Berliner Immaterialien : Videofest '96

fernsehen video multimedia 15.2. bis 25.2.96

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Die Berlinale ist vorüber - und mit ihr ein letztes Mal auch das Videofest im Berliner Podewill. Unser Korrespondent Stefan Münker war vor Ort und hat sich für Telepolis umgesehen. Seine Eindrücke und einige Links hinaus in die Netzwelt hat er uns mitgebracht.

Das Cover schmückt eine Spinne. Das ist passend gewählt. Das 9. Videofest 96, das am Rande der Berlinale in der Mitte Berlins vom 15. bis zum 25. Februar stattgefunden hat, wird das letzte sein. Nicht, weil es erfolglos gewesen wäre (war es nicht: es war mittelmäßig) - es ändert lediglich seinen Namen. Die Spinne, das Netz, man ahnt ihre symbolische Bedeutung: das Fest stimmt sich auf die Veränderung der Medienkulturen ein. 1997 wird es unter dem neuen Titel 'transMedia' im Podewill die Tore öffnen.

In dem kurzen Text, den die Veranstalter ihrem Katalog als Vorwort vorangestellt haben, fehlt nicht der melancholische Ton. Der Sieg der digitalen Medien ist auch einer über das Video als eigenständige Kunstform, eine Kunstform, welche über Jahrzehnte avantgardistischste Geister einer äußerst lebendigen Szene zu immer neuen Experimenten mit einer noch recht klar umgrenzten Formsprache animiert hat. Zumindest dies: die Eigenständigkeit und Autonomie der Videokunst löst sich offensichtlich auf in der Konvergenz alter analoger und neuer digitaler Bildtechnologien.

Nachdem sich bereits das letzte Videofest ganz dem Thema 'Internet' verschrieben hatte, weist in diesem Jahr der Untertitel 'fernsehen video multimedia' in die zukünftige Ausrichtung. Die Inhalte sind entsprechend.

Natürlich fehlten nicht die Videos. Ihr Höhepunkt war für mich der letzte Samstag, an dem John Sanborn, der auch seinen interaktiven Film "Psychic Detective" (erhältlich als CD-Rom) vorstellte, einige Lieblingsvideos vorführte. Es fehlten ebensowenig die Video-Objekte und Inszenierungen. Ihr Trend war das Thema der Wahrnehmung, der Aisthesis und ihrer (erweiterbaren) Grenzen. Nicht selten - wie in Nicolas Anatol Baginskys Videoskulptur 'Elisabeth Gardner', einer Annäherung an avancierte Theorien zur Funktionsweise menschlicher Sinnesorgane - tauchte in den Arbeiten die Grenze von Kunst und Wissenschaft auf.

Im Vergleich zu früheren Jahren wurden ca. 50 Videotapes weniger eingereicht - weil viele Videokünstler dazu übergehen, CD-Roms zu brennen. Den größeren Teil des Festes und der Ausstellung nahmen entsprechend Multimedia-Projekte für sich in Anspruch. Neben den kleinen silbernen Scheiben durchaus unterschiedlicher (nicht nur technischer, sondern vor allem künstlerischer) Qualität - mein persönlicher Tip: das Book of Shadows von Simon Biggs - hatten hier Internet-Projekte ihren Auftritt.

Neben der wunderbar schrägen WebSite von Ellipsis und den angenehm gebauten Seiten der Kunstausstellung Dialect hat mir das spielerische Kaapland von Gerald van der Kaap besonders gefallen, der mit seiner Site eine der wenigen gelungenen Übertragungen einer CD-Rom ins Netz vorstellt (man vergleiche etwa Laurie Andersons kommerziell gestaltetes Puppet Motel, die ihren anarchistischen Witz auch dadurch entfaltete, daß sie gegen fast alle Regeln der Publikation im Netz verstößt.

