Berliner Schlossträume zerplatzen
Weil der öffentlichen Hand das Geld für den Neubau des Berliner Stadtschlosses fehlt, verkommt die prominenteste Baugrube Deutschlands zur Brache. Statt einer Barockfassade könnte ein architektonisch belangloser Kubus im Zentrum der Hauptstadt gebaut werden.
Bald wächst Gras über die Fundamente der Palastruine. Eine grüne Wiese anstelle des geplanten Preußenschlosses, das das letzte große Symbol der DDR aus der Mitte Berlins verdrängen sollte. Der Schlossplatz verwildert. Mehr als 10-jährige Diskussionen führten zu keiner städtebaulich befriedigenden Lösung.
Dabei mangelt es nicht an neuen Ideen. Und die Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer (SPD), sucht derzeit nach einer Zwischenlösung für die Gestaltung des Areals. Statt einer langweiligen Wiese kommt nun eine gestaltete Grünfläche als Zwischennutzung ins Gespräch.
"Ob es aber einen Landschaftswettbewerb gegeben wird, ist noch völlig offen. Soweit sind wir noch nicht", erklärte ihre Pressesprecherin Petra Rohland gegenüber Telepolis. Voraussetzung dafür sei die Zustimmung des Bundes als Eigentümer des Baus. Und das kann dauern. Kritiker unkten schon lange, dass anstelle des Palastes als Theater- und Kunstprojekt die als Übergang gedachte Rasenfläche mangels Geld zur Dauerlösung werden könnte.
Berlins Mitte ist eine Brache
Denn während Bauarbeiter den Palast seit einigen Tagen zerlegen, schiebt Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) die Pläne für den Neubau des Schlosses erstmal auf die lange Bank. Solange die "Geldfragen" nicht geklärt seien, werde auch nicht gebaut. Als möglichen Baubeginn stellte er in einem Interview 2012 in Aussicht, ohne sich genauer festlegen zu wollen. Konkrete Finanzierungszusagen seitens des Bundes, des Berliner Senats oder einen Bundestagsbeschluss dazu gibt es bis heute nicht. Experten halten die Baupläne für das leere Berliner Zentrum sowieso für nicht finanzierbar.
Der Weg vom Brandenburger Tor bis zum Schlossplatz über den Boulevard Unter den Linden führt vorbei an historischen Bauten mit barocken und klassizistischen Fassaden, die sich mit nüchternen Neubauten abwechseln. Vorbei an der Humboldt-Universität und dem Zeughaus, dem ältesten Gebäude auf der Prachtmeile, dem heutigen Deutschen Historischen Museum. Vom Dach des Museums ermöglicht eine Webcam einen Ausblick auf das historische Zentrum.
Gegenüber strahlt in Weiß die wieder aufgebaute Kommandatur, in der die Bertelsamn AG residiert. Dahinter endet die Häuserzeile abrupt im Nichts. Eine leere, asphaltierte Fläche von riesigem Ausmaß ist der Schlossplatz heute. So groß wie mehrere Fußballfelder. Mitten drin rosten Eisengeländer vor sich hin. Beim Überqueren der Leerstelle schaut die Palast-Ruine neben dem wilhelminisch protzigen Berliner Dom mickrig aus. Einige Meter davor eine Grube mit Kacheln: Reste der Kellergewölbe des Schlosses, dessen Ruine hier 1950 gesprengt wurde. Daneben stehen Baucontainer, Kräne und Bagger des Abrissunternehmens. Sonst ein beliebter Parkplatz, wenn sich dort nicht gerade zum Weihnachtsmarkt ein Riesenrad dreht oder im Sommer die Beachvolleyball-Weltmeisterschaften ausgetragen werden. Immer wieder belebten Feste die Brache für einige Tage, bis Ruhe einkehrte.
Daran änderte auch die Nutzung der Palastruine für Kulturveranstaltungen nur teilweise etwas (Projektionsfläche für Ideen und Visionen). Insofern sie auf das Abbruchhaus beschränkt blieben, blieb der Platz links liegen. Mit dem Abriss ist nun auch die Chance vertan, bis zur Neubebauung ein lebendiges kulturelles Provisorium zu erhalten.
Aber die Bauherren des Schlosses - der Bund und das Land Berlin - fürchteten nichts mehr als einen revitalisierten Palast. Schon in den Empfehlungen der Expertenkommission "Historische Mitte" spielte die Ruine eine untergeordnete Rolle. Trotz spannender Entwürfe fehlte der politische Wille, das DDR-Relikt als historischen Verweis auf das sozialistische Deutschland und die letzte frei gewählte Volkskammer der DDR zu erhalten.
