Besiedlungsprobleme in der virtuellen Schweiz

Onlineprojekt der Schweizerischen Landesausstellung Expo.02 im Spannungsfeld zwischen usergeneriertem Content und den Erwartungen eines Global Players

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Die Internetplattform cyberhelvetia.ch hat dank einer originellen Schnittstelle in die reale Welt zwar Zehntausende neugierig gemacht, doch zum Verweilen in der virtuellen Schweiz entschließen sich nur die wenigsten. Die Großbank Credit Suisse Group sieht dieser Entwicklung als Sponsor und Träger des Projekts mit Skepsis entgegen und stellt damit die Projektverantwortlichen vor die unlösbare Aufgabe, inhaltlichen Tiefgang mit Massenkompatibilität zu kombinieren.

"Die Expo.02 sind wir!" Programmatisch prangt der Leitspruch von Cyberhelvetia in den Räumlichkeiten der Belleville AG am Predigerplatz in Zürich. Ein Team von knapp 10 MitarbeiterInnen betreut dort redaktionell und konzeptionell den Auftritt der "virtuellen Schweiz". Zehn Monate bevor die Expo.02 ihre Tore öffnet, kann man im Internet unter cyberhelvetia.ch eines ihrer Projekte selbst mitgestalten. Über 5000 Personen haben sich bereits als "BewohnerInnen" der virtuellen Schweiz angemeldet; ihr Aktivitätsgrad lässt allerdings zu wünschen übrig. Selten sind mehr als zwanzig Personen gleichzeitig online auf Cyberhelvetia anzutreffen. Martin Roth, Geschäftsführer der projektverantwortlichen Belleville AG, erklärt sich dies unter anderem mit dem noch nicht erfolgten Public Launch. Nach mehrmaligem Verschieben soll der Startschuss im Laufe der kommenden Monate erfolgen. Cyberhelvetia ist eines der ältesten Expoprojekte; es entstand bereits 1997 im Rahmen der sogenannten Mitmachkampagne unter der damaligen künstlerischen Direktorin, der Videokünstlerin Pipilotti Rist.

Finanziert wird Cyberhelvetia von der Credit Suisse Group CS , die neben ihrer Funktion als Hauptsponsorin auch als Trägerin des Projekts und Vertragspartnerin gegenüber der Expo auftritt. Bis Oktober 2002 wird die CS 15 Millionen Franken locker machen für sämtliche Komponenten von Cyberhelvetia, also auch die Ausstellung auf der schwimmenden Ausstellungsfläche vor der Stadt Biel. Es ist dies das größte Einzelprojekt im Kultursponsoring der Großbank. Weitere Sponsoren sind das Telekomunternehmen Sunrise und der Computerriese Sun Microsystems, der die Serverinfrastruktur zur Verfügung stellt.

Mit Geld lässt sich jedoch nicht alles kaufen - erst recht nicht jene Kreativität, die von denen gefordert ist, die sich zur Existenz als virtuelle Schweizer entschließen. Entgegen dem schnellebigen Klick-und-weg-Zeitgeist in den Untiefen des Internets wird auf Cyberhelvetia reichlich wenig zum Konsumieren angeboten. Schon das Anmeldeprozedere dauert seine Zeit. Nach der Wahl eines Phantasienamens für sein virtuelles Alter Ego bestimmt man einen persönlichen Avatar - sozusagen ein grafisches Pseudonym - der einen in der Internet-Schweiz repräsentiert. Und danach kanns los gehen. Erst einmal steht die "Wohnungssuche" auf dem Programm. Einige zehntausend Bytes und Pixel lassen sich nach belieben gestalten, Bilder können etwa von der eigenen Festplatte hochgeladen werden um so seine virtuellen vier Wände zu verschönern. In einem elektronischen Briefkasten können andere In.Cyder - so die Bezeichnung für BewohnerInnen von Cyberhelvetia - Botschaften hinterlassen.

Kommunizieren ist denn auch die Hauptbeschäftigung in der virtuellen Schweiz. Auf Anschlagbrettern, in Diskussionsforen und Chats wird manchmal Belangloses, meist aber Geistreiches und Sprachwitziges ausgetauscht. Um die Mittagszeit, wenn die ArbeitskollegInnen in die Pause abrauschen, werden die In.Cyder aktiv. Beliebtester Aufenthaltsort ist der sogenannte Terrassen-Chat.

Hier tummeln sich mittags die Avatare

Auf diesem Ausschnitt der Internetseite tummeln sich die Avatare und plaudern miteinander. Die auf der Tastatur eingetippten Botschaften erscheinen als Sprechblasen der virtuellen Alter Egos. Für die meisten ist es ein Wiedersehen mit alten Bekannten - eine Community eben. Das gemeinsame Interesse ist nicht näher bestimmt. Es ist denn auch weniger der Inhalt an sich der die Leute reizt, sondern die Form der Kommuniaktion und die sozialen Interaktionen, die sich sprachvermittelt ergeben.

