knappe Ergebnis der Berliner SPD-Mitglieder, kapitalkonforme Politik besser im Bündnis mit der CDU zu machen.

Doch weil das fälschlich immer noch "Große Koalition" genannte Bündnis nur eine Mehrheit von acht Stimmen hat, orakeln jetzt einige Kommentatoren, ob einige der Gegner der neuen Koalition mit Nein stimmen werden. Das würde bedeuten, dass der CDU-Kandidat Kai Wegner bei den ersten beiden Wahlgängen durchfällt und erst im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt wird. So etwas kam schon öfter vor, würde aber Giffey innerparteilich noch mehr schwächen.

Unterschiedliche Motive der Giffey-Gegner

Ihre Gegner stehen schon bereit, die meisten haben keinen grundsätzlichen Widerspruch zu ihrer rechten Politik, werfen ihr nur vor, dass sie nicht einmal den Posten der Regierenden Bürgermeisters für die SPD halten konnte. Das wäre eigentlich schon nach der Wahl ein Grund gewesen, auf eine Ablösung zu drängen. Aber es zeugt eben auch vom Wesen der deutschen Sozialdemokratie, die in Frankfurt am Main einen jüdischen Reformsozialdemokraten Peter Feldmann sofort verstieß, als unklare Vorwürfe wegen Vorteilsnahme laut wurden, wie die Ökosozialistin Jutta Ditfurth gut analysierte.

Einer von dem Sarrazin-Freund und SPD-Rechten Heinz Buschkowksy aufgebauten Giffey lässt die SPD vieles durchgehen, angefangen beim selbstverschuldeten Verlust ihres Doktortitels. Nun mag es in der SPD auch noch einige Reformpolitiker geben, die tatsächlich Giffey nicht nur den Machtverlust vorwerfen, sondern auch den Verlust der Möglichkeiten einer Reformpolitik mit Grünen und Linken.

Nun haben aber die letzten Jahre gezeigt, welch enge Grenzen hier der Staat des Kapitals und seine Apparate wie die Justiz setzen. Der Mietendeckel ist dafür ein hervorragendes Beispiel.

Bewegung von unten statt Hoffnung auf die SPD nach Giffey

In den letzten Wochen haben sich auch Teile der sozialen Bewegungen in Berlin gegen ein Bündnis aus SPD und CDU engagiert, nicht weil sie viel Hoffnung in die Politik haben, aber weil sie erkennen, dass die Kampfbedingungen einer außerparlamentarischen Bewegung bei einer rechten Dominanz nicht besser werden.

Die Vorstellung, je rechter eine Regierung, desto besser ist es für eine außerparlamentarische Opposition, mag in Zeiten stimmen, in denen eine gut organisierte linke Alternative bereitsteht – wie im Herbst 1917 in Russland. Davon kann in Berlin 2023 nicht die Rede sein.

Aber die außerparlamentarische Linke sollte, statt Wunden zu lecken und an sich an parteipolitischen Machtspielchen zu beteiligen, mit dem Widerstand beginnen. Dazu gehört der Kampf um die Umsetzung des Volksentscheids ebenso wie die Verhinderung des Weiterbaus der Stadtautobahn A100 und anderer fossiler Verkehrsprojekte.

Da gab es am vergangenen Sonntag einen Erfolg, der nicht von der Politik, sondern von der Justiz kam. Erstmals musste ein Konzert der Gruppe Lebenslaute auf der Berliner Stadtautobahn genehmigt werden. Damit wurde Justizgeschichte geschrieben und deutlich gemacht, dass die Autobahn kein demokratiefreier Raum mehr ist.

Darauf können sich spätere Autobahngegner vielleicht berufen. Wenn sich die außerparlamentarische Bewegung in Berlin auf solche Kämpfe besinnt, könnte sie auch einem Senat mit zwei konservativen Parteien, in dem Franziska Giffey für ihre kapitalkonforme Politik mit dem Wirtschaftsressort belohnt werden soll, das Leben schwer machen. Wer dann noch Interesse an Parteipolitik hat, kann Hoffnung aus den Ergebnissen der Landtagswahl im österreichischen Bundesland Salzburg schöpfen.

Dort zog die nominell kommunistische, in der Praxis eher links-sozialdemokratische KPÖ plus mit 11,7 Prozent in das Parlament ein. Ihr Hauptthema war der Kampf um bezahlbare Mieten. Da könnte vielleicht die Linkspartei mal in die Lehre gehen.

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