Blam!, dessen Upgrade 'Blam2' als CD-Rom präsentiert wurde, wiederum demonstrierte während des Festivals auf seiner Homepage die Ungeschütztheit des Surfers vor den Wellen. Bevor man der Kunst im Netz hinterherreist - und das gilt für nahezu alle Projekte - , sollte man sich allerdings klarmachen, daß Künstler anspruchsvolle Menschen sind - und ihre Web Sites oft so komplex gebaut, daß es doch recht lange braucht, sie auf den Bildschirm zu laden.

Die zunehmende Orientierung an Online-Formaten hat die bisherige Kunstfixierung des Videofestes, durch die es seit Jahren während der Berlinale zum Sammelplatz derer wurde, die am Ku'damm sich nicht heimisch finden wollen, deutlich ins Wanken gebracht. Konsequent der Schwerpunkt 'Zukunft des Fernsehens/Fernsehen der Zukunft', mit dem das Festival endete. Auch hier freilich herrschte die Präsentation und Diskussion kunstbezogener Bemühungen um das Medium mit der größten Masse deutlich vor.

Dafür exemplarisch steht die zentrale Rolle, welche die Veranstalter der Person und den Projekten des britischen Fernsehmachers John Wyver eingeräumt haben, der mit seiner Produktionsfirma Illuminations TV seit Jahren versucht, Kunst im Fernsehen einem breiteren Publikum nahezubringen - wie in dem für die BBC2 realisierten Projekt the net, welches zugleich eine gelungene Verbindung von Fernsehproduktion und Internetnutzung demonstriert.

Wer an zukünftige Entwicklungen des TV denkt, denkt an interaktives Fernsehen. Wer aber heute über interaktives Fernsehen redet, redet nicht über Fernsehen - sondern bestenfalls über Interaktion. So zumindest der mehrheitliche Tenor eines der letzten Panels, auf dem über die Zukunft des Fernsehens im Verhältnis zu Onlinediensten debattiert wurde. Von interaktivem Fernsehen zu sprechen, so Aaron Koenig - der seinerzeit beim Medienlabor der Fernsehproduktionsfirma MME in Hamburg maßgeblich an der Entwicklung der WebSite für den Sender vh1, dem vh1derland beteiligt war - sei so, wie über das Auto als pferdelose Kutsche zu reden: Tatsächlich führt der Weg vom Fernsehen zur Interaktion in ein anderes Medium hinein, für Koenig: die digitalen Netze, in denen selbstverständlich auch immer mehr TV-relevante Angebote ihren Platz finden werden, die dann aber zur Zeit doch eher an Printformate erinnern. Hier wird die Verbesserung der Bandbreiten und die Zunahme der Datenkompression gewiß einiges ändern - und Entwicklungen wie das derzeit als Pilotprojekt installierte WebTV begünstigen, dem im Radio-Sektor etwa das InfoRadio entspricht. Auch hier zeigt sich der Trend der Medienkonvergenz - so, wenn Zeitschriften wie Hotwired immer mehr mit Video, Audio und gar Real Audio-Implemientierungen arbeiten, und damit herkömmliche Abgrenzungen der verschiedenen Formate in Frage stellen.

Das Fazit der TV-Debatte lautet derzeit: Während es eine mögliche Perspektive für das Fernsehen der Zukunft wäre, als ein Partner im Verbund mit anderen Medien die technische Infrastruktur für inhaltlich anspruchsvolle und tatsächlich interaktiv gestaltete Formate zu entwickeln, so droht die Zukunft des Fernsehens auf absehbare Zeit doch die eines immer perfekteren Instrument immer neuer Formen massenkommerzieller (Ab-) Nutzung zu sein. Die nächsten 'Videofeste' werden dies noch stärker zu thematisieren haben. Man darf gespannt sein, was geschieht, wenn die Konvergenz der Medien noch weiter fortschreitet und in ihrem Zuge dogmatische Fronten zunehmend aufweichen.