Selten wird über die Expo.02 im Allgemeinen oder Cyberhelvetia im Speziellen diskutiert. Während für die Belleville AG dies kein Anlass für Kritik ist, da sie die Definitionsmacht über das Projekt primär den NutzerInnen überlassen will, wünscht sich der Hauptsponsor Credit Suisse eine inhaltliche Schärfung. Nicht zuletzt in der Hoffnung damit mehr Leute anzuziehen. "Es reicht uns nicht, wenn sich da ein paar Leute tummeln, die auch sonst in einem ähnlichen Umfeld verkehren", so Ulrich Pfister, der bei der CS für das Projekt verantwortlich ist. Laut Martin Roth ist es jedoch überhaupt keine homogene Gruppe, wie dies CS-Mann Pfister vermutet. Im Gegenteil: "Ich habe schon Leute getroffen, die ich bis dahin nur virtuell kannte und mit denen würde ich garantiert nie in eine Bar gehen".

Doch auch die Credit Suisse will Cyberhelvetia keineswegs in einen Expo-Chat verwandeln. Es gehe nicht darum, Diskussionsthemen zu forcieren, sondern bestehende Stränge zu stärken und sich nicht zu verzetteln, wie dies derzeit manchmal den Eindruck mache, so Pfister gegenüber Telepolis. Die Expo kann aber durchaus zum Thema werden. Als vor einigen Wochen in den Diskussionsforen Gerüchte gestreut wurden, wonach Cyberhelvetia vor massiven Umstrukturierungen stehe, nahm plötzlich das Interesse an der Landesausstellung rapide zu. Witzbolde schmückten sich mit Namen wie Nelly Wenger (Generaldirektorin der Expo, N.L.), Pipilotti (gemeint ist Pipiltti Rist, ehemalige künstlerische Leiterin der Expo, N.L.) oder Blocher (der konservative Politiker und Chemieindustrielle Christoph Blocher, N.L.) und debattierten wild drauf los, ob nun das Engagement einer Großbank in einem Kunstprojekt ein Risiko für dessen Unabhängigkeit darstelle, oder ob die Community outgesourct und der Großbank verkauft werden soll.

Als Kontrast zur Community, der in ihrer heutigen Form quantitativ klar Grenzen gesetzt sind, da sie jene Intimität, von der die meisten UserInnen zehren, verlieren würde, steht die Schnittstelle von Cyberhelvetia in die reale Welt. Über 100000 Menschen habe sich seit Februar von einem der rund dreißig in Schweizer Städten aufgestellten Fotobots - jenen futuristisch anmutenden Fotoautomaten, die insektengleich an den Innenseiten von Schaufenstern haften - ablichten lassen.

"Fotografier dich ins Internet!"

Die digitalen Porträts werden direkt ins Internet eingespeist und lassen sich auf cyberhelvatia.ch quasi in Echtzeit betrachten. Seine eigenes Abbild lässt sich zudem als Avatar einsetzen und so sein Alter- näher ans reale Ego rücken. Diese kurzfristige Befriedigung des eigenen Geltungsdrangs ist im Prinzip die Killerapplikation des Expo-Projekts. Seit Februar hat es schon 140'000 Mal Klick gemacht, an einzelnen Standorten wie beim Warenhaus Loeb bis zu hundert Mal pro Tag; in Relation mit den 5000 angemeldeten In.Cydern und der nochmals geringeren Zahl der regelmässigen BenutzerInnen ein augenfälliges Missverhältnis.

Diese unbefriedigende Situation veranlasste Anfang Juni Expo und Sponsoren einen Einladungswettbewerb durchzuführen. Dessen Ergebnisse liegen nun auf dem Tisch und erste Maßnahmen werden eingeleitet. Entgegen der radikalsten Wettbewerbeingabe, wird die Kommunikationsplattform nicht zugunsten der erfolgreichen Fotobots aufgelöst. Alle Elemente sollen gestärkt und gegen außen besser als Einheit kommuniziert werden. Ein gutschweizerischer Kompromiss. Das eigentliche Sorgenkind wartet aber erst noch. Internet und Fotobots laufen wenigstens schon. Wie Cyberhelvetia an der Expo in knapp einem Jahr repräsentiert wird, steht noch in den Sternen. Klar ist erst soviel: Eine Badeanstalt mit einem Pool ohne Wasser - dies auf einer schwimmenden Ausstellungsfläche - wird das reale Gegenstück zum virtuellen Diskussionspool im Internet bilden.