Teuerstes öffentliches Gebäude
Hans Swoboda, der Vorsitzende der Expertenkommission "Historische Mitte", begründet die Wiederherstellung der Kubatur des Schlosses mit der städtebaulichen Notwendigkeit, das historische Ensemble Unter den Linden bis zum gegenüberliegenden Lustgarten zu vervollständigen. Das könne nur gelingen, indem das äußere Erscheinungsbild des Schlosses wieder sichtbar werde.
Diese Aussage hält der Stadtplaner Frank Roost von der Technischen Universität Berlin für fachlich falsch. Im Gespräch mit Telepolis erklärte der Experte, diese Begründung sei eine politisch gewollte Aussage.
Die resultiert daraus, dass ansonsten städtebauliche Bezugspunkte für den Neubau eines Schlosses fehlen. Das Schloss war auf die südöstlich gelegene Altstadt ausgerichtet und nicht nach Westen auf den Boulevard Unter den Linden.
Roost verweist auf alte Fotografien, die zeigen, "dass Unter den Linden kreuz und quer zum Schloss steht, das sich architektonisch nicht auf seine Umgebung bezieht". Zudem sind die alten Stadtstrukturen rund um die Spreeinsel bis hinüber zum Alexanderplatz durch die Kriegszerstörung in weiten Teilen verschwunden. "Stattdessen", so der Stadtplaner, "hat der Palast der Republik einen städtebaulichen Bezugspunkt gebildet".
Dabei könne die Rekonstruktion von historischen Gebäuden durchaus Sinn machen, die die Identifikation einer Gesellschaft zu einem Ort und seiner Geschichte herstellen und fördern könne. Darauf verweisen auch die Befürworter eines Wiederaufbaus, der Förderverein Berliner Schloss e.V., der darin ein Symbol der wiedergewonnenen Einheit von Ost und West sieht. Diese Ansicht teilt Roost nicht. Für den Planer hinkt auch der Vergleich mit der Rekonstruktion des Warschauer Schlosses:
Im Polen der 70er Jahre war der Aufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Warschauer Altstadt und des Schlosses ein Symbol für die Eigenständigkeit des Landes gegenüber der Sowjetunion auf der einen und Deutschland auf der anderen Seite und getragen von einer breiten gesellschaftlichen Übereinstimmung. An diesem Konsens fehlt es aber in Berlin. Allein die Tatsache, dass der Schlossnachbau so umstritten ist, spricht schon gegen ihn. Eine Identifikationsbildung kann nicht funktionieren, wenn sich in Umfragen eine Hälfte dafür, eine andere dagegen ausspricht.
So meldete die taz kürzlich, dass sich laut einer Umfrage der Zeitschrift Superillu 60 Prozent der Ostdeutschen gegen den Palastabriss ausgesprochen haben und 56 Prozent sich eine grüne Wiese anstelle eines Schlosses wünschen.
Der geplante Neubau umfasst das gesamte Raumvolumen der Schlosskubatur (Umriss und Aufmaß), umschlossen an drei Seiten von Barockfassaden und dem Schlüterhof. Hinter der Außenhaut entsteht ein moderner Bau mit wenigen historischen Suiten. Auf mehr als 100.000 Quadratmetern soll das Humboldt-Forum genannte neue Kulturzentrum Platz finden, wenn es entsprechend den ursprünglichen Planungen finanziert werden kann. Dazu gehören die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität sowie die Berliner Zentral- und Landesbibliothek.
Mit dem Forum würden die Kosten für ein Gebäude politisch schön gerechnet, für das es ansonsten keine Funktion gäbe, meint Roost. Für einen unzeitgemäßen Bau, der als Königssitz ursprünglich die Funktion hatte einen Monarchen zu beherbergen. So dient die Kultur als Vehikel für das Vorhaben einiger Stadtbildromantiker.
Dafür müssten nun Unsummen ausgegeben werden. Doch so genau weiß bis heute niemand, was die Residenz kosten wird. Bei der letzten Abstimmung des Bundestages zur Umgestaltung des Schlossplatzes Anfang des Jahres kursierte in den Reihen der Opposition ein Betrag in Höhe von 1,2 Milliarden Euro.
Dabei war doch im Sommer 2005 schon alles klar: 2008 sollte aus dem Luftschloss Wirklichkeit werden, verkündete der damalige Bundesbauminister Manfred Stolpe (SPD) bei der Vorstellung einer Machbarkeitsstudie. Die bescheinigte dem Bauherrn Kosten zwischen 533 und 780 Millionen Euro für die Barockfassade und den Innenausbau. So viel wurde nicht mal für das Kanzleramt (Kosten 230 Millionen Euro) oder andere Repräsentationsbauten in Berlin ausgegeben. Doch 600, 700 Millionen sind viel zu wenig, wie die Architektengruppe Urban Catalyst in einem Gegengutachten nachrechnete, die schon mit dem Band "Fun Palace" die Neubaupläne kritisch unter die Lupe genommen hatte.
Die Kritiker warfen Stolpe vor, bei der Präsentation des Konzeptes der Öffentlichkeit wesentliche Informationen unterschlagen zu haben. Stolpe habe wider besseres Wissen suggeriert, dass eine baldige Realisierung des Humboldt-Forums im Schlossneubau möglich sei. Ihr Fazit: "Das Vorhaben der Schlossplatzbebauung wäre das mit Abstand teuerste öffentliche Gebäude, das seit 1945 in Berlin errichtet worden ist." Die Baukosten sein viel höher zu veranschlagen, da die Nutzfläche gegenüber ursprünglichen Planungen halbiert worden sei. Dennoch rechne man in der Studie weiterhin mit denselben Kosten. Der Aufwand für zwei Untergeschosse, in die Teile des Humbold-Forums verlagert werden sollten, seien noch nicht berücksichtigt worden. Sollte ein privater Investor bauen, von dem die öffentliche Hand das Haus least, so beliefen sich die Gesamtkosten auf 1,3 Milliarden Euro verteilt auf 30 Jahre. Zudem sei eine seriöse Berechnung erst auf der Grundlage eines Architektenentwurfs möglich. Doch mit konkreten Planungen scheint es in Berlin außer Manfred Stolpe niemand eilig zu haben.
Central Park oder doch ein schmuckloser Würfel?
Der Palast der Republik verschwindet und die Hohenzollernresidenz rückt in weite Ferne. Die Zukunft des Schlossplatzes bleibt so lange ungewiss, solange die Bundesregierung und das Land Berlin als Bauherr keine Finanzierung auf die Beine stellen. Aber die Berliner Haushaltskasse ist leer. Vom Senat dürfte kein Geld zu erwarten sein.
Dennoch, wenn sich Tiefensee schon nicht festlegen mag, so handelt nun die Senatorin für Stadtentwicklung. Ingeburg Junge-Reyer plant nicht nur eine "Humboldtbox", die über die Geschichte des Ortes informiert und in der die Baupläne vorgestellt werden. "Außerdem sollen neben der Palastabriesstelle weitere Fundamente des Schlosses freigelegt, weitere archäologische Schichten für Besucher sichtbar gemacht werden", erklärte Petra Rohland. Die Pressesprecherin sagte weiter, dass "wir soviel wie möglich machen wollen, was der Stadt gut tut. Zum Beispiel könnten dort wieder die Beachvolleyball-Weltmeistershaften ausgetragen werden." Bevor sich überhaupt nichts tut nach über 10-jährigen Planungen, wird die Leere wie gewohnt provisorisch überspielt, um dürftig die Aufenthaltsqualität zu verbessern.
Dazu dient auch die grüne Notlösung Rasen, dort, wo der DDR-Palast einst stand. Und schon gibt es erste Stimmen, die sich eine weitergehende Landschaftsgestaltung des Schlossareals vorstellen können.
Die könnte so aussehen, wie es der Entwurf des Büros Ingenhoven Architekten Düsseldorf vorschlägt. Da eine Rekonstruktion des historischen Schlosses und dessen Nutzung weder finanziell noch inhaltlich abgesichert seien, plädieren die Planer für einen "Central Park" als Provisorium. Das Grünareal verstehen sie als einen ideologiefreien Raum, offen für die Nutzungen, die sich künftige Generationen an dieser Stelle vorstellen könnten. Die "Denkfläche" könnte sich über den gesamten Schlossplatz bis zum Marx-Engels-Forum auf der gegenüberliegenden Seite der Spree erstrecken. Ein rund 20 Hektar großes Areal, in dem die Berliner und Touristen verweilen, feiern oder spielen könnten. Frank Roost hält Pläne für einen Park für Sozialromantik:
Rund um das Areal reiht sich eine Freifläche an die andere. In Berlin gibt es zig Stadtteile, wo mehr Grünanlagen gebraucht werden oder die aufgrund ihres schlechten Zustands renoviert werden müssten. Außerdem gibt es ja schon den angrenzenden Lustgarten und das Marx-Engels-Forum, das man städtebaulich weiter entwickeln könnte.
Frank Roost
Aber was wird dann aus Berlins zentraler Brache, wenn nicht ein Schloss oder -Park aufgebaut werden?
Ich befürchte, dass das Areal entsprechend dem Prinzip der kritischen Rekonstruktion der Stadt, wie sie für Berlin in den letzten Jahren umgesetzt wurde, gestaltet wird. Dabei wird das Stadtbild in groben Zügen wieder hergestellt. Also die die Kubatur des Schlosses füllt den Raum, aber die Architektur wird nicht im Detail rekonstruiert. Man baut also einen großen rechteckigen Kasten, mit irgendeiner modernen Architektur samt Sandsteinverblendung. Dazu kleinteilige Fenster, die aussehen wie Schießscharten. Das wäre eine traurige, eine belanglose Lösung.
Frank